Die Mitarbeiterführung in Genossenschaftsbanken und anderen Unternehmen mit kooperativem Hintergrund wird in Praxis und Forschung rege diskutiert. Wie stellt sich die Situation dar? Und wie kann ein genossenschaftlicher Anspruch verwirklicht werden?
Häufig genannte Ziele der Mitarbeiterführung sind das Erreichen von Produktivität und Leistungserfüllung. Modernes Führungsverständnis berücksichtigt allerdings nicht nur wirtschaftliche Effizienz oder Leistungsparameter von Mitarbeitern, sondern ebenso deren Wohlergehen und Weiterentwicklung. Jedoch sind nicht wenige Organisationen immer noch von einem Führungsverständnis geprägt, das allein auf Effizienzkriterien und die Funktionalität zur Profitmaximierung abzielt.
Ist womöglich auch manch genossenschaftliche Organisation „anfällig“ für solch eine Orientierung? Diese Frage wird, insbesondere im Hinblick auf die genossenschaftliche Finanzwirtschaft, sowohl in der jüngeren Forschung als auch Genossenschaftspraxis debattiert. In diesem Kontext wurden „Glaubwürdigkeitsdefizite“ der Führung thematisiert und Ansätze zu einer Revitalisierung genossenschaftlicher Mitarbeiterführung zur Diskussion gestellt.
Wertekanon und wahrgenommene Führungsrealität
Gemäß diesen Diskussionen stehen öffentliche „Bekenntnisse“ mancher Genossenschaften zum genossenschaftlichen Wertekanon teils im Widerspruch zur von Mitarbeitern erlebten Führungsrealität. Als Konsequenz könne eine schwindende Identifikation der Betreffenden mit dem Genossenschaftsgedanken eintreten.
Derartige Hinweise und eine entsprechend kritische Debatte sind zweifellos wichtig. Angesichts solcher mit Risiken für die genossenschaftliche Identität verbundenen Diskrepanzen zwischen vertretenen Werten/Leitbildern einerseits und der Management-/Führungsrealität andererseits könnten insbesondere Genossenschaftsbanken Gefahr laufen, sich letztlich nur noch nach allgemeinen Geschäftsbankprinzipien auszurichten und nicht mehr wirklich von anderen Privatbanken unterscheidbar zu sein.
Erforderliche empirische Klärung
Führungsparameter in genossenschaftlichen Banken und Kooperativen konnten in umfassenden Erhebungen untersucht werden, die vom ADG Scientific – Center for Research and Cooperation (ARC), dem Forschungsinstitut der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG), durchgeführt wurden. Hierbei wurden neben Rückmeldungen von Führungskräften deutscher Genossenschaftsbanken auch Feedbacks aus anderen kooperativ orientierten Unternehmen berücksichtigt (u.a. Mitgliedsunternehmen des Deutschen Raiffeisenverbands). Ziel der Erhebungen war es, das Führungsverständnis und die Führungsrealität sowie die damit zusammenhängenden Werteeinstellungen differenziert zu erfassen.
Realität genossenschaftlicher Führung – Datenlage
Laut der Daten liegen bei den Führungskräften aus Genossenschaftsbanken und Kooperativen teils Tendenzen einer Gleichsetzung eines genossenschaftlichen mit einem (attribuierten) sonstigen privatwirtschaftlichen Führungsverständnis vor. Unterschiede der Führung in genossenschaftlich-kooperativ orientierten Organisationen und anderen Privatorganisationen ohne genossenschaftliche Rechtsform werden also, und dies vermehrt in der Erhebungsgruppe außerhalb des Bankenbereichs, nicht durchgängig erkannt, was auf Identifikationseinschränkungen hinsichtlich des Genossenschaftsgedankens hindeuten dürfte. Diese Gleichsetzungs-Tendenzen sind insgesamt zwar eher schwach ausgeprägt – dennoch sollte solch eine Datenlage vor allem im Management und der Personalentwicklung in Genossenschaften (Banken/Nichtbanken) als zusätzlicher Impuls verstanden werden, um genossenschaftliche Leitbilder noch stärker ins Zentrum zu rücken.
