Sollte sich beim Financial Home alles um Produkte drehen? Auf keinen Fall, denn niemand möchte etwas verkauft bekommen. Wenn der Kunden sich wohlfühlen soll, muss er finden, was er sucht. Das sind Lösungen für seine Wünsche und Hilfen zur Erreichung seiner Ziele.
Die Finanzdienstleister definieren ein Financial Home als Idee einer Allfinanzplattform. Also als zentralen Anlaufpunkt, von dem aus der Kunde alle Finanz-Produkte im Überblick hat. Versicherungen bieten daher zusätzlich Bankprodukte an (Assurbanking) und Banken eben Versicherungsprodukte (Bancassurance). Beides jedoch aktuell nur mit mäßigem Erfolg. Interessant ist allerdings, dass die an Finanzdienstleister gerichtete Werbung davon spricht, die Alltagsrelevanz der Unternehmen zu erhöhen, Vertriebspotenziale zu generieren und die Kundenschnittstelle zu sichern. Nichts davon ist aus meiner Sicht von Relevanz für die Kunden.
Selbst Umfragen helfen in diesem Zusammenhang nur bedingt weiter, weil viele von Beratungsunternehmen in Auftrag gegeben werden. Deren Ziel es ist, Finanzdienstleister zu beraten. Dort ergibt sich beispielsweise, dass die Mehrheit der Befragten Banken als bevorzugten Anbieter für ein Financial Home sehen. Deutlich vor Finanzberatungs-Apps und diese noch vor Versicherungen und BigTechs. Allerdings hat erst ein Drittel der Befragten überhaupt Interesse an einem Financial Home, nach einer Financial Needs-Studie der Strategieberatung Oliver Wyman.
Einfach den Kunden in den Mittelpunkt stellen!
Aber die Ursachen dafür sind nicht eindeutig, vielleicht machen es die Unternehmen nur falsch. Die Kunden haben eben kein Interesse oder sie bekommen schlicht noch nicht das, was sie wollen. Meiner Meinung nach ist verständlich, dass Kunden gerne einen Ort hätten, an dem sie alle Informationen zu all ihren Finanzprodukten finden könnten. Dies ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, auf wie viele Stellen diese Informationen verteilt sind, wenn Produkte von verschiedenen Banken und Versicherungen gekauft wurden. Aber was bringt die Einsicht in alle Produktdaten und wann wird sie überhaupt benötigt? Doch allerhöchstens, wenn ein Überblick erstellt werden soll. Mit dem wird dann festgestellt, ob ein Produkt fehlt oder sich die Situation so verändert hat, dass Anpassungen vorgenommen werden müssen. Aus Sicht eines Verkäufers ein guter Ansatzpunkt.
Ich glaube jedoch nicht, dass es den Kunden darum geht. Schon gar nicht, alle verfügbaren Finanz-Produkte an einer Stelle zentral kaufen zu können. Der Kunde sucht nicht nach Produkten, sondern hat Wünsche und Ziele, die er erfüllen oder erreichen möchte. Dabei kann ein Produkt helfen, aber den Transfer muss entweder der Kunde selbst leisten oder ein Berater, der dafür bezahlt wird, direkt oder indirekt. Es ist daher viel wahrscheinlicher, dass der Kunde in seinem Financial Home eben nicht die Informationen zu seinen Produkten sucht. Sondern Informationen zu seiner finanziellen Situation und Beratung zu seinen Möglichkeiten.
Daher gehe ich noch weiter und behaupte, dass es den Kunden überhaupt nicht um Produkte geht. Lediglich um eine zentrale Stelle, an der sie alle benötigten Finanz-Informationen im Blick haben. Die Informationen unterscheiden sich aber von den Produkten und müssen aus dem Blickwinkel des Kunden nach Themen geordnet sein. Also bspw. das Thema Liquidität, immer genügend Geld zu haben, um alle Rechnungen bezahlen zu können, oder Diversifikation, um die Risiken der Geldanlage übergreifend einschätzen zu können.
Das wäre ein echtes Financial Home
Wenn ich mit der Behauptung richtig liege, dann sucht der Kunde rund um diese Informationen auch keine Produkte, die er einfach kaufen kann. Er sucht vielmehr nach Wissen und Verständnis, um Sicherheit im Umgang mit den eigenen Finanzen zu erlangen. Abgerundet werden muss diese Verfügbarkeit deshalb von Dokumentationen und Hilfen in einer Art Beratung.
Diese Beratung sollte dem Kunden jedoch nicht nur Fragen beantworten, die er schon hat. Sie muss außerdem neue Zusammenhänge aufzeigen, die ihm noch unbekannt sind. Es spielt daher auch keine Rolle, wer ein solches Financial Home anbietet: eine Bank, eine Versicherung, eine Finanzberatungs-App oder ein Big Tech, weil Wissen und Beratung unabhängig sein müssen.
