Die EZB ist in den Eurostaaten mit großer Kritik konfrontiert. Die einen beklagen die lasche Geldpolitik, die anderen bemängeln die enormen sozialen Auswirkungen bei der Sanierung der Staatshaushalte. Nun geht die Präsidentin Christine Lagarde einen neuen Weg – und scheitert.
Das war ein kurzes mediales Strohfeuer: Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde forderte die Bürger der Eurostaaten auf, in den Dialog mit der Notenbank zu treten. Zuerst können die Menschen über das Internet ihre Meinung über die EZB-Politik äußern, später soll es in den 19 Euro-Staaten Veranstaltungen geben, bei denen man sich persönlich austauscht. Dieser Angang Lagarde’s ist vollkommen neu für die EZB. Bislang gefiel man sich in der Rolle der unabhängigen Institution, die wissend um ihre Weisheit, Geldpolitik gemacht hat – ganz egal, ob die Entscheidungen verstanden wurden oder nicht, ob sie auf große Akzeptanz oder Ablehnung stießen. Da ließ der Vorstoß der Präsidentin aufhorchen. Dementsprechend groß war das mediale Echo. Europaweit wurde berichtet. Parallel kommunizierte die EZB in sozialen Kanälen.
Das war’s.
Meinungsforum tief versteckt auf der EZB-Webseite
Wer trotzdem auf die Aktion aufmerksam wurde und sich berufen fühlte, der EZB seine Meinung mitzuteilen, stieß allerdings auf ein Problem: Die eigens eingerichtete Webseite ist nur unter großer Mühe zu finden. Selbst im Internetauftritt der Notenbank hat die Kampagne der Präsidentin keine prominente Heimat. Die Folge: Von den wenigen, die sich breiten Kanon der Bürger-Meinungen wird ein bescheidenes Rinnsal.
Dabei ist die Idee Lagarde’s nicht schlecht. Geradezu mutig. Wenn Institutionen struktureller Kritik ausgesetzt sind, hilft es, wenn sie sich das Mandat der Menschen einholen und danach ihre Arbeit ausrichten. Wenn es dann noch Kritik gibt – und die lässt sich nicht verhindern –, genügt der Hinweis, dass doch die EZB genau das tut, was sich die Menschen gewünscht haben. Wer will das ernsthaft kritisieren.
Handwerkliche Kommunikationsfehler der EZB
Die EZB-Präsidentin hätte also mit ihrer Kommunikationskampagne einen Befreiungsschlag für die EZB erringen können. Tatsächlich ist sie daran gescheitert:
- Das Einholen des Mandats funktioniert nur, wenn sich alle eingeladen fühlen mitzumachen – tatsächlich hat so ziemlich niemand von der EZB-Initiative gehört.
- Außerdem müssen die Engagierten eine echte Chance haben, ihre Meinung tatsächlich abzugeben. Diese engagierten Bürger sind später die wichtigsten Multiplikatoren, denn sie sollen berichten, dass sie an der Neuausrichtung der Notenbank persönlich mitgewirkt haben. Dass da also wirklich eine Bürgerbeteiligung gab.
- Und dann muss die EZB auch noch ihre Politik an den Wünschen der Bürger ausrichten. Das ist eine Quadratur des Kreises, denn Südländer haben diametral andere Wünsche an die Hüter des Geldes als die Nordländer. Das hätte man mit klugen Ableitungen aus den Meinungen der Bürger hinkriegen können. Den ernsthaften Willen, sich dem Willen der Menschen zu unterwerfen, hätte die EZB aber unter Beweis stellen müssen.
So aber scheitert die Kampagne bereits am ersten Erfordernis. Niemand weiß davon. Also verfängt die Kampagne nicht. Also bekommt die EZB kein Mandat von den Menschen.
Das ist sehr schade, denn die EZB hätte eine Vorzeigebank sein können. Auch anderen Banken stände es gut zu Gesicht, sich das Mandat der Menschen zu holen: Beginnend bei der „Staatsbank“ Commerzbank, gefolgt von Deutscher Bank und den Landesbanken. Die Liste ist lang.
Nur weil die EZB scheitert, ist die Idee nicht schlechter geworden. Welcher Topmanager einer Bank traut sich diesen Befreiungsschlag in der strukturellen Reputationskrise zu?