Ferner wird gemäß den empirischen Erhebungen Ziel-, Effizienz- und Leistungsparametern von den Führungskräften ein überdurchschnittlich hoher Stellenwert zuerkannt. Gleichzeitig erweist sich die werteorientierte Prägung des eigenen Führungshandelns als stark ausgeprägt. Eine gleichberechtigte und auf das Mitarbeiterwohl orientierte Führung sowie genossenschaftliche Grundwerte und Leitbilder wie Teilhabe, Selbstständigkeit, Mitgliederförderung, Solidarität, aber auch Nachhaltigkeit erfahren unter den Führungskräften eine sehr hohe Akzeptanz. Wie eine Vermittlung dieser Perspektiven stattfindet, ist hieraus aber noch nicht ableitbar.
Weitere empirisch basierte Folgerungen
Nachholbedarf in der Realisierung werteorientierter Prinzipien zeigte sich in den beiden Befragungsgruppen (Genossenschaftsbanken/Kooperativen), da Frauen generell deutlich unterrepräsentiert waren. Im Einklang mit den verbindlichen Gleichbehandlungsgrundsätzen und der genossenschaftlichen Grundhaltung sollten Frauen in Führungspositionen selbstverständlich sein. Die Daten legen allerdings nahe, dass hier zwischen dem Gleichstellungsanspruch und der Realität noch Diskrepanzen bestehen. Initiativen zur Beseitigung dieser Unterrepräsentanz im genossenschaftlichen Bereich sollten somit auch zukünftig konsequent fortgesetzt bzw. möglichst verstärkt werden.
Aus den Daten lässt sich insgesamt folgern, dass trotz teils gegebener inhaltlicher Einschränkungen das Konzept eines eigenständigen genossenschaftlichen Leaderships begründet ist. Es beinhaltet eine klare Rückbindung zum genossenschaftlichen Wertekern, ohne mit der erforderlichen Berücksichtigung von Leistungskriterien zu „kollidieren“. Somit zeigt sich, dass ökonomische Solidität und entsprechender Erfolg keiner Fixierung auf den sog. Homo oeconomicus bedürfen. Im Gegenteil: eine Ausrichtung auf Prinzipien des Homo cooperativus steht dem Erzielen von Erfolgen nicht entgegen, sondern vermag sie zu fördern.
In diesem Sinne sind die Geschäftsmodelle und Führungspotentiale von Genossenschaften und insbesondere genossenschaftlichen Banken zukunftsfähig, da sie ökonomische Erfordernisse und einen gewachsenen Wertekanon vereinen können (es sei hier auch daran erinnert, dass genossenschaftliche Banken in Deutschland nicht auf staatliche Rettungsaktivitäten im Zuge der Finanzkrise 2008ff. angewiesen waren). Eine Idealisierung genossenschaftlichen Leaderships wäre aber nicht der richtige Weg: Die entsprechenden Werte sollten vielmehr immer wieder aufs Neue reflektiert und insbesondere auf der Vorstandsebene wahrhaftig vorgelebt werden, da sich andernfalls Verwässerungen einstellen können (Risiko lediglich „nomineller“ Genossenschaften).
Fazit und Ausblick: Vitalisierung genossenschaftlicher Werte
Eine kontinuierliche Reflexion und weitere Vitalisierung genossenschaftlicher Werte sowohl in Genossenschaftsbanken als auch anderen Kooperativen ist unabdingbar. Manche Führungskonzepte stellen lediglich kurzlebige Moden dar. Genossenschaftliches Leadership zeichnet sich hingegen durch substanzielle Inhalte und einen bewährten Wertekern aus. Mit ihren wertebasierten Management- und Führungsprinzipien verfügen insbesondere genossenschaftliche Banken zudem über eine wettbewerbsrelevante „Unique Selling Proposition“, die zukünftig noch stärker erschlossen werden sollte.
Dr. Yvonne Zimmermann ist Vorstandsvorsitzende der Akademie Deutscher Genossenschaften e.V. (ADG) mit Stammsitz Schloss Montabaur und Koautorin des Beitrags. Die Bankkauffrau und Betriebswirtin war zuvor u.a. Generalbevollmächtige der L-Bank und Vorstandsmitglied der Sparda-Bank Hamburg.
2 Kommentare
Sehr informativer Artikel hat mir sehr gut gefallen!!!
Das Führungsverständnis hier ist wünschenswert. Aber googlen Sie mal: Führungskräfte Psychopathen. Da gibt es Ergebnisse aus der Forschung, dass auf hohen Führungsebenen Narzissten und Psychopathen leider erschreckend häufig vorkommen. Ich finde dass auch diese problematische Seite nicht ausgeblendet werden dar. Das ganze Thema polarisiert ziemlich.
Monika Lüther