Financial Literacy – Finanzbildung – ist ein wichtiges Thema, sowohl für die Kunden als auch für die Banken. Es bietet vielfältige Chancen und vermeidet finanziellen Stress. Was Banken tun sollten, verrät Jan-Philipp Koch, Head of Banking Deutschland bei Zühlke, im Interview.
Den Deutschen wird allgemein eine schlechte Finanzbildung nachgesagt. Doch wie steht es tatsächlich um die Einstellung zu Geld und Geldanlagen, das Finanzverhalten und die Finanzbildung von Bankkunden in Deutschland? Was erwarten die Kunden von ihrer Bank?
Der Innovationsdienstleister Zühlke hat versucht, dies im Rahmen einer Studie zu ermitteln. Die Themenfelder Financial Literacy und Educational Banking bieten demnach Chancen aber auch Handlungsdruck für die Banken.
Interview mit Jan-Philipp Koch, Zühlke
Über die Ergebnisse und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für die Banken und Sparkassen habe ich mich mit Jan-Philipp Koch unterhalten. Er ist Head of Banking Deutschland der Zühlke Engineering GmbH und berät Banken und Finanzinstitute in der digitalen Transformation sowie bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle entlang der Top Trendthemen Data, AI, Sustainability und Blockchain. Vor seinem Wirtschaftsstudium sammelte er als Bankkaufmann und Finanzassistent bei der Schwäbisch Hall Erfahrungen in der Vorsorgeberatung von Privatkunden.
Deutsche haben hohes Interesse an Sparen und Geldanlage
Der Bank Blog: Die Deutschen gelten ja bekanntermaßen als das „Volk der Sparer“. Bestätigt sich dies aus Ihrer Umfrage?
Jan-Philipp Koch: Was die Summe betrifft, die monatlich zurückgelegt wird, zeigt sich – mit Sicherheit auch verstärkt durch die Inflation – ein gespaltenes Bild: Jeder zweite Befragte legt mindestens 150 Euro zurück und jeder zehnte sogar mehr als 500 Euro. Am anderen Ende der Skala sparen 40 Prozent weniger als 100 Euro, jeder zehnte sogar gar nicht. Von dieser letztgenannten Gruppe erklären knapp 80 Prozent: „Es ist mir finanziell nicht möglich zu sparen.“
Über alle Gruppen hinweg erhöht sich jedoch – ebenfalls aufgrund der hohen Inflationsraten – das Interesse der Kunden am Thema Sparen und Geldanlage. Laut der Umfrage spüren knapp drei Viertel aller Befragten eine starke Belastung durch die aktuellen Preissteigerungen.
Der Bank Blog: Zieht sich der Trend „Pro-Geldanlage“ durch alle Generationen?
Jan-Philipp Koch: Rund 60 Prozent aller Befragten erklären, dass sie sich stärker mit dem Thema Sparen und Geldanlage befassen möchten. In der Altersklasse von 18 bis 29 Jahren sind es sogar 77 Prozent. Insbesondere für junge Menschen ist die hohe Inflation ein Bedrohungsszenario. Sie erkennen, dass sie dringend handeln müssen, um später ein sicheres Auskommen zu haben.
Banken müssen Kunden gezielt ansprechen
Der Bank Blog: Sparen und Geldanlage sind in Zeiten einer Inflation ein schwieriges Thema. Was können Banken und Sparkassen tun, um dem entgegenzuwirken?
Jan-Philipp Koch: Eine Strategie, die sich an alle richtet, ist zum Scheitern verurteilt, da die Kunden unterschiedliche Bedürfnisse und finanzielle Möglichkeiten haben. Um gezielte Maßnahmen zu entwickeln, sollten Banken und Sparkassen die jeweiligen Vorlieben, Sorgen und Nöte ihrer unterschiedlichen Zielgruppen erforschen. Auf Grundlage dieser Informationen lassen sich personalisierte digitale Erlebnisse schaffen, die den Kunden stimmige Angebote unter anderem für die systematische Kapitalanlage nahebringen.
Ein konkretes Beispiel: Durch eine gezielte Ansprache über eine neue mobile App konnte die HSBC in Großbritannien zahlreiche Kunden für ein Investment in Wertpapiere gewinnen. Gezielt adressiert wurden Kunden im Wealth Management, die bislang nicht in Aktien, Fonds oder ETFs investiert hatten.
Das Projekt, das wir als Innovationsberatung unterstützt haben, fokussierte sich insbesondere auf das zielgruppengerechte Wording und eine individuelle Costumer Journey. Berücksichtigt wurde zum Beispiel, dass vieler dieser Kunden von dem breiten Angebot überfordert waren und die stark ausgeprägte Finanzsprache nicht verstanden.
