Wo stehen die deutschen Banken beim Thema Innovation und welche Trends bei digitalen Technologien sind zukünftig zu erwarten? Darüber sprach ich mit Remigiusz Smolinski, einem der profiliertesten Experten auf diesem Gebiet.
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und immer neuer Technologien sind Innovationen immer noch ein angesagtes Thema in der Finanzbranche. Zwar wird die Diskussionen darüber nicht mehr ganz so laut geführt, wie vor einigen Jahren, das liegt aber wohl mehr daran, dass es inzwischen Konsens darüber gibt, dass Innovationen auch im Banking integraler Bestandteil einer zukunftsorientierten Erfolgsstrategie sein müssen.
Interview mit Remigiusz Smolinski zu Innovationen
Einer der sich besonders gut in dem Bereich auskennt, ist Prof. Dr. Remigiusz Smolinski. Er war Leiter des Innovationsmanagements der Otto-Gruppe, bevor er 2015 die Leitung des Bereichs „Business Development & Innovation Management“ bei der comdirect übernahm. Schnell machte er sich in der Bankbranche einen Namen. Zahlreiche Vorträge, sowie Gastbeiträge und Interviews, auch hier im Bank Blog, trugen dazu bei.
Seit Anfang des Jahres ist er als selbständiger Berater in Sachen Innovation im In- und Ausland unterwegs. Zudem unterrichtet er als Honorarprofessor an der HHL Leipzig Graduate School of Management. Der Bank Blog hat sich mit ihm über die aktuellen Innovationstrends im Bereich Banking unterhalten.
Innovationen sind meine Leidenschaft
Der Bank Blog: Nach nur drei Jahren sind Sie Anfang des Jahres bei der comdirect für Außenstehende überraschend ausgestiegen. Hatten Sie die Nase voll von Innovationen im Banking?
Remigiusz Smolinski: Innovationen und Innovationsmanagement sind nach wie vor meine großen Leidenschaften, die ich immer noch aktiv verfolge, allerdings momentan hauptsächlich im Ausland. Seit Anfang des Jahres arbeite ich im Auftrag eines Investors als Interim CEO von einem FinTech-Startup mit Teams in Asien und USA. Die Finanzbranche lässt nicht so schnell los ;-)
Ich fand es auch extrem spannend zusammen mit den Kollegen die Zukunft des deutschen Bankings mitzugestalten und comdirect als einen der Innovationsführer der Branche zu etablieren. Das war eine tolle Zeit, in der wir auch einige innovative Ideen entwickelt, Produkte gebaut und anschließend auf den Markt gebracht haben.
Innovationsexperten, die ihren Job aus Leidenschaft und Überzeugung machen und ihr Handwerk verinnerlicht haben, wissen, dass das ihr ultimatives Ziel eine Selbstabschaffung sein muss. Ich freue mich sehr, dass ich diesen Zustand bei comdirect erreichen konnte.
Innovationen sind Luxus, den sich nicht jeder leisten kann
Der Bank Blog: Die letzten drei Jahre waren sicherlich nicht nur bei der comdirect eine spannende Zeit. Banken und Sparkassen haben einiges getan, um die vermeintlichen Angriffe von FinTechs und BigTechs abzuwehren. Wo steht die Finanzbranche bei den Themen Digitalisierung und Innovation heute?
Remigiusz Smolinski: Beide Themen sind in den letzten Jahren deutlich präsenter geworden und zumindest die Digitalisierung lässt sich heute aus der strategischen Agenda der Banken nicht mehr vernünftig weg argumentieren. Seit mehreren Jahren laufen in der Branche bereits zahlreiche große Programme und Projekte, die Prozesse optimieren, die IT-Infrastruktur und -Architektur modernisieren, und die Effizienz des Bankenbetriebs steigern sollten. Grundsätzlich ist das ein gutes Zeichen, allerdings wird dieser Prozess uns noch eine Zeitlang begleiten.