Im Ergebnis ist jedoch klar, dass das Financial Home eine Plattform sein muss, die entweder über den Browser oder eine Finanzberatungs-App genutzt wird, am besten über beide Wege. Dies lässt viele Freiheiten der Präsentation und der Veränderung, weil es keinesfalls statisch sein kann. Außerdem wird kaum vorherzusehen sein, welche Bedürfnisse die Kunden wirklich haben und wie sich diese Bedürfnisse mit der Zeit verändern. Besonders das Erkennen und die Reaktion darauf wird beeinflussen, wie gut das Financial Home langfristig von den Kunden angenommen wird.
Außerdem ist eine wesentliche Frage, wie das Financial Home strukturiert sein sollte. Meines Erachtens sollte sich die Aufbereitung nach der Wissensvermittlung richten. Es geht darum trockene Informationen so aufzubereiten, dass sie der Kunde leicht aufnehmen kann. Also muss zunächst eine Abwägung erfolgen, wie die Informationen aufbereitet werden: als Blog-Post, Podcast, Video oder Online-Kurs. Ebenso sind Werkzeuge denkbar, mit denen der Kunde seine Situation tiefer und besser analysieren oder zukünftige Entwicklungen simulieren kann. Je nachdem, wie die Aufbereitung der Informationen erfolgt, ergeben sich andere Anforderungen an ein Financial Home, so wie YouTube, Udemy, Spotify oder Educational Games anders aufgebaut sind.
Der Kunde muss sich zu Hause fühlen!
Entscheidend ist aber, dass der Kunde sich so wohl fühlt, als wäre er zuhause, in seinem finanziellen Haus. Denn das soll ein Financial Home sein. Es geht nicht um ein Schlagwort, unter dem Unternehmen zusammenfassen, was ihren Wünschen entspricht. Es geht um die Wünsche der Kunden.
Denn egal wie schön eine Bankfiliale, eine Versicherungsagentur oder ein Büro einer Finanzberatung ist; kein Kunde wird sich darin zuhause fühlen, denn er ist bei Fremden und kann sich alleine deshalb nicht so benehmen, wie er es vielleicht daheim tun würde. Aus diesem Grund muss ein Financial Home so aussehen, wie es sich der Kunde vorstellt und einrichtet.
Das bedeutet, dass er sich überhaupt zu Recht findet und außerdem alles schnell erreichen kann, was er sucht. Was das genau ist und wie alles angeordnet sein muss, ist natürlich deutlich schwieriger festzulegen, als zu wissen, was nicht der Fall sein sollte. Er kann für sich bspw. schnell entscheiden, dass er keine Produkte in seinem zuhause kaufen möchte und auch kein Interesse daran hat, seinen Strom- oder Gasanbieter zu wechseln.
Es kann aber durchaus sein, dass der Kunde ab und an ein Produkt abschließen oder den Anbieter wechseln möchte, aber keinesfalls möchte er es ständig angeboten bekommen. Es soll erst auf seine Initiative hin geschehen. Also möchte er schnell zu diesen Möglichkeiten gelangen können, wenn er dies wünscht. Aber diese sollen nicht so präsent sein, dass es ständig mit nur einem Klick möglich ist.
Ein Financial Home ist automatisierte Finanzberatung
Im Ergebnis benötigt ein Financial Home ein wesentlich komplexeres Konzept, als die im Vergleich leichtere Implementierung des Verkaufs vieler Produkte an einer zentralen Stelle. Der Mehrwert für den Kunden ist jedoch der weiterbildende Ansatz und der Verständnisgewinn des Kunden bzgl. seiner finanziellen Situation. Ob er dafür bereit ist, einen geringen regelmäßigen Beitrag zu bezahlen, muss die Zukunft zeigen. Ist er dies nicht, so wird er sich mit Plattformen für den Verkauf von Produkten zufrieden geben müssen, weil sich jedes anbietende Unternehmen finanzieren muss.
Die Frage ist außerdem, welcher regelmäßige Betrag für die Kunden akzeptabel ist. Unter dem Gesichtspunkt, dass der Vermögensbedarf im Rentenalter durchaus sechsstellig sein kann, sollten Beträge unter 100 € im Jahr durchaus akzeptabel sein. Es ergibt sich von selbst, dass geringer immer besser ist. Der Markt wird zeigen, wie günstig diese Dienste bereitzustellen sind. Ob der gebotene Mehrwert anschließend den Preis rechtfertigt, werden wiederum die Kunden entscheiden. Die Marktdurchdringung wird anschließend zeigen, ob die Anbieter eines Financial Home auf dem richtigen Weg sind.
Aus meiner Sicht kann ein Financial Home als automatisierte Finanzberatung den Durchbruch schaffen. Es könnte die Kunden weg von der oberflächlich kostenlosen Provisionsberatung hin zu einer Honorarberatung bewegen. Ob, und wenn wie schnell, wird die Zukunft zeigen. Allerdings gibt es genügend Initiativen auf europäischer und länderspezifischer Ebene, die sich dies zum Ziel gesetzt haben. Es besteht also durch Grund für Optimismus und ich würde es mir wünschen!