Sollten Kunden Spaß beim Umgang mit Finanzen haben? Vielleicht, wenn sie durch mehr Beschäftigung Wissen und Verständnis aufbauen und dadurch bessere Ergebnisse erzielen. Bezahlte Beratung könnte einen guten Ansatz dafür bieten.
Am 7. Oktober 2021 hat Matthias Kröner an dieser Stelle einen Artikel mit dem Titel „Auf das Spiel setzen!“ geschrieben, der mir gut gefallen hat. Nach meinem Verständnis sind seine Annahmen, dass
- den Kunden Wissen und Spaß beim Umgang mit Finanzen fehlen,
- Spiele dazu beitragen können, dieses Problem zu lösen und
- Videospiele eine effektive Methode sind, um jeden Winkel der Welt zu erreichen.
Die ersten beiden Annahmen teile ich, wobei ich die zweite präzisieren würde. Es muss kein reines Spiel sein, sofern die spielerischen Elemente ausreichen, damit der Spieler Erfolgserlebnisse hat und motiviert bleibt. Zuletzt ist die dritte Annahme vermutlich richtig, führt aber zu einem globalen Ansatz, der eine Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner erfordert. Hier denke ich, dass es durchaus ausreichend wäre, zunächst in Deutschland erfolgreich zu sein, dafür mit einem deutlich größeren Umfang. Der Markt ist zwar deutlich kleiner als die 3 Mrd. Spieler weltweit, aber 6 Mio. in der Zielgruppe zwischen 20 und 50 Jahren sollten für wirtschaftliche Geschäftsmodelle ausreichen.
Sollten Finanzinstitute ihren Kunden Videospiele anbieten?
Er folgert aus diesen Annahmen, dass Finanzinstitute darüber nachdenken sollten, ihren Kunden Videospiele anzubieten. Ich bin noch nicht so weit, direkt aus den Annahmen zu diesem Schluss zu kommen. Vorher würde ich erst alle Möglichkeiten evaluieren, wie sich spielbasiertes Lernen als produktive Möglichkeit einsetzen ließe, Lernwilligen aller Niveaus Bildung im Bereich Finanzen zu vermitteln. Daraus ergeben sich neue Fragestellungen:
- Welches Wissen soll überhaupt vermittelt werden?
- Wieviel Aufmerksamkeit muss der Spieler bzw. Kunde dem Spiel widmen?
- Und welche Ablenkung kann zugelassen werden, ohne dass die Ziele des Spiels in den Hintergrund gedrängt werden?
Wie gebildet sollen die Kunden aus Sicht der Finanzinstitute sein?
Die erste sich aufdrängende Frage ist, ob Finanzinstitute wirklich aufgeklärte Kunden möchten. Ehrlicherweise wahrscheinlich bestenfalls nur bis zu dem Grad, der dem Vertrieb nützlich ist. Beispielsweise. hilft es für den Verkauf einer Rentenversicherung, wenn den Kunden bewusst ist, dass sie eine Rentenlücke haben. Vielleicht wäre es sogar gut, wenn Kunden diese selbst bestimmen können. Aber spätestens, wenn die Kunden diese Lücke selbst durch die günstigsten Produkte schließen, werden der Vertrieb und das Unternehmen weniger Provisionen verdienen und sich mehr Einfluss wünschen.
Dies könnte dazu führen, dass die Wissensvermittlung nur so weit geht, dass der Kunde das Problem in seiner Gänze erfasst hat und die Notwendigkeit erkennt, es zu lösen. Dann sollte jedoch der Absprung in die Beratung erfolgen, in der es um einen Produktverkauf geht. Dort kann ein Berater an diesem Punkt ansetzen und spart die Zeit der Datenerfassung, weil dies eben bereits vom Spieler selbst erfolgt ist, durch das Spiel geführt. Die Kosten des Spiels müssen daher entsprechend denen einer Lead-Generierung sein, woran bereits einige große Player gescheitert sind (Allianz, O2), selbst mit Flug-Meilen (Lufthansa).
