Houdini und der wunderbare Business Case

Vom Projektmanager zum Bankvorstand

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Was tun, wenn die Investitionen für ein neues Produkt zu hoch und die zu erwartenden Erträge zu gering ausfallen? Der Geist des berühmten Entfesselungs- und Zauberkünstlers Harry Houdini verhilft Bank Blog Kolumnist Michel Lemont in seinem Projekt zu einem wunderbaren Business Case und dem Leser zu einem unterhaltsamen Einstieg ins Wochenende.

Banking mit einem Augenzwinkern

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„Wirst du wohl jetzt endlich etwas entschlossener sein?“

Houdini versetzte mir einen leichten Klaps auf den Kopf. War mir das wirklich passiert? Hatte ich jetzt meinen ganz persönlichen Berlusconi-Moment, so wie damals, als Jean-Claude Juncker 2004 anlässlich einer EU-Konferenz den virilsten Italiener aller Zeiten zärtlich am Hinterkopf tätschelte?

Natürlich konnte sich Signore Bunga Bunga nicht annähernd meines prächtig dichten Haarwuchses erfreuen. Trotzdem war es ein komisches Gefühl, sich so gemaßregelt zu sehen.

Aber wenn man vom Besten lernen will…

Harry Houdini erschien mir in meiner größten Not: ich musste für eines meiner wichtigsten Projekte einen wasserdichten Business Case abliefern. Und zwar pronto.

Ein schöner Business Case gleicht einem modernen Kunstwerk. Es brauchte handwerkliches Geschick, Kreativität und eine ordentliche Portion Chuzpe, um das richtige Ergebnis zu erzielen. Früher war es – wie in fast allen Bereichen – viel einfacher. In Zeiten der gnadenlosen Prosperität waren Rentabilitätsberechnungen so etwas Ähnliches wie eine Fleißaufgabe, eine Fingerübung oder Etüde sozusagen. Zwar nicht für die Spaßbremsen, welche die Nachhaltigkeit der Investitionen überwachen sollten, aber für die meisten anderen Beteiligten verhielt es sich so.

Doch seit 2008 waren die goldenen Zeiten der vollen Spendierhosen und der trüben Controllerbrillen im Bankwesen vorbei.

Die Vorstandsetagen hatten sich – angesichts der dräuenden Kürzungen und staatlichen Regulierungen ihrer Bezüge – ein neues Hobby zugelegt: das cost cutting. Ab jetzt befanden sich nicht nur die verschiedenen Business-Bereiche der Bank im Wettstreit um die spärlich vorhandenen Investitionsbudgets, sondern auch noch die kostspieligen regulatorischen Projekte, die es nunmehr zuhauf gab.

Tja, und mitten drinnen in dieser komplexen neuen Realität saß ich mit meinem hoffnungsfrohen Projekt mit dem wir Kreditkarten verkaufen wollten, und zwar massenweise. Gemeinsam mit einer regionalen Fluggesellschaft planten wir Kundenkarten auszugeben und uns damit eine goldene Nase zu verdienen. Die Airline würde die Kunden stellen und mein Team und ich würden das Karten-Knowhow beisteuern.

Eigentlich konnte nichts schiefgehen.

Eigentlich.

Denn wie auch immer ich die Zahlen drehte und wendete: die Investitionen für das Projekt waren zu hoch und zu erwartende Erträge zu gering. Mist.

Aber wie pflegte meine liebe Omi zu sagen: Immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.

Harry Houdini – Entfesselungskünstler

Harry Houdini war ein berühmter amerikanischer Entfesselungs- und Zauberkünstler ungarischer Herkunft

Mein Lichtlein kam in Form der spirituellen Manifestierung eines weltberühmten ungarisch-stämmigen Zauberers und Entfesselungskünstlers daher. Harry Hudini himself war herbeigeeilt, um mich zu unterstützen und mir meine Ängste zu nehmen.

Tatsächlich war ich von der ersten Sekunde an vom Geiste Houdinis beflügelt. Und was war das Erste, was ich von ihm bei der kreativen Gestaltung von Business Cases lernen durfte?

Richtig: „Das soll uns erst einmal jemand nachrechnen.“

Harry schüttelte leicht angewidert seinen Kopf, während er meine Zahlen kontrollierte.

„Michel, Michel!“, tadelte er mich, während er mit einem übertrieben großen roten Stift mein Berechnungen korrigierte. „So geht das aber wirklich nicht. Woher stammen denn diese Zahlen?“

Sein unterschwelliger Anwurf gepaart mit dem nicht zu überhörenden ungarischen Akzent trug dazu bei, dass ich mich ein klein wenig schämte – und komischer Weise gleichzeitig Heißhunger auf ein original magyarisches Gulyás bekam.

„Nun ja, unser IT-Bereich hat die Kosten des Projektes geschätzt, unser Kunde die Anzahl der potentiellen Kartennutzer und ich habe die Projektion der Kosten und Erträge auf die nächsten Jahre hochgerechnet.“

„Sehr erfolgreich warst du aber nicht dabei!“, tadelte mich Harry und ignorierte dabei gekonnt das Knurren meines Magens. „Und vor allem nicht sehr kreativ. Kein Wunder, dass der Break-Even des Projektes in weite Ferne rückt. Die IT-Kosten zum Beispiel. Wer sagt, dass die IT so lange braucht, um das Projekt umzusetzen?“

„Na, die IT-Verantwortlichen natürlich!“, ich war dabei, meine Selbstsicherheit wieder zu gewinnen. Aber ich hätte mich nicht zu früh freuen sollen. Houdini klopfte mit dem übergroßen roten Stift auf meine Stirn, so als wollte er fragen, ob da jemand zu Hause wäre.

