Nach einer langen Phase der Preisstabilität steigen jetzt die Zinsen, es werden Warnungen ausgesprochen und die Zeitungen fragen besorgt: Ist die Inflation zurück? Die Antwort lautet nein, denn…
In den letzten zehn Jahren ist die Geldmenge (M3) im Euroraum um mehr als 50 Prozent gewachsen. Und doch schlägt sich dieses Wachstum der Geldmenge nicht in den Inflationszahlen nieder. In der Eurozone sind die Preise im gleichen Zeitraum um rund acht Prozent gestiegen.
Viele Beobachter sehen darin eine Unterbrechung des langfristigen Transmissionsmechanismus der Geldmenge auf die Inflation. „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen“, sagen die Lehrbücher der ökonomischen Theorie.
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Aber die Diskussion über die Inflation als Ganzes ist umstritten. Es ist wichtig, zwischen der Inflation als statistisches Mass und ihrer tatsächlichen Bedeutung zu unterscheiden. Grundsätzlich bedeutet Inflation den Verlust der Kaufkraft. Mit anderen Worten: Wenn eine Wirtschaft inflationiert, verlieren die Wirtschaftssubjekte – Firmen etwa, aber auch Sie oder ich ganz persönlich – an Kaufkraft. Umgekehrt gewinnen die Akteure an Kaufkraft, wenn sich eine Wirtschaft in einer Deflation befindet. So viel zur Theorie.
In der Praxis wird die Inflation wird dem Verfahren des Warenkorbes, genauer gesagt, mit dem Verbraucherpreisindex. Für seine Berechnung werden monatlich mehr als 300.000 Einzelpreise in Handels- und Dienstleistungsunternehmen erhoben. Doch diese Technik ist eine starke Verkürzung der Wirklichkeit. Denn: Es gibt weit über 300.000 Konsumgüter. Und: Wichtiger für den Erhalt der Kaufkraft sind langfristig die Investitionen – und genau diese werden im Index untergewichtet.
Niedrige Preise – geringe Kaufkraft
Bei den Konsumgütern spricht vieles dafür, dass die Preise langfristig niedrig bleiben werden. Produktionstechnologien werden billiger, die globale Logistik wird kostengünstiger, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft reduzieren den Ausschuss und vieles mehr. Der Konsum findet zunehmend digital statt, wobei viele digitale Güter ohnehin keinen monetären Preis haben. Mit den heute zur Verfügung stehenden Kapazitäten ist eine Umkehrung dieses Trends nur schwer vorstellbar.
Betrachtet man jedoch die Entwicklung der Kaufkraft aus der Investitionsperspektive, ergibt sich ein anderes Bild. Steigende Immobilienpreise, steigende Aktienmärkte, rasant steigende Preise bestimmter Kryptowährungen – der Wert von Aave, einer Lending-Plattform für Kryptowährungen, ist innerhalb von zwei Jahren um 49.486 Prozent gestiegen – sind klare Anzeichen für eine Inflation der Vermögenswerte. Das bedeutet, dass es immer teurer wird, Vermögen risikogerecht anzulegen. Mit anderen Worten: Die Investitionskraft von Vermögenswerten nimmt ab.
Minus-Zinsen sind Inflation
Der wirklich problematische Aspekt für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung jedoch ist der Minus-Zins. Dieser belastet die Finanzmärkte, bringt die Altersvorsorge in einen Anlagennotstand und frisst das Vermögen der Sparenden auf– und schmälert damit die Kaufkraft der künftigen Rentnerinnen und Rentner. Dies ist der direkteste Fall der Kaufkraftverschlechterung. Der Grund dafür ist, dass der Wert zukünftiger Vermögenswerte mit einem negativen Zinssatz sinkt.
Der Minuszins verschlechtert die Kaufkraft. Das bedeutet, dass die Inflation nicht zurückgekehrt ist – sie war schon immer da.