Finanzinstitute befinden sich inmitten einer digitalen Revolution, die durchaus disruptive Ausmaße annehmen kann. Im Rahmen einer kleinen Artikelserie nehmen Experten der wichtigsten Institute und Institutsgruppen Stellung zu diesem Trend. Lesen Sie heute das Statement von Holger Hohrein, comdirect.
Die Digitalisierung der Finanzdienstleistung und die daraus erwachsenden Herausforderungen für Banken und Sparkassen sind derzeit eines der beherrschenden Themen der Branche.
Um herauszufinden, wie hierzulande die wichtigsten Institute und Institutsgruppen diesen Trend einschätzen und ihm begegnen habe ich fünf Fragen formuliert und führende Vertreter des deutschen Bankwesens um ein Statement gebeten.
Fünf Antworten von Holger Hohrein, comdirect bank
Lesen Sie nachfolgend die Ausführungen von Holger Hohrein, CFO und Mitglied des Vorstands comdirect bank AG.
Bank Blog: Was bedeutet für Sie „Digitalisierung“ und worin sehen Sie für Ihr Institut die besonderen Chancen und Risiken?
Holger Hohrein: Digitalisierung heißt für uns als Bank dreierlei.
Erstens: Ein Kunde kann bei uns alle Produkte und Leistungen – Brokerage, Banking, sogar eine ausgefeilte, weitgehend maßgeschneiderte Beratung – online beziehen. Und zwar über alle Endgeräte vom PC bis zum Smartphone, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, ganz gleich wo er ist. Lediglich Netzzugang muss er haben.
Zweitens bedeutet Digitalisierung für uns, alle Prozesse vom Frontend bis zum Backoffice digital durchzugestalten. Also nicht nur eine schicke Website, sondern vollständig elektronische, effiziente Prozesse im Hintergrund. So wird beispielsweise der Prozess der Kontoeröffnung mitsamt Identifikation komplett digitalisiert. Künftig wird es keine Medienbrüche mehr geben. Das heißt, der Kunde geht nur einmal online und hat dann sein Konto.
Drittens bedeutet Digitalisierung, dass wir offen sind für neue Impulse und Anwendungen aus der digitalen Welt. Heute entstehen viele neue digitale Ideen, die wir natürlich genau beobachten und, wenn wir sie gut finden, in unser Angebot integrieren.
In der Summe ist die Digitalisierung für uns eine riesige Chance. Als Online-Broker und Direktbank waren wir bei digitalen Innovationen schon immer ganz vorne mit dabei, Digitalisierung ist Teil unserer DNA; wir sind darüber groß geworden, für unseren Kunden Banking neu zu denken. Und jetzt kommen auch noch jene Kunden auf den Markt, die mit dem Internet und digitalen Kanälen groß geworden sind. Mit dem Vorsprung, den wir haben, sind wir für sie der ideale Partner. Können wir uns darauf ausruhen? Natürlich nicht. Wir müssen schnell bleiben und die riesigen Chancen auch nutzen.
Bank Blog: Welches sind die größten drei Herausforderungen für Ihr Institut?
Holger Hohrein: Vor allem geht es darum, die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden rechtzeitig zu erkennen und in überzeugende – digitale – Angebote zu übersetzen, bevor andere es tun. Dabei müssen wir, und das ist in gewisser Weise die zweite große Herausforderung, das Beste aus zwei Welten miteinander versöhnen – das Know-how, die Seriosität sowie die Erfahrung mit Datenschutz- oder Regulierungsthemen einer inzwischen großen Bank mit der Agilität und Innovationsfreude eines Digital Enterprise.
Darüber hinaus sehen wir eine Herausforderung ganz allgemeiner Art darin, mehr Menschen gerade in Deutschland dafür zu gewinnen, klug mit ihrem Vermögen umzugehen und neue Wege einzuschlagen. Deswegen haben wir gemeinsam mit anderen Online Banken die „Aktion pro Aktie“ gegründet. Wir sind hierzulande, wenn es um Vermögensbildung mit Wertpapieren geht, ein Entwicklungsland. Das müssen wir, auch als Gesellschaft, dringend ändern. Eine Herkulesaufgabe.
Bank Blog: Derzeit entstehen zahlreiche sogenannte FinTech Startups, die insbesondere im Privatkundengeschäft versuchen, mit innovativen, kundenorientierten digitalen Angeboten den etablierten Banken Konkurrenz zu machen? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus diesem Trend für Ihr Institut?
