Gefährden neue Verfahren zur Datenanalyse das traditionelle Leasing-Geschäft? Was bedeutet Advanced Analytics für die Beschäftigten der Branche und wie kann sich die mittelständische Leasing-Wirtschaft weiterentwickeln?
Auf den Wert von Daten hatte der britische Mathematiker Clive Humby schon 2006 aufmerksam gemacht. Seine Aussage, Daten seien das neue Öl, wurde seither immer wieder zitiert. Vergessen wird jedoch häufig sein Zusatz, dass Daten zwar wertvoll sind, aber wie Öl unraffiniert nicht genutzt werden können. Anders als der endliche fossile Brennstoff wächst der Umfang verfügbarer Informationen seit Jahren kontinuierlich an. Big Data bezeichnet Datenmengen, die zu groß und zu komplex sind, um sie mit manuellen und herkömmlichen Methoden auszuwerten.
Bei der Datenanalyse hat sich jedoch seit Humbys Feststellung einiges getan. Stichworte sind hier Maschinelles und Deep Learning, Künstliche Intelligenz oder Advanced Analytics – eine „fortgeschrittene“ Form der Datenverarbeitung, die nicht nur rückwärtsgerichtete Analysen ermöglicht, sondern mittels derer auch Vorhersagen über mögliche zukünftige Ereignisse modelliert werden können.
Die für die Auswertung der Datenmengen notwendigen Quantencomputer stehen durch Cloudservices zunehmend einfacher und kostengünstiger zur Verfügung. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten – von der Interaktion mit Kunden, der Beurteilung von Geschäftspartnern bis hin zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Stichwort Pay-per-Use und Smart Contracts.
Evolution des Leasing-Geschäfts
Die Expertise über Branchen und Märkte gehörte schon immer zur DNA der Leasing-Wirtschaft. Die neuen technischen Möglichkeiten führen nun auch zu einer natürlichen Evolution des Leasing-Geschäfts selbst, wie diese Beispiele zeigen:
Leasing-Gesellschaften haben schon früher aufgrund ihrer Objektexpertise die Kunden z. B. über Wartungsintervalle einer Maschine beraten. Heute unterstützt sie dabei Predictive Maintenance durch automatisierte Meldungen der ans Internet angebundenen Maschinen.
Leasing-Gesellschaften sind Experten für die Restwertentwicklung der verleasten Wirtschaftsgüter. Die nun übermittelten Nutzungsdaten eines Assets geben ihnen weitere wertvolle Informationen und ermöglichen noch bessere Prognosen für die Restwertentwicklung und die Steuerung des Zweitmarktes.
Während früher das Monitoring von nutzungsabhängigen Finanzierungsmodellen – wie bei Kopierern – in Excel-Sheets festgehalten und monatlich übermittelt wurde, liefert heute das Asset selbst Daten in Real Time und ermöglicht so eine stück- oder sekundengenaue Abrechnung.
Der enge persönliche Kontakt des Außendienstes zum Kunden sorgte bisher für Cross Selling Prozesse. Heute wird der Vertrieb durch die Datenanalyse unterstützt und erhält einen Hinweis, wenn der Kunde durch sein Verhalten „Trennungsüberlegungen“ zeigt.
Change-Prozess für gesamtes Geschäftsmodell
Big Data verbunden mit der Expertise der Leasing-Experten bringt deutliche Mehrwerte für die Kunden, verbesserten Service, neue Leasing- und Geschäfts-Modelle und kann den gesamten Lifecycle des Leasing-Geschäfts umfassen:
- Autohersteller werden zu ganzheitlichen Mobilitätsdienstleistern.
- Telemetriedaten weisen auf den optimalen – ressourcenschonenden – Tausch von Verbrauchsteilen hin.
- Intelligente Marktsysteme berechnen den geeigneten Zeitpunkt für Zweitmarktplatzierungen.
- Kundenwünsche können nicht nur anhand auslaufender Leasing-Verträge erkannt, sondern „predictive“ antizipiert werden.
- Darüber hinaus bietet die Datenanalyse einen weiteren Mehrwert: Advanced Analytics kann die von Politik und Gesellschaft angestrebte Dekarbonisierung unterstützen, indem mithilfe einer intelligenten Auslastung von Leasing-Gütern CO2-Emissionen reduziert werden.