Eine anderes Beispiel sind aktive Fonds: Werden Finanzinstitute wirklich Interesse daran haben, den Kunden darüber aufzuklären, dass Gebühren für aktive Fonds nur in seltenen Fällen durch Überrenditen wieder verdient werden? Spätestens ein Blick in Kundendepots zeigt deutlich, dass dies nicht die aktuelle Praxis der Beratung in Bankfilialen ist. Es trifft die Fondsgesellschaften hart, dass der Anteil provisionsarmer Fonds immer weiter steigt.
Aus vertrieblicher und Spieler-Sicht könnte der Aktienhandel ein guter Ansatz für ein Spiel sein, beispielsweise mit dem Ziel ein ausgewogenes Portfolio zusammenzustellen. Der Mehrwert für den Spieler liegt darin, dass ihn Aktionen, die sein Portfolio verbessern, beim Spielerfolg voranbringen, während jeder Handel an sich Provisionen mit sich bringt und damit Mehrwert für den Anbieter. Allerdings wird es einen Punkt geben, an dem das Portfolio gut genug aufgestellt ist und weiterer Handel dem Kunden keinen zusätzlichen Nutzen bringt. Jedes Spiel ist eben endlich, selbst wenn nach einer gewissen Zeit wieder ein Handlungsbedarf eintreten könnte.
Kann und will der Kunden alles an einem Stück lernen?
Der Wissensaufbau im letzten Beispiel beträfe eine optimale Portfolioaufteilung, also die Zusammensetzung aus verschiedenen Wertpapieren und Anlageklassen. Die Aufteilung innerhalb einer Anlageklasse kann jedoch noch relativ einfach und strukturiert anhand von Renditen und Risiken vorgenommen werden. Spätestens die Verteilung auf verschiedene Anlageklassen benötigt jedoch wesentlich mehr Daten über den Kunden bzw. Spieler, um sinnvoll zu sein. Ein Unternehmer, dessen Vermögen im eigenen Unternehmen gebunden ist, braucht vielleicht weniger Aktien, dafür aber mehr Anleihen und Edelmetalle. Ein junger Beamter hingegen kann aufgrund seiner Einkommenssicherheit wesentlich mehr Risiko vertragen.
Welches Wissen soll dafür vermittelt werden und wie kann dies für den Kunden so aufbereitet werden, dass er es motivierend und als Spaß empfindet, zu lernen? Wie auch immer die Aufbereitung ausfallen wird, ich bin mir ziemlich sicher, dass kein Handel mit Wertpapieren in welcher Form auch immer notwendig ist. Spätestens hier wird die Trennung offensichtlich, weil eben ein begrenztes Ergebnis nur ein begrenztes Wissen erfordert.
Die Lösung könnte ein sehr komplexes Spiel sein, in welchem der Spieler dementsprechend mehr Wissen benötigt, um erfolgreich zu sein, wie es bei Strategiespielen der Fall ist. Andererseits nützt dies einer Anwendung wenig, bei der das Produkt eben nur ein Online-Giro-Konto, Buy-now-Pay-later oder Aktienhandel ist. Die Verbindung zwischen beidem herzustellen und den Profit nicht durch eine teure Spiele-Entwicklung aufzubrauchen ist keine leichte Aufgabe.
Zumal der Wissensaufbau nicht an einem Stück erfolgen kann und darf, sondern eben spielerisch über einen möglichst langen Zeitraum gestreckt werden sollte, um den Spieler zu binden. Denn wie beim Lernen eines jeden neuen Themas bildet sich Verständnis gerade auch durch die längere Beschäftigung und verschiedene Blickwinkel auf gleiche Sachverhalte. Die aus Unternehmenssicht wünschenswerten Absprünge zum Verkauf werden dadurch nach hinten geschoben, was die Kosten pro Lead steigert.
