Die Corona-Krise hat auch die Finanzindustrie zur Arbeit aus dem Homeoffice gezwungen. Damit wird das Bild eines typischen Arbeitsplatzes auf den Kopf gestellt. In Zukunft steht der flexible Nutzer im Mittelpunkt, unterstützt von modernen Digitalisierungstools.
Die Corona-Pandemie hat viele Unternehmen dazu gezwungen, ihrer Belegschaft Homeworking anzubieten. Damit ging es für die entsprechenden Mitarbeiter heraus aus einer effizienzerprobten Umgebung im Büro, deren Strukturen und Arbeitsweisen über einen langen Zeitraum hinweg aufgebaut wurden, hinein in ein Umfeld, in dem bis dahin vornehmlich private Abläufe herrschten. Doch ein Internet-fähiger Laptop an einer Ecke des Wohnzimmertisches macht noch lange keinen adäquaten Arbeitsplatz. Vielmehr müssen Strukturen und Abläufe im Heim an die neue Situation angepasst werden. Geeignete Kommunikations- und Kollaborations-Tools müssen einen effizienten Bürobetrieb soweit als möglich nachbilden beziehungsweise unterstützen. Finanzinstitute stellt es zusätzlich vor große Herausforderungen, ihre sensiblen Daten, Identitäten und Zugänge bei der Nutzung durch zu Hause installierte Endgeräte sowie individuelle Datenverbindungen und Software zu schützen.
Ein Homeoffice aufzubauen, das diese Bezeichnung wirklich verdient, geht nicht von heute auf morgen. Gerade der Finanzsektor war und ist wegen der Kritikalität des Geschäfts angehalten, Sorgfalt walten zu lassen. Und so werden vielerorts solide durchkonzipierte Lösungen umgesetzt, die Appetit auf mehr machen: Einmal etabliert, sind solche Remote-Arbeitsplätze eine ideale Basis, um den digitalen Finanzarbeitsplatz weiter auszubauen und für die Zukunft mit speziell benötigten Fähigkeiten auszustatten – unabhängig davon, wo sich dieser Arbeitsplatz physisch befindet.
Virtuelle Meetings und Konferenzen optimieren Zusammenarbeit
Eine Telefon-Nebenstelle auf einen Heim- oder Handyanschluss umzuleiten, mag ein elementarer Faktor des flexiblen Arbeitsplatzes sein, der Werkzeugkasten gibt heute jedoch wesentlich mehr her. Der Markt für virtuelle Conferencing- und Collaboration-Tools hat sich mit dem Ausbau von Internet- und Mobilfunk-Infrastrukturen zu hoher Reife entwickelt. Einigen Produkten fehlt es zwar noch an den für die Finanzindustrie erforderlichen Sicherheitsmerkmalen, doch auch die Auswahl in diesem Bereich wird zusehends größer. Die Tools bieten mitunter sehr effektive Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit von Teams, deren Mitglieder an völlig unterschiedlichen Orten arbeiten – mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen geht das sogar rund um den Globus.
Die Zusammenarbeit beschränkt sich dabei nicht nur auf gemeinsame virtuelle „Räume“, in denen sich die Teams per Audio und Video wie bei einem Meeting vor Ort besprechen können. Je nach Tool wird gleichzeitig auch schriftliches Chatten, gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten, Teilen von Präsentationen, Austausch von Dokumenten und einiges mehr unterstützt. Hinzu kommen Aufzeichnungs- und Protokollfunktionen. Auch ohne Corona und Homeoffice lässt sich die Meeting-Effizienz in Finanzinstituten mit solchen Werkzeugen deutlich verbessern.
Die IT-Infrastruktur muss jedoch zuvor entsprechend auf- und ausgerüstet werden. Andernfalls passiert das, was besonders am Anfang der Pandemie bei manchen Banken zu beobachten war – und zum Teil immer noch ist: Die IT war dem gleichzeitigen Ansturm der User nicht gewachsen, und Systeme brachen regelmäßig zusammen. Viele behalfen sich mit Stufenplänen, um die Nutzung der begrenzten Ressourcen zu entzerren. Langfristig ist das aber nicht die Lösung: Alle Unternehmen benötigen performante IT, die ihre Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit unterstützt und Zusammenarbeit fördert – in Person und virtuell.
Schnelle Bedarfsanpassung durch Citizen Development
Gerade in der Finanzindustrie wird es in unserer schnelllebigen Welt immer wichtiger, zügig auf neue Situationen reagieren und individuelle Anforderungen flexibel bedienen zu können. Im digitalen Zeitalter bedeutet das vor allem eines: Schnelle, agile Entwicklung von Software. Doch genau hier liegt das Problem. Softwareentwicklung geht in der Finanzwelt oft schwerfällig und zäh vonstatten. Das liegt an vergleichsweise langen Releasezyklen, die unter anderem den hohen Sicherheitsanforderungen mit entsprechend aufwändigen Testläufen geschuldet sind. Nicht selten bremsen auch bürokratische Hemmnisse nötige Innovationen aus, und schließlich haben hoher Rationalisierungsdruck, der Abgang alteingesessener Experten in die Rente, ein harter Kampf um neue Talente sowie die Auslagerung von IT-Jobs an externe Dienstleister bei vielen Banken, Versicherungen und Asset Managern die IT-Entwicklerteams personell ausgedünnt.