Vieles steckt noch in den Kinderschuhen, aber die Richtung ist vorgegeben. Auf dem Weg müssen Leasing-Gesellschaften und ihre Geschäftspartner einige Herausforderungen meistern.
Change-Prozess für alle Beschäftigten
Advanced Analytics stellt einen enormem Change-Prozess dar – nicht nur im Bereich der IT, sondern vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es werden nicht weniger, sondern mehr qualifiziertere Fachkräfte gebraucht. Der Vertrieb, aber auch die Geschäftsführung, benötigen zunehmend IT-Kompetenz. Die Beschäftigten müssen vom Mehrwert überzeugt, geschult und weitergebildet werden. Gezielte Personalplanung muss dem generellen Fachkräftemangel und Nachwuchsthemen entgegengesetzt werden.
Neue digitale Prozesse bedeuten zuvorderst Investitionen in die IT. Diesen Kosten stehen zunächst kein unmittelbarer Ertrag, Gewinn oder Neugeschäft gegenüber. Während also Einsparpotenziale in kurzer Zeit nicht realisierbar sind, fallen Kosten sofort an. Und sie sind nur begrenzt variabel: IT-Investitionskosten müssen große wie kleine Unternehmen stemmen, sofern für sie die gleichen (regulatorischen) Anforderungen gelten. Für kleinere Leasing-Gesellschaften, die über weniger Personal- und Finanzkapazitäten verfügen, ist der finanzielle Aufwand daher überproportional hoch. Aus diesem Grund setzt sich der Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen (BDL) seit vielen Jahren bei Gesetzgeber und Aufsicht für proportionale Anforderungen im Verhältnis zu Unternehmensgröße und Risikoprofil des Geschäftsmodells ein.
Mehr Verständnis der Aufsicht
Outsourcing bietet daher, gerade für kleinere Leasing-Gesellschaften, eine Chance. So kann externes Know-how gewonnen werden, wo andernfalls nur eingeschränkter Zugang bestünde. Dieser Aspekt wird von der Aufsicht bisher nicht ausreichend gewürdigt. Umgekehrt bedürfen neue, spezifischere Datenanalysen zeitlich angemessene Umsetzungsperioden. Diese hängen von der Größe der Gesellschaft ab, was zumeist keine Rolle bei Gesetzgeber und Aufsicht spielt. Doch auch bislang unbeaufsichtigte IT-Unternehmen geraten mit ihren Dienstleistungen in den Anforderungskatalog der Aufsicht. Augenmaß einerseits und kooperative Lösungsansätze bei der Umsetzung der Anforderungen andererseits sind erforderlich.
Der BDL wünscht sich daher z. B. in puncto Auslagerungslösungen mehr Verständnis für die praktischen Auswirkungen auf die mittelständisch geprägte Leasing-Branche. Immerhin hat etwa die Hälfte der Leasing-Gesellschaften im BDL weniger als 15 Beschäftigte. Regelungen wie zuletzt im Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität stärken massiv den „Durchgriff“ der BaFin auf Auslagerungsunternehmen.
Fazit: Kundennähe mit Innovation und Flexibilität
Leasing-Gesellschaften werden auch künftig im Markt aufgrund ihrer Erfahrung und Kundennähe mit Innovationen und Flexibilität auf sich aufmerksam machen, Impulse von den Kunden aufnehmen und eigene setzen. Die Kundenfokussierung wird zu fortgeschrittenen Datenanalysen führen. Bestehende Kompetenzen werden neu gedacht und weiterentwickelt werden. Beratungsservice wird noch stärker von der datenbasierten Analyse der Bedürfnisse und dem Timing der Wunscherfüllung abhängen.
Die Leasing-Wirtschaft finanziert über ein Viertel aller Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland und sorgt so dafür, den Kapitalstock der Unternehmen in Deutschland zu modernisieren. Nicht zuletzt wird die Leasing-Branche einen erheblichen Anteil daran haben, die Transformation der Wirtschaft zu finanzieren, zu begleiten und erfolgreich zu realisieren.