Soll der Spieler eine freie und unabhängige Entscheidung treffen?
Die offene Frage bleibt jedoch weiterhin, welche freie Entscheidung der Spieler überhaupt spielerisch treffen soll. Beim Produkt Aktienhandel (bspw. Robin Hood, Trade Republic) soll er Wertpapiere kaufen und verkaufen, seine Entscheidung beschränkt sich auf die Auswahl des Wertpapiers. Bei einem Giro- oder Anlage-Konto (N26, Revolut) sehe ich keinen Entscheidungsbedarf des Kunden, nach der Wahl der App. Eine echte Entscheidung zu Konsumschulden bei einem Buy-now-Pay-later-Produkt (Klarna, Mondu) könnte sogar hinderlich für den Erfolg des Unternehmens sein.
Die Entscheidungen, die ein Spieler richtigerweise treffen sollte, sind daher grundlegender und komplexer, als es Unternehmen mit einem schmalen Produktfokus abbilden. Stehen die Ausgaben beispielsweise im Verhältnis zu den Einnahmen und der Situation im Leben? Welcher Teil soll bzw. muss gespart werden und welche Aufteilung des Vermögens ist geeignet, dass der Spieler seine Wünsche im Leben erfüllt und seine Ziele erreicht? Welche Sicherheit kann es dafür in finanzieller Hinsicht geben und welches Risiko ist der Spieler bereit zu tragen? Welche reale Rendite erzielt er im Vergleich zu den mit seiner Vermögensaufteilung zu erwartenden, aufgrund seiner individuellen Entscheidungen?
Dies führt meines Erachtens zum Ergebnis, dass der beste Einsatz von Gamification im Finanzbereich eher in der Beratung liegt als im Verkauf oder dem Produktabschluss. Denn dort ist das Spielfeld nahezu unbegrenzt und es gibt unzählige Ansätze, dem Kunden sinnvolles Wissen beizubringen. Der Mehrwert für den Spieler liegt dann im Wissensaufbau und den damit einhergehenden besseren Entscheidungen im Umgang mit seinem Geld. Der Spielerfolg muss sich einer verbesserten finanziellen Situation zeigen und hier ist es Aufgabe des Spiels, diesen sichtbar zu machen, bspw. durch den Einsatz von Kennzahlen.
Alles spricht für Gamification in der Beratung
Ich glaube daran, dass Gamification der richtige Ansatz ist, um die Finanzbildung voranzubringen. Vielleicht noch nicht für die große Masse, außerdem nicht um Ablenkungen zu verhindern, sondern um damit die Fokussierung auf Finanzen zu steigen. Einer kleineren, wachsenden Zielgruppe können damit Verhaltensweisen näher gebracht werden, die ihnen Vorteile bringen und langfristig Wert schaffen. Dabei muss jedoch genau darauf geachtet werden, dass der Spieler nicht zu Dingen verleitet wird, die für ihn keinen, oder zumindest wenig, Sinn machen. Sein langfristiges Wohl muss das Ziel sein, dem er sich seinen Wünschen und Prioritäten entsprechend nähern kann.
Der ideale Einsatz von Gamification könnte deshalb eine unabhängige Finanzberatung sein, bei der der Spieler durch Anreize hin zu einem vernünftigen und langfristig erfolgreichen Verhalten geleitet wird. Ansatzpunkte hierfür sind bereits genügend durch die DIN 77230 Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte gegeben. Allerdings generiert ein solches Spiel keine Provisionseinnahmen, so dass der Spieler bereit sein müsste, für die Beratung zu bezahlen. Ob sich dies durchsetzt, wird die Zukunft zeigen. Deutlich günstiger als die aktuellen Preise für Honorarberatung, KPMG nennt in einer Studie von 2021 einen Preis in Höhe von 180 € pro Std., sollte es jedoch allemal darstellbar sein.