Wichtig war zudem, den in Bezug auf die Kapitalanlage unerfahrenen Kunden die Bedeutung eines systematischen Vermögensaufbaus nahezubringen. Auf diese Weise ließen sich viele der Kunden überzeugen, zum Beispiel mit 50 Pfund im Monat in die Kapitalanlage einzusteigen.
Deutsche Anleger scheuen das Risiko
Der Bank Blog: Legen die Deutschen ihr Geld strategisch sinnvoll an? Erkennen Sie eine Strategie?
Jan-Philipp Koch: Bei der systematischen Vermögensbildung zeigt sich bei den befragten Bankkunden viel Luft nach oben. Das gilt insbesondere für den Abgleich der Sparziele mit dem tatsächlichen täglichen Ausgabeverhalten sowie die Interpretation von Risiko (Verlustrisiko, Inflationsrisiko).
So erklären zwar 47 Prozent der Befragten, dass sie einen Teil ihres Geldes risikoreich anlegen würden. Jeweils nur rund 20 Prozent der Befragten geben jedoch an, Fonds/ETFs bzw. Aktien zu besitzen. Als Hauptgrund, sich gegen diese Anlageformen zu entscheiden, nennen sie mangelndes Wissen (36 Prozent). Etwa ein Drittel scheut das Risiko, Geld zu verlieren. Hier handelt es sich jedoch um ein großes Versäumnis bzw. ein falsches Verständnis von Risiko. Denn nicht nur bei der derzeitigen Inflationsrate handelt es sich beim Nicht-Investieren um eine der größten Gefahren.
Banken sollten Kunden aktiv bei Finanzen unterstützen
Der Bank Blog: Wie sollten Banken auf das Verhalten ihrer Kundinnen und Kunden reagieren?
Banken können entlang dieser Herausforderungen den Kundenwert deutlich steigern. Neben der gezielten Unterstützung bei der Geldanlage durch die Vermittlung von Wissen, sollten Banken ihre Kunden aktiv vor Überschuldung und dem Abrutschen ins Minus schützen. Denn diese Situation löst sowohl bei den Kunden als auch bei der Bank Stress aus. Unsere Umfrage hat ergeben, dass eine beträchtliche Anzahl der Kunden die Übersicht über ihre Finanzen verliert – zum Beispiel aufgrund zahlreicher abgeschlossener Verträge und Abonnements. Auch in dieser Hinsicht ließe sich mittels automatisierter Angebote und Services viel erreichen. Hierbei sprechen wir nicht über ein zusätzliches Angebot wie den Finanzplaner, der Ausgaben kategorisiert und aufaddiert. Diesen nehmen die Direktbanken ja auch teilweise schon wieder aus dem Angebot. Wir sprechen hier über einen integrierten Service, der beim täglichen Konsum unterstützt und die langfristige Vermögensoptimierung fokussiert.
Kunden erwarten Educational Banking Services
Der Bank Blog: Stichwort Banken-Angebote: Wofür wären die Befragten denn besonders empfänglich?
Jan-Philipp Koch: Über alle Altersgruppen hinweg wünschen sich rund 60 Prozent der Bankkunden von ihrer Bank eine aktivere Rolle beim Finanzmanagement. Für drei Viertel der Befragten wären zum eigenen Einkaufsverhalten passende Rabattcoupons ein interessantes Angebot. Rund 60 Prozent würden es begrüßen, wenn auf ihren Wunsch hin ihre Ausgaben auf Einsparpotenziale geprüft werden.
Ebenfalls 60 Prozent würden einen Service nutzen, bei dem beim Einkaufen die Differenz zu aufgerundeten Rechnungsbeiträgen automatisch in Fonds, ETFs oder Krypto-Assets investiert wird. Hierbei handelt es sich um ein sehr niedrigschwelliges Angebot zum Einstieg in die systematische Geldanlage. Mehr als 60 Prozent der Befragten wären bereit zu einer Bank zu wechseln, die solche sogenannten Educational Banking Services anbietet, die Kunden zum bewussteren Umgang mit ihrem Geld und den Einstieg in die Kapitalanlage animieren.
Banken haben bei der Beratung ein strukturelles Problem
Der Bank Blog: Testkäufe zeigen immer wieder, dass Banken am Kundenbedarf vorbei beraten. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit dies nicht mehr passiert?
Es gibt ein strukturelles Problem bei den Banken, da ein Berater oder eine Beraterin eine immer größere Anzahl an Kunden betreuen muss. Auch hier kann technologische Unterstützung dabei helfen effizienter den Kunden zu analysieren, passgenaue Produkte auszuwählen und die Compliance zu überwachen.