Wenn wir uns aber überlegen, warum die Digitalisierungsdebatte überhaupt geführt und Investitionen in dem Bereich getätigt werden müssen, wird uns schnell klar, dass es dabei weniger um die Verschaffung neuer Wettbewerbsvorteile geht, als um die Abschaffung der Nachteile, die sich über die Jahre durch Nachlässigkeit der Entscheidungsträger akkumuliert haben. Das Internet gibt es nicht seit gestern und die damit verbundenen technologischen und soziologischen Veränderungen sind auch nicht plötzlich vom Himmel gefallen Die Tatsache, dass wir immer noch jedes Jahr auf diversen Konferenzen und Summits stolze Berichte über „erfolgreiche Digitalisierungsprojekt“ anhören müssen, ist eigentlich ein Armutszeugnis für die gesamte Branche.
Innovationen dagegen sind kein Muss. Innovationen sind Luxus, den sich nicht jeder leisten kann und soll. Innovationen sollten aufgrund einer bewussten, strategischen Entscheidung vorangetrieben werden und nicht, weil es gerade zum guten Ton in der Branche gehört. Trotz allen ihren Bemühungen, ist die deutsche Bankingbranche sogar im europäischen Vergleich beim Thema Innovationen eine Randerscheinung oder vielleicht etwas politisch korrekter ein Late Follower. Die Zukunft der Finanzbranche wird heutzutage hauptsächlich in den USA und Asien gestaltet.
Innovationen sind alternativlos
Der Bank Blog: Warum sind Innovationen für die Finanzbranche wichtig?
Remigiusz Smolinski: Weil es noch so viele Probleme in der Branche gibt, die darauf warten entdeckt und gelöst zu werden. Weil persönliche Finanzen ein zentraler Ausgangspunkt für viele wichtige Entscheidungen sind. Weil der Kunde sich nur ungerne mit seinen Finanzen auseinandersetzen möchte. Weil Banking ein wichtiger Auslöser und Enabler für andere Dienstleister ist. Weil sie dazu führen können, neue Wettbewerbsvorteile zu generieren. Vor allem aber, weil es langfristig dazu keine Alternative gibt.
Der Bank Blog: Worauf kommt es – aus Ihrer Erfahrung – bei Innovationen ganz allgemein betrachtet an?
Remigiusz Smolinski: Innovationen sind Ideen, die wirtschaftlich umgesetzt wurden. Daraus lassen sich zwei wesentliche Aspekte ableiten, worauf es beim Thema Innovationen ankommt:
- Reichtum an Ideen erzeugen sowie die
- Fähigkeit und Ressourcen aufbauen, um die besten Ideen umsetzen zu können.
Das übergeordnete Ziel von Innovationsmanagement ist es, diese Prozesse so effizient wie möglich zu gestalten und systematisch zu unterstützen. Eigentlich ist es banal und wir wissen es seit über 100 Jahren und trotzdem kriegen es nur ganz wenige Firmen richtig gut hin.
Innovationshemmnisse im Banking sind großenteils systemisch
Der Bank Blog: Und welches sind die spezifischen Erfolgsfaktoren und Bremser im Finanzbereich?
Remigiusz Smolinski: Die Beziehung zwischen Finanzinstituten, vor allem Banken und Innovationen sah zuerst fast nach einer romantischen Liebe aus. Sehr schnell sind daraus zahlreiche Hackathons, Innovation Labs, Inkubatoren, Acceleratoren, und Company Builder entstanden und man konnte fast denken, dass ein Durchbruch bald kommen muss. Stattdessen überlegt man sich heute, ob diese Beziehung nicht vielleicht eine Mesalliance ist.
Obwohl die meisten Banken sehr gerne innovativer werden möchten, sind nicht viele bereit, die dafür notwendigen Voraussetzungen vollständig zu erfüllen bzw. haben nicht genügend Mut und/oder Ressourcen, um die potentiellen Konsequenzen konsequent zu tragen.
Das Traurige daran ist aber leider, dass die größten Innovationshemmnisse in der Bankingbranche nicht nur Managementbedingt, sondern großenteils systemisch sind. Dazu gehören z.B.:
- Geschäftsmodell: Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass viele Banken ihr Geschäftsmodell deutlich zu eng betrachten und sich vollständig darauf fokussieren schnellere Pferde zu züchten und damit auch das Potential verpassen, ihre Wertschöpfungskette zu verlängern.
- Regulatorik: Der Gesetzgeber macht es den Banken leider nicht leichter. Wenn sