Hinter den europäischen Kulissen bahnt sich eine heftige Kontroverse über die von Macron vorgeschlagene Neuausrichtung der EU an. Der Widerstand gegen den Marsch in die Schuldenunion nimmt zu.
Europa in den Medien
Die European Constitutional Group, ein renommierter Zusammenschluss europäischer Ökonomen, hat Jean-Claude Juncker offiziell davor gewarnt, die Vorschläge der EU-Kommission zur „Vertiefung“ der Wirtschafts- und Währungsunion umzusetzen, weil sie nur Fehlanreize für die Regierungen und Banken bewirken würden. Außerdem kritisieren die Volkswirtschaftsprofessoren die Absicht Junckers, potenzielle Neumitglieder durch zusätzlich bereitzustellende Finanzhilfen zum EU-Beitritt zu motivieren. Eine weitere Aufweichung der ohnehin nicht hinreichend strikten Konvergenzkriterien für Beitrittskandidaten sei prinzipiell nicht sachgerecht. Erstaunlicherweise ist dieser international verfasste Aufruf zur Einhaltung der ursprünglich vereinbarten EU-Prinzipien von den deutschen Medien kaum beachtet worden. Ohnehin erscheint die öffentliche Diskussion über EU- und Euro-Themen hierzulande merkwürdig verklärend, genormt und limitiert, als gäbe es in manchen Redaktionsstuben eine Art von stillschweigendem Konsens im Sinne einer vorwegeilenden Akklamation und Problemvernebelung. Außerdem pflegt man vor allem in öffentlich-rechtlichen Medien das Ritual, Kritiker der völlig entgleisten Euro-Rettung sowie Mahner zur Einhaltung der Maastricht-Verträge pauschal als „Europa-Gegner“ zu diffamieren. Damit werden die Tatsachen und Inhalte auf den Kopf gestellt. Denn die, die sich für die konsequente Beachtung der vereinbarten Spielregeln einsetzen, dürften sich letztlich als die wahren Freunde einer dauerhaften europäischen Einigung erweisen. Daher sollten ihre Argumente der Bevölkerung nicht vorenthalten werden.
Schwere Geburt
Schon die politische Vorbereitung der Währungsunion in Deutschland war geprägt durch fragwürdige Machenschaften. Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung unstrittigerweise eindeutig gegen eine Aufgabe der DM war, ist dieses Projekt vor allem von Helmut Kohl („Der Euro ist eine Frage von Krieg und Frieden“) und dem damaligen Finanzminister Theo Waigel mit aller Macht durchgeboxt worden. Ob es sich hierbei wirklich um ein Zugeständnis Kohls an den französischen Präsidenten Mitterrand für dessen Billigung der Wiedervereinigung gehandelt hat, werden Historiker nach Öffnung der Geheimakten herauszufinden haben. Von höchster Bedeutung zur Überzeugung namhafter Gegner wie Edmund Stoiber und Kurt Biedenkopf sowie zur Überwindung der Widerstände in der breiten Bevölkerung war seinerzeit die Herbeiführung einer Art Unbedenklichkeitserklärung durch die Deutsche Bundesbank, die zuvor insbesondere die Aufnahme Italiens und Belgiens wegen deren hoher Staatsschulden beanstandet hatte. Die FAZ hat kürzlich berichtet, dass die gewünschte Formulierung „Die Währungsunion ist stabilitätspolitisch vertretbar“ nach einer sechzehnstündigen, offenbar sehr kontrovers geführten Sitzung des Zentralbankrats erst nachträglich in die offizielle Stellungnahme eingefügt worden sei. Damit war der Widerstand weitgehend gebrochen. Am 1. Januar 1999 startete die Währungsunion mit elf Mitgliedern, darunter Italien. Schon damals wurde auf den Beitritt Griechenlands gewettet, der ja dann 2001 – nach Vorlage gefälschter Haushaltsstatistiken – erfolgt ist.