Ich denke zum Beispiel an systemseitige Empfehlungen und Hinweise zum Risikoprofil des Kunden und den entsprechenden Produkten. Wichtig ist auch hier zuvor eine detaillierte Kundenanalyse, damit die benötigten Informationen vorliegen.
Der Berater der Hausbank hat einen Vertrauensvorschuss
Der Bank Blog: Sie haben für die Studie auch die Kompetenzfrage gestellt. Wer ist aus Kundensicht der wichtigste Ansprechpartner beim Thema Geldanlage?
Jan-Philipp Koch: Noch haben über alle Kundengruppen hinweg betrachtet die Berater bei der Hausbank einen Vertrauensvorschuss, den sie für sich nutzen und in entsprechende Angebote ummünzen sollten – solange er in dieser Form noch existiert. In einigen Kundengruppen – etwa bei den vergleichsweise gut informierten „umsichtigen Anlegern“ – informieren sich die Kunden bei möglichen Mehrfachnennungen bereits in erster Linie bei Finanzmagazinen (42 Prozent) und den Online-Angeboten der Banken (36 Prozent). Sie sind auch offen gegenüber Finanz-Apps (31 Prozent).
Technologien ermöglichen mehr Qualität
Der Bank Blog: Welche Rollen spielen neue Technologien wie Generative AI/künstliche Intelligenz beim Thema Anlage und Kundenservice?
Jan-Philipp Koch: Die Technologien ermöglichen den Banken eine qualitative Verbesserung in der Kommunikation mit dem Kundenservice oder in der Beratung. Hier hilft generative AI maßgeblich, da sich durch sie neue Möglichkeiten ergeben. In Kombination mit der internen Datenbank können Inhalte schneller und besser aufbereitet oder zusammengefasst werden, sodass schneller eine Auskunft erteilt werden kann.
Künstliche Intelligenz ermöglicht jedoch zudem schnelleres Wachstum – zum Beispiel mithilfe der bereits erwähnten digitalen Services. Durch die personalisierte Ansprache verbessert sich auch die Interaktion mit den Kunden enorm. Die Kombination aus User Experience und KI ermöglicht es, digitale Erlebnisse bedürfnisorientiert zu gestalten, anstatt lediglich die bisherigen Offline-Prozesse zu digitalisieren. Dieses Potenzial wird von den klassischen Banken noch zu wenig genutzt.
In der Finanzbildung der Deutschen gibt es große Lücken
Der Bank Blog: Stichwort Finanzbildung: Wo stehen die Deutschen nach den Erkenntnissen Ihrer Studie?
Jan-Philipp Koch: In der Studie werden große Lücken in der Finanzbildung deutlich. So geben zwar knapp 70 Prozent der Befragten an, sich sehr gut oder eher gut mit dem Thema Geldanlage auszukennen. Lediglich jeder Zweite kann jedoch spontan eine Frage zur Verzinsung eines Anlagebetrages richtig beantworten und nur 40 Prozent der Befragten schätzen den Effekt der Inflation korrekt ein.
Noch schlechter liegen die Befragten, wenn es um das Risiko einzelner Anlageformen oder die Frage nach der Abgeltungssteuer geht. Hier weiß jeweils nur rund ein Viertel der Befragten die richtige Antwort. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Großteil der Bevölkerung mehr Unterstützung für bewusstere Investitionsentscheidungen benötigt.
Banken sollten sich stärker dem Thema finanzielle Bildung widmen
Der Bank Blog: Wie lauten Ihre Empfehlungen, um die Finanzbildung der Deutschen zu verbessern?
Jan-Philipp Koch: Die Banken sollten sich stärker dem Thema finanzielle Bildung widmen, um ihre Kunden für ein systematisches Vermögensmanagement zu gewinnen. Dabei ist nicht zuletzt der passende Kanal wichtig: Viele Kunden bilden sich grundsätzlich gern mit Online-Tutorials weiter, sind sehr aktiv in den sozialen Medien und spielen Online-Games. Start-ups und die Finfluencer, die eine bestimmte Zielgruppe erreichen, sind nicht ohne Grund so erfolgreich.
Der Erfolg besteht maßgeblich darin, dass sie genau die Sprache dieser Zielgruppe sprechen. Warum sollten klassische Banken nicht auch diese Flexibilität und Zielgruppengenauigkeit anbieten?
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Whitepaper zu Financial Literacy beleuchtet das Finanzwissen in der Bevölkerung und zeigt die damit verbundene Business-Relevanz für Banken auf. Sie können es hier herunterladen.