Finanzpolitik nach dem Gießkannenprinzip

Denk-Anstöße: Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches

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Der Bundesrechnungshof übt massive Kritik. Die Schuldenbremse wird zur Disposition gestellt. Schäuble ermahnt Lagarde, die Grenzen des EZB-Mandats zu beachten. Merkel dankt Draghi für Verdienste um eine „stabile Währung.“ In Berlin scheint das Chaos zum Überlebensprinzip zu werden.

In der deutschen Finanzpolitik scheint Chaos zu herrschen

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„Große Herausforderungen“

Schlechte Noten gibt der Bundesrechnungshof (BRH) der Haushaltspolitik der Bundesregierung, die selbst ihre Arbeit im Rahmen einer GroKo-Halbzeitbilanz naturgemäß in höchsten Tönen lobt. Im ungewöhnlichen Klartext beanstanden die Rechnungsprüfer, dass die Haushaltsplanung bis zum Jahr 2023 dem Ziel tragfähiger Finanzen „nur in sehr begrenztem Umfang“ Rechnung trage. Wörtlich heißt es weiter: „Die Fortsetzung einer Finanzpolitik nach dem Gießkannenprinzip wäre kontraproduktiv. Sie muss abgelöst werden durch Schwerpunktsetzungen auf zukunftsbezogene Aufgaben.“

Schon der Titel der 122 Seiten starken Analyse („Zeit der anstrengungslosen Konsolidierung geht zu Ende“) darf als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden werden. Die unabhängige Bundesbehörde, die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit überwachen soll, bezeichnet die aktuelle Rentenpolitik aufgrund von Reformen wie der Mütterrente  und der Grundrente als nicht nachhaltig. Deutlich erhöhte Ausgaben seien mit der Grundrente verbunden. Die ungebrochene Tendenz, Sondervermögen außerhalb des Kernhaushalts zu schaffen, verstärke die Intransparenz des Bundeshaushalts. Im teilweise vorgesehenen Soli-Abbau sieht der BRH „hohe verfassungsrechtliche Risiken“. Der Bund stehe in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen mit unabsehbaren finanziellen Lasten. Das gelte vor allem für höhere Kosten für den  EU-Haushalt nach dem Brexit, die Bewältigung der europäischen Staatschuldenkrise, den beschlossenen Ausbau des Euro-Rettungsschirms ESM, den Kohleausstieg, die Entsorgung von Atommüll und den demografischen Wandel.

Der Bundesrechnungshof wirft der Bundesregierung vor, diese Risiken nicht zu minimieren, sondern zu erhöhen. So würden die Investitionen weit unterhalb der Sozialausgaben verharren. Außerdem solle die Politik die Risiken der Finanzplanung nicht wie bisher über vage Sparvorhaben abbilden, sondern durch konkrete Kürzungen verringern. Ein Lösungsansatz bestehe darin, die zahlreichen steuerlichen Vergünstigungen endlich einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Stattdessen schaffe man immer neue Ausnahmen. Mit Blick auf diese Politik bringt der Rechnungshof seine Hoffnung auf den Fortbestand der Schuldenbremse zum Ausdruck, deren eigentliche Bewährungsprobe allerdings erst bevorstehe.

„Schwarze Null“

Während die Bundesregierung noch vorgibt, sich einer Haushaltspolitik der schwarzen Null verpflichtet zu fühlen, bröckeln andernorts die Stabilitätsfassaden. So hat der Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen in seinem neuesten Gutachten erste Absetzbewegungen erkennen lassen. Eine Minderheit hat sich erstmals für eine „Reform der Schuldenbremse“ ausgesprochen, womit nach Lage der Dinge nur eine Aushöhlung oder faktische Abschaffung gemeint sein kann. Bemerkenswerterweise wird dieser Paradigmenwechsel von Isabel Schnabel, der Kandidatin für das EZB-Direktorium, und dem von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Achim Trüger vertreten.

Noch setzt sich die Mehrheit des Sachverständigenrates für ein Festhalten an der Schuldenbremse ein, die auch unter konjunkturellen Aspekten ausreichend flexibel sei. Eine Einschränkung der staatlichen Investitionstätigkeiten durch die Schuldenbremse sei nicht feststellbar, merken die Befürworter an. Schon bei der 2009 erfolgten Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz (Art. 103 Abs.3) haben Skeptiker die Befürchtung geäußert, dass diese Verpflichtung zu einer Limitierung der Staatsverschuldung auf dem Altar der Beliebigkeit geopfert werden würde, wenn dies parteipolitische Intentionen opportun erscheinen lassen. Nur am Rande: Ein nicht unbekannter Wirtschaftsjournalist hat den Terminus „Schwarze Null“ als Spitzname für einen CDU-Minister entlehnt.