Eine spannende Perspektive, trotz dieser Situation auf die Bedürfnisse sehr spezifischer Nutzergruppen eingehen zu können, bietet das sogenannte Citizen Development. Durch den Einsatz sehr einfach aufgebauter Software-Baukästen können Mitarbeiter aus den Fachabteilungen ohne jegliche Programmierkenntnisse schnell eigene Anwendungen „komponieren“, die exakt auf ihr spezielles Problem zugeschnitten sind. Als einzige Voraussetzung für diese Form der low code-/no code-Softwareentwicklung gilt ein grundlegendes Technikverständnis. Die eigentliche Programmierung der Lösung wird automatisch von einem Baukastensystem übernommen. Gerade vor dem Hintergrund knapp besetzter IT Teams bietet Citizen Development eine willkommene Entlastung.
Der Nutzer im Mittelpunkt
Der besondere Charme dieses Digitalisierungsbausteins liegt darin, dass Mitarbeiter ihre Anforderungen direkt selbst umsetzen können, ohne auf die langen Releasezyklen der IT-Abteilung warten zu müssen. Diese liegen in der Finanzwelt typischerweise bei sechs bis zwölf Monaten – eine schnelle Umsetzung aktueller Anforderungen ist damit nicht möglich. Die Pandemie hat diesbezügliche Schwachstellen aufgezeigt und einen starken Anstoß gegeben, solche Entwicklungen zu forcieren. So häufen sich beispielsweise die internen und externen Anfragen nach nicht standardisierten Analysen – viele Banken und Versicherungen sind nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand in der Lage, Krisensituationen zügig zu analysieren und fundierte Entscheidungen zu treffen. Dies ist eine potenzielle Aufgabe, bei der Citizen Development (oder Citizen Data Science) sehr effektiv helfen kann. Auch können Nutzer mit Hilfe eines Citizen Development Tools schnell und eigenständig mit neuen Ideen und Vorstellungen spielen, um nach und nach den höchstmöglichen Nutzen für ihre Anforderungen zu erzielen.
Ganz neu ist dieser Trend nicht: Im Grunde sind auch die zahlreichen Tabellenkalkulationen, die im Rahmen „individueller Datenverarbeitung“ bei vielen Banken und Versicherungen über die Jahre entstanden sind, nichts anderes. Der Unterschied ist, dass hier viel codiert werden muss und deutlich weniger Funktionen zur Verfügung stehen. Zudem sind Excel-Tabellen schnell zentral für alle abgelegt und zugänglich oder kopiert und geteilt – per Citizen Development hingegen lassen sich Dokumente und die Nutzung von Bank- und Versicherungsprogrammen einfach mit differenzierten Zugriffsregeln versehen. So sind auch Datenschutzanforderungen mit der Entwicklungsmethode gut umsetzbar. Nicht nur für die Finanzindustrie ist es lohnend, Citizen Development zu fördern, denn eine fachnahe „Entwicklertruppe“ bildet für jedes Unternehmen einen beachtlichen Mehrwert.
Dennoch sollte man nicht blauäugig an die Sache herangehen, denn natürlich gibt es auch in diesem Szenario Risiken. So kann eine spätere Integration der Citizen Development Tools in die Banken- oder Versicherungs-IT schwierig werden, wenn sich die neuen Entwickler nicht an Standards und festgelegte Schnittstellen halten. Eine entsprechende Basiseinweisung – oder noch besser die Einführung eines „Centers of Excellence“, in dem alle Spielregeln klar definiert werden – ist dringend zu empfehlen. Auch eine strenge Kontrolle der Citizen Development-Aktivitäten ist ratsam, da sonst eine Schatten-IT entstehen kann.
Virtuelle Bankenwelt – Augmented Reality
Die Reise in Richtung eines virtuellen Arbeitsplatzes hat für Mitarbeiter von Unternehmen aus der Finanzindustrie noch (mindestens) eine weitere spannende Dimension: Augmented Reality (AR) – zu Deutsch etwa „erweiterte Realität”. Viele dürften das zunächst vom Pokémon Go Hype im Sommer 2016 kennen – doch wie so vieles, was als Spiel begann, hat auch Augmented Reality das Potenzial, die Business-Welt zu bereichern. Im einfachsten Fall könnte das bedeuten, dass Conferencing in Zukunft noch lebensechter wird, wenn Teilnehmer eine AR-Brille tragen.
Faszinierend und gut im Arbeitsalltag umzusetzen ist die Kombination von AR und Kinetik: Die Integration von Körperbewegungen in das virtuelle Arbeitsmodell. Auch das kennt man derzeit noch eher aus der Spielewelt. Jedoch wurden auf seriösen IT-Konferenzen bereits eindrucksvolle Anwendungen gezeigt, wie das Starten einer virtuellen Maschine auf einem Server mittels einiger Handbewegungen. Analog ließen sich beispielsweise auch banktypische Prozesse auf diese Art umsetzen, etwa das Herauf- oder Herabsetzen der Rahmenlinie für einen Dispokredit. AR-Systeme können das Geschäft lebendiger, integrativer, einfacher und letztendlich auch produktiver machen – und zusätzlich die Bewegung am Arbeitsplatz positiv beeinflussen (Stichwort: Ergonomie).
Fazit: Der Weg zum digitalen Arbeitsplatz der Zukunft
Seit Ausbruch der Pandemie befinden sich Finanzinstitute auf verschiedensten Zwischenstationen einer Reise mit dem klaren Ziel, ihren Mitarbeitern einen digitalen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Dieser digitale Arbeitsplatz soll in der täglichen Arbeit unterstützen, intuitiv zu bedienende Tools anbieten und die Zusammenarbeit fordern und fördern.
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Franziska Gardemann ist Koautorin des Beitrag. Die Assistant Managerin im Bereich Financial Services, Technology Consulting bei KPMG begleitet insbesondere Projekte zu agiler, digitaler und strategischer Transformation. Sie hat ihren Fokus sowohl auf Versicherungen als auch auf Banken gelegt, sodass sie ihre Mandanten mit Expertise und Best Practices aus beiden Welten unterstützt.