„Zerreißprobe“
Im Juni 1992 haben 60 bekannte Wirtschaftswissenschaftler, darunter der frühere Superminister Karl Schiller, mit der Vorlage ihres Manifestes „Die EG-Währungsunion führt zur Zerreißprobe“ aus heutiger Sicht seherische Qualitäten bewiesen. Im Februar 1998 folgte ein weiterer, diesmal von 160 Professoren unterzeichneter Aufruf mit der Überschrift „Der Euro kommt zu früh“. Die seinerzeit vorgetragenen Befürchtungen sind mittlerweile von den Realitäten übertroffen worden. Im Mittelpunkt stand damals wie heute die Sorge, die Gemeinschaftswährung werde sich letztlich zur Transfer- und Haftungsunion entwickeln. Davon völlig unbeeindruckt stellte die CDU auf Plakaten zur Europa-Wahl 1999 die rhetorischen Fragen: „Was kostet uns der Euro? Muss Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommen?“, um diese dann nachhaltig so zu beantworten: „Ein ganz klares Nein! Der Maastricht-Vertrag verbietet ausdrücklich, dass die EU oder die EU-Partner für die Schulden eines Mitgliedslandes haften.“
„Whatever it takes“
Unter der Überschrift Euro-Rettung sind nach der Schuldenkrise bekanntlich vielfältige Hilfsprogramme gestartet worden, um die EU-Schuldenländer über Wasser zu halten. Später stieg die EZB in den systemwidrigen Ankauf von Staatsanleihen ein. Im Jahr 2012, als die Euro-Krise kurz vor der Explosion stand, übernahm Mario Draghi de facto eine Haftung für alle Staatsschulden der Mitgliedsländer („Whatever it takes“). Seit 2015 hat die EZB für mittlerweile 2,5 Billionen Euro mehr oder weniger faule Anleihen gekauft und sich damit in die Abwärtsspirale einer monetären Staatsfinanzierung begeben. Ein einigermaßen erträglicher Ausweg aus dieser Misere ist derzeit kaum erkennbar. Die Bundesregierung hält die Euro-Krise übrigens – zumindest offiziell – für weitgehend gelöst.
„Keine Alleingänge“
Mittlerweile haben sich mit der Slowakei und Tschechien zwei weitere Staaten der von acht nordeuropäischen Ländern gebildeten Initiative angeschlossen, die französisch-deutsche Alleingänge zur „Vertiefung“ der Wirtschafts- und Währungsunion verhindern will. Nicht nur das Vorpreschen von Macron hat in diesem Sinne offenbar für Beunruhigung gesorgt, sondern auch der schwarz-rote Koalitionsvertrag. Vor allem der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (Spiegel 12/2018) hat klare Grenzen der Belastbarkeit aufgezeigt. Das gilt für die geforderte Erhöhung des EU-Haushalts und die Überführung des Rettungsschirms ESB in das Gemeinschaftsrecht ebenso wie für die Implementierung eines europäischen Finanzministers mit eigener Budgethoheit. Stattdessen pocht Rutte auf die strikte Einhaltung des Stabilitäts- und Währungspakts durch alle Euro-Länder. Und mit Blick auf den zunehmend eigenmächtig agierenden Juncker mahnt der Niederländer an: „Die Kommission soll den EU-Mitgliedern dienen, nicht umgekehrt.“ Der für Klartext bekannte Ökonom Hans Werner Sinn hat schon 2017 darauf hingewiesen, dass es sich bei der sogenannten Fiskalunion um nichts anderes handele als eine Transfer- und Schuldenunion. So bedeute die von Macron vorgeschlagene Bankenunion, dass die nördlichen Euro-Länder, also vor allem Deutschland, in den südlichen Ländern und in Irland Sicht- und Spareinlagen in Höhe von 3,69 Billionen Euro abzusichern hätten.