Ohne Mandat

Der Ökonom Hans-Werner Sinn  hat vor gefährlichen Tricks der EZB bei der neuen Phase ihrer expansiven Geldpolitik gewarnt. Christine Lagarde werde durch den von ihrem Vorgänger herbeigeführten Ratsbeschluss gezwungen, eine Inflationierung der Euro-Zone in Höhe von 1,9 Prozent „symmetrisch“ anzustreben. Da die Inflationsrate bisher erheblich niedriger lag, sind damit Tür und Tor für deutlich höhere Werte zur Erreichung eines langfristigen Mittelwertes geöffnet.

Das Argument, dass eine expansive Geldpolitik der europäischen Wirtschaft aus dem gegenwärtigen Konjunkturtief helfe, hält Sinn für nicht tragend, weil gerade die deutsche Industrie vom globalen Export lebe. Der Boom bei Bau und Dienstleistungen habe erhebliche Lohnsteigerungen ausgelöst. Der damit verbundene Kostendruck beschere der Industrie zusätzliche Sorgen.

Draghi wird als EZB-Präsident mit fortgesetzter, vorsätzlicher Amtsanmaßung in die Geschichte eingehen. Vor diesem Hintergrund stellt Hans-Werner Sinn fest: „Es zeigt sich einmal mehr, dass die EZB ihre Hände von der Wirtschafts- und Wechselkurspolitik lassen sollte. Dafür hat sie weder ein Mandat noch eine hinreichende politische Kompetenz“. Und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble  hat die neue EZB-Chefin Lagarde bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin nicht ohne Grund aufgefordert, die Arbeit der Zentralbank strikt auf die Geldpolitik zu beschränken. Der frühere leidgeprüfte Bundesfinanzminister fügte hinzu: „Denn eine unabhängige Notenbank ist demokratisch nur zu verantworten, wenn sie ein begrenztes Mandat hat“. Dieses wegweisende Statement dürfte weder in Brüssel noch in Paris, Rom und Athen Beifallstürme ausgelöst haben.

„Stabile Währung“

Die Bundeskanzlerin hat Draghi bei einem Festakt zu seiner Verabschiedung über den grünen Klee gelobt: „Ich danke Dir von Herzen. Du hast den Euro durch unruhige See navigiert. Kontroversen bist Du nicht aus dem Weg gegangen, und wir können nun wirklich auf eine stabile Währung blicken – herzlichen Dank und alles erdenklich Gute für die Zukunft.“ Draghi sei ein großer Verfechter der Unabhängigkeit der EZB gewesen.

Der CDU-Wirtschaftsrat  hat diese völlig unkritische Bewertung Merkels so kommentiert: „Die Würdigung von Draghis Verdiensten ist nicht verbunden worden mit einem Hinweis auf die gewaltigen Risiken und Nebenwirkungen der Null – und  Negativzins-Politik“. Damit habe Merkel die hohe gesellschaftliche Relevanz der fragwürdigen geldpolitischen Hyperaktivität einfach übergangen. Die ultra-lockere Geldpolitik habe kurzfristig zwar den Kollaps von Banken und Staaten verhindert. Doch die erkaufte Zeit sei von der Schuldenländern eben nicht genutzt worden, und der Preis dafür sei bis heute fortgesetzt hoch.

Es gebe enorme Probleme, die infolge der Minuszinspolitik mittlerweile im Wirtschaftssystem sichtbar seien. So stehe in Deutschland inzwischen das ganze System der Altersvorsorge auf dem Spiel. Auch für die gesamte Währungsunion bringe der EZB-Kurs keine Lösung. Vielmehr werde die Verschuldungskrise im Euroraum durch die immer neuen kreativen geldpolitischen Lösungen weiter verschärft. Bestehende Strukturprobleme würden durch die fortgesetzten Interventionen der Zentralbanken nicht gelöst, sondern verdeckt, vergrößert und in die Zukunft verlagert.

„Mit leeren Händen“

Der Verband der Familienunternehmer bezeichnet das jüngst beschlossene Anleihenkauf-Programm der EZB als „üble Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Konzerne“. Der weitere Ankauf von Anleihen großer Industrie-Konglomerate gefährde den deutschen und europäischen Mittelstand. Diese Praxis führe zu einem künstlichen Anstieg der Unternehmensbewertungen, die nicht die reale Entwicklung abbildeten. Der Verband weiter: „Durch die unnötigen Liquiditätsspritzen begünstigt die EZB große Unternehmen bis hin zur Übernahme deutscher Mittelständler.“

Im Klartext formuliert: Konzerne kaufen deutsche Mittelständler – befeuert durch günstiges Geld von der EZB. Der BDI hat von der EZB eine „viel tiefere, ernsthafte Diskussion über die notwendigen Maßnahmen“ gefordert, um Wachstum bei Preisstabilität zu sichern. Doch die Commerzbank  dämpft alle Erwartungen: „Wer unter Draghis Nachfolgerin auf einen Kurwechsel hofft, dürfte enttäuscht werden.“ Der Verband der Familienunternehmer warnt: „Sollte es zu einer starken Rezession in Europa kommen, steht Frau Lagarde mit leeren Händen da.“

Über den Autor

Dietrich W. Thielenhaus

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus, der vor seinem Studium Bankerfahrung gesammelt hat, kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Geldanlage.

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