Holger Hohrein: Die Furcht vor neuen Wettbewerbern aus der FinTech-Szene halten wir für unbegründet. Viele FinTechs arbeiten an interessanten Lösungen für Themen, die für uns Banken mitunter neue Geschäftschancen erschließen. Teilweise sind das Lösungen, die allein gar nicht überlebensfähig wären, aber in unserem Leistungsportfolio und mit unseren online affinen Kunden eine interessante Ergänzung sind. Nüchtern betrachtet sind Banken und viele FinTechs eigentlich natürliche Verbündete, die die Möglichkeiten zur Kooperation ausschöpfen sollten.
Wir als comdirect können zudem sehr selbstbewusst in solche Kooperationen hineingehen. Am Ende ist doch entscheidend, wer Kunden hat und wem Kunden zutrauen, Zahlungsverkehr, Kontoführung und alles, was damit zusammenhängt, ordentlich und sicher zu organisieren. Da sind wir – und mit uns viele Banken – in einer hervorragenden Ausgangsposition. Denn wenn es zum Schwur kommt, vertrauen die Menschen noch immer eher ihrer Bank als einem neuen Player mit einem oder wenigen Nischenprodukten. Viele FinTechs unterschätzen das. Auf der anderen Seite können wir uns viel bei FinTechs abgucken: den frischen Blick auf Kunden und ihre veränderten Bedürfnisse, das Suchen nach und manchmal Finden von Lösungen jenseits des Üblichen, ihre Schnelligkeit. Es lohnt sich für Banken, da genau hinzuschauen.
Bank Blog: Den großen Internetunternehmen Amazon, Apple, Facebook und Google wird immer mal wieder ein Einstieg in den Bereich Finanzdienstleistung unterstellt. Im Zahlungsverkehr ist dieser ja bereits vollzogen. Wie beurteilen Sie diese neuen Wettbewerber und wie bereiten Sie sich darauf vor?
Holger Hohrein: Die genannten Unternehmen haben ihre Wertschöpfungskette verlängert. Sie übernehmen jetzt z.B. nach dem Online-Verkaufen auch Teile des Zahlungsverkehrs. Das ist für den Kunden logisch und bequem. Banken drohen dadurch als Abwickler in den Hintergrund zu rücken. Hier ist es zwingend notwendig, von Bankenseite Alternativen, und zwar bessere, zu bieten. Daran müssen wir arbeiten.
Zugleich muss man sehen, dass die branchenfremden Anbieter es noch nicht geschafft haben, ihr Angebot in Richtung komplexe Geldanlage auszubauen. Das ist nämlich deutlich komplexer als Lösungen für Zahlungsverkehr auf den Markt zu bringen. Hier haben wir einen Vorsprung sowohl in punkto Know-how als auch hinsichtlich des Kundenvertrauens. Diesen Vorsprung müssen wir nutzen, um Kunden mit innovativen Angeboten immer wieder gute Gründe zu liefern, zu uns zu kommen. Genau das tun wir auch. Wir stellen comdirect so auf, dass wir schnell neue Trends erkennen und antizipieren, frühzeitig mit pfiffigen und sinnvollen Innovationen auf den Markt kommen, dabei unsere besondere Identität als eine Bank pflegen, die Bank neu denkt.
Bank Blog: Wieviel investiert Ihr Institut in den kommenden fünf Jahren in die Digitalisierung, wie groß sind dabei die Anteile für „Run the Bank“ und „Change the Bank“ und welche Bereiche sind die von Ihnen priorisierten?
Holger Hohrein: comdirect ist als führende Online Bank seit über zwei Jahrzehnten Innovations- und Veränderungstreiber in der Finanzbranche. Die Suche nach Innovationen ist Teil unseres Geschäftsmodells. Das bedeutet auch, dass Investitionen in neue Produkte und Leistungen zugleich auch immer Investitionen in die Digitalisierung sind. Insofern investieren wir beständig in unsere Digitalisierung und verfolgen parallel eine Reihe von Projekten, die alle auf unterschiedliche Weise mit Digitalisierung zu tun haben und auf unser digitales Geschäftsmodell einzahlen. Dabei können Ideen, Impulse und weitergehende Lösungen auch aus dem normalen operativen Betrieb heraus kommen.
E-Book „Herausforderung Digitalisierung der Finanzdienstleistung“
Der Beitrag ist Teil einer Serie über die Herausforderungen der Digitalisierung in der Finanzbranche. Abonnenten von Der Bank Blog Premium können das 28-seitige E-Book „Herausforderung Digitalisierung der Finanzdienstleistung“ mit allen zehn Interviews direkt herunterladen.
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