„Das akzeptieren wir nicht. Wir nehmen einfach die Hälfte der Kosten an!“ Ob dies der Pluralis Majestatis war oder ob sich Houdini schon so als Teil meines Teams fühlte, fand ich leider nie heraus.

„Sorry, aber das ist doch nicht realistisch. Das hält doch keiner Revision stand.“

„Und wer sollte dir das nachweisen? In den ersten Jahren sind die Zahlen im Plan und danach haben sich eben die Rahmenbedingungen geändert. Die Wirtschaft kann einbrechen oder sie floriert oder sie stagniert, weswegen sich in ein paar Jahren sowieso kein Controller mehr für deinen Business Case interessiert. Sie werden alle andere Sorgen haben.“ Harry sah mich mit seinen magischen großen Augen an und ich spürte, wie seine Logik auf mich zu wirken begann.

„Ja, genau. Wer sollte sich schon dafür interessieren?“, brabbelte ich ihm nach.

„So! Das war der erste Streich. Und nun betrachten wir doch einmal die mickrigen Stückzahlen, die du in der Hochrechnung für die nächsten Jahre angenommen hast.“ Er pfiff nur verächtlich durch die Zähne. „Diese Zahlen sind ja total uninspiriert!“

Ich wollte seinen heiligen Zorn nicht unterbrechen, doch nun musste ich meine Ehre retten. „Tut mir leid, aber das sind nicht meine Zahlen, sondern die Hochrechnungen unseres Kunden. Und die Airline wird doch selbst am besten wissen, wie sie ihre Kundenzuwächse prognostizieren kann.“

„Ha!“, schrie Houdini in die nächtliche Stille meines Büros hinaus. „Wenn du nur eine simple Hochrechnung gebraucht hättest, wäre dir sicherlich auch gerne der Herr Schäuble erschienen. „Du, Michel, brauchst aber einen Magier.“ Der große rote Stift strich über meine Unterlagen und wie durch ein Wunder verdoppelten sich die Stückzahlen, die Kosten halbierten sich und vor mir lag mein wunderbarer Business Case der in kürzester Zeit seinen Break Even erreichen würde. Und von dem ich wusste, dass er absolut falsch war. Doch ich konnte nicht anders als ihn bewundernd zu betrachten.

„Danke, Meister Houdini!“, flüsterte ich leise. Doch als ich mich umwandte, war Harry bereits verschwunden. Er hätte mir wenigstens vertretungsweise Herrn Schäuble zur Verabschiedung vorbeischicken können, aber der war vermutlich gerade wieder mit einer griechischen Tragödie beschäftigt.

Ich muss nicht erwähnen, dass der Vorstand ganz begeistert war vom Potential meines Projektes. Selbstredend wurden die erforderlichen Mittel bereitgestellt. Als die IT-Kosten völlig unerklärlicherweise dann doch wesentlich höher waren als im Business Case angenommen, wurde freudig die notwendige Budgeterhöhung genehmigt. Mit dem so seriös hochgerechneten Ertragspotential würden wir die läppischen Mehrkosten im Nu wieder verdient haben.

Harry hatte übrigens Recht: die Wirtschaft stagnierte oder sie florierte oder sie brach ein – ich kann mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls erreichten wir auch nicht annähernd die angenommenen houdinischen Stückzahlen. Nicht einmal die konservativ geschätzten Mengen der Airline. Nach Jahren des Dahinwurschtelns beendete die Bank das Trauerspiel und buchte den veritablen Verlust aus.

Aber da hatte ich schon – nicht zuletzt dank der unvergleichlich schönen Business Cases, die ich nun so herrlich zaubern konnte – Karriere gemacht und saß nun selbst im Vorstand.

Tja, Mut wird eben belohnt.

Weder Harry Houdini noch Herr Schäuble waren mir seitdem erschienen, was ich als gutes Omen wertete. Nun war ich selbst der Meister und inspirierte mit meiner Magie andere Bedürftige. Gerüchteweise soll ich vor kurzem dem britischen Finanzminister erschienen sein, um mit ihm den Brexit neu zu berechnen. Großbritannien schaut nun übrigens einer prosperierenden Zukunft entgegen.

Das soll mir erst einmal einer nachrechnen!

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Über den Autor

Michel Lemont

Michel Lemont ist seit mehr als 35 Jahren in Bankenwesen tätig. Er war in verschiedenen Bereichen der Finanzindustrie tätig, unter anderem im Vertrieb, im Marketing und zuletzt im Umfeld des Zahlungsverkehrs. In seinen Aufgabenbereich fallen unter anderem regulatorische Themen, das Management von Zahlungsverkehrs-Infrastrukturen sowie die Arbeit in nationalen und internationalen Gremien im Bereich Payments. Ein besonderes Anliegen sind ihm Innovationen im Bankenbereich und das "Querdenken". Michel Lemont ist Autor des Buches „Bankers have more fun“ und betrachtet das Bankwesen gerne von der humoristischen Seite. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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