Nicht erst durch den Bitcoin-Hype Ende 2017 ist die der Kryptowährung zugrundeliegende Blockchain-Technologie in aller Munde. So revolutionär diese aber auch sein mag, so wenig bekannt ist das wahre Potenzial der Blockchain.
Aufgrund des enormen Disruptionspotenzials von Blockchain-Technologien in sämtlichen Facetten des Alltags findet derzeit ein globales Rennen zwischen Asien, den USA und Europa statt. Dabei geht es um nicht weniger als die Vorherrschaft beim zukünftigen Umgang mit einem der wichtigsten Handelsgüter unserer Zeit: Daten.
Derzeit klar führend im internationalen Vergleich ist Asien, und allen voran China, wo Projekte mit großen Investitionen vorangetrieben werden. Die USA hingegen liegen etwas zurück, was aber nur auf den ersten Blick überrascht. Denn der dezentrale Charakter der Blockchain dürfte den üblichen Innovationstreibern aus dem Silicon Valley nur bedingt gefallen. Das Geschäftsmodell von Firmen wie Google, Amazon oder Facebook ist nun einmal das Sammeln von Unmengen an Daten an einer zentralen Stelle. Die Idee, dass ein jeder seine persönlichen Daten über eine Blockchain selbst verwalten könnte wäre also wirtschaftlich kontraproduktiv für die Tech-Giganten.
Der Zug für Europa ist noch nicht abgefahren
Aus europäischer Sicht fällt die Bestandsaufnahme im globalen Vergleich ernüchternd aus. Die hiesige Blockchain-Industrie befindet sich in weiten Teilen noch im Embryonalzustand. Allerdings gibt es einen nicht zu unterschätzenden Hoffnungsschimmer: Auch die anderen Märkte sind nämlich nicht besonders weit entwickelt und wie die Blockchain ihren Weg in unseren Alltag finden wird, ist derzeit noch völlig unklar und variabel. Mit Blick nach vorne heißt das also, dass es noch nicht zu spät ist, mit den richtigen Investitionen in Business- und Forschungsprojekte dem Tech-Markt der Zukunft einen europäischen Anstrich zu verleihen.
Interdisziplinäre Projekte als Innovationstreiber
Auf der Blockchain basierende dezentrale Technologien lassen sich auf so viele verschiedene Alltagsbereiche anwenden, dass deren wahres Disruptionspotenzial nicht aus nur einer Perspektive zu erkennen ist. Um dieses korrekt einzuschätzen, bedarf es interdisziplinärer Projekte bei denen Business Cases genauso Beachtung finden, wie die nötige Grundlagenforschung.
Diese Erkenntnis hat sich erfreulicherweise auch bei den politischen Entscheidern in Europa durchgesetzt, weshalb vergangenen November das weltweit größte Blockchain-Kompetenzzentrum in Wien geschaffen wurde. Mit dem Austrian Blockchain Center (ABC) sollen die umfassenden interdisziplinären Kompetenzen nun an einer Adresse gebündelt werden. Am ABC sind 21 wissenschaftliche Einrichtungen, 54 Unternehmen und 17 assoziierte Mitwirkende beteiligt, darunter 16 internationale Einrichtungen und Unternehmen. Die Forschungsschwerpunkte des Zentrums reichen von Industrie 4.0 und dem Internet of Things über den Finanz-, Energie- und Logistiksektor bis hin zu Anwendungen im öffentlichen Bereich und in der Verwaltung. Ziel des ABC ist die wissenschaftlich fundierte (Weiter-)Entwicklung von Anwendungen, die auf Blockchain-Technologien beruhen.
Für Österreich, und damit auch für Europa, ist das Zentrum eine große Chance, um auf diesem zukunftsträchtigen Gebiet den Anschluss an die Hightech-Giganten in den USA und Asien nicht zu verlieren. Auch die Förderung sogenannter ‚Hidden Champions‘ ist ein Anliegen des Zentrums.
Blockchain-Lösungen bei Unternehmen immer beliebter
Wie eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Firmenpartnern des ABC zeigt, haben Unternehmen großes Interesse daran, Blockchain-Technologien in ihre Geschäftsabläufe einzubinden. Bereits 50 Prozent der Unternehmen gaben an, mit entsprechenden Prototypen oder Produkten zu arbeiten. Bei 22 Prozent der Partner befinden sich entsprechende Projekte in der Umsetzung, bei elf Prozent der Unternehmen sind sie in Planung. Lediglich 17 Prozent haben erst begonnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Durch Zentren wie das ABC soll es in Zukunft zu einer deutlichen Intensivierung dieser Aktivitäten kommen. Schon heute ist abzusehen, dass die Blockchain einer der Schlüssel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf dem digitalen Arbeitsmarkt sein wird. Die von den befragten Unternehmen genannten Blockchain-Anwendungen mit dem derzeit größten Potenzial sind die Unterstützung der Supply Chain sowie die Nutzung, Verwaltung und Erzeugung digitaler Identitäten.
Wie die Blockchain den Bankenmarkt revolutioniert (hat)
Besonders die Finanzbranche hat bereits gravierende Disruptionen durch Blockchain-Technologien erfahren. Damit sind nicht nur die vieldiskutierten Kryptowährungen wie Bitcoin gemeint. Vielmehr haben vor allem ICOs jungen Unternehmen in den letzten Jahren ermöglicht, mittels Fremdkapital stark zu wachsen und ihre Visionen umzusetzen. Prominentestes und größtes Beispiel für eine solche Erfolgsgeschichte ist wohl das Messenger-Tool Telegram, dass sich im Jahr 2018 durch zwei Finanzierungsrunden 1,7 Milliarden Euro besorgen konnte – und das unabhängig von Banken.
Ein weiteres Feld, in dem die Blockchain dazu beiträgt, das klassische Bankgeschäft zu reformieren, ist die Financial Supply Chain bei der Kooperation von Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistern untereinander. Klassischerweise sind hier viele Partner beteiligt, was dazu führt, dass jeder über seine eigenen Datenbanken verfügt und diese mit denen der Partner immer wieder abgleichen und aktualisieren muss.
Als Beispiel kann die Verbesserung der Kundenidentifikation und damit der diesbezüglichen Compliance von Banken und Versicherungen genannt werden. Bislang mussten hier dieselben Dokumente immer wieder vorgelegt werden, was mit langen Bearbeitungszeiten und hohen Kosten verbunden ist. In einer Blockchain hingegen würden Einträge auf bereits überprüfte Daten der Kundenidentifikation verweisen, auf deren Basis Fragen der Finanzdienstleister ohne Übermittlung von persönlichen Daten nach Freigabe des Kunden beantwortet werden. Weitere denkbare Einsatzfelder für Blockchain-Lösungen liegen etwa in der Buchführung und Prüfung von Unternehmen, der Etablierung betrugsresistenter Steuererhebungsverfahren, der Gestaltung und Adaption von Compliance-Systemen, der vereinfachten Abwicklung grenzüberschreitender Kapitalmarktransaktionen bis hin zur Einführung digitalen Zentralbankgeldes. Auch Neuerungen bei der Mensch-Maschine-Interaktion sowie der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation könnten für Finanzdienstleister von höchstem Interesse werden. Und dies sind nur einige wenige Beispiele aus der heutigen Sicht.
Die nächste Generation der Blockchain
Wohin die Reise schlussendlich gehen wird, ist derzeit noch nicht hundertprozentig abzusehen. Die bisher verbreiteten Blockchain-Anwendungen sind nicht gerade benutzerfreundlich designt und insofern noch nicht für den Massenmarkt geeignet. Dies könnte sich allerdings mit der nächsten Generation der Blockchain, die sich in den nächsten Monaten immer stärker etablieren wird, ändern. Auf absehbare Zeit wird die Anwendung von Blockchain-Technologien immer intuitiver werden und somit den Alltag immer stärker durchdringen. Um sich den aktuellen Forschungsstand zu verdeutlichen, ist ein Blick auf die Anfänge des Internets hilfreich. Verglichen hiermit befinden wir uns in Sachen Blockchain derzeit etwa kurz vor dem Zeitpunkt, an dem die ersten Browser entwickelt wurden.
Um diesen historischen Zeitpunkt nicht zu verpassen, wie es beim Internet der Fall war, müssen die Entscheider in Europa in den kommenden Jahren die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. Zunächst wäre es wichtig, den Ausbau der digitalen Infrastruktur weiter voranzutreiben. Der Ausbau eines mobilen Breitbandnetzes zum Beispiel wird in absehbarer Zukunft absolut notwendig sein. Dazu muss auch weiterhin ein Forschungs- und Business-Umfeld geschaffen werden, in dem man neue Technologien frei entwickeln kann.
Zudem herrscht jetzt schon ein akuter Fachkräftemangel auf dem Blockchain-Markt. Programmierer dieser Technologien müssen nämlich sehr gute Kenntnisse in Kryptografie mitbringen. Diese steht aber noch nicht an allen Universitäten auf dem Lehrplan. Eine Reform der Studiengänge mit einem stärkeren Fokus auf Blockchain-Technologien scheint allerdings unausweichlich, will man international mithalten. Mit solchen Maßnahmen könnten aber allenfalls die offenen Stellen von morgen besetzt werden. Um den akuten Fachkräftemangel erfolgreich zu bekämpfen, muss daher gezielt im Ausland geworben werden. Hierbei sind Standortvorteile wie die Lage des ABC im Herzen Europas sicher von Vorteil.
Das Wichtigste wird jedoch sein, dass bei uns oft sehr kritischen Europäern ein Perspektivwechsel stattfindet. Hat man hier oft Bedenken bezüglich der möglichen Nachwirkungen neuester Technologien, ist man in den USA oder Asien eher neugierig auf das, was kommen mag. Diese Herangehensweise beeinflusst selbstverständlich auch die jeweilige Bereitschaft, wenn es darum geht, in Innovationen zu investieren. Ohne den nötigen Mut zum Risiko wird man aber weder den Vorsprung der globalen Konkurrenz aufholen, noch die entscheidenden Marktsegmente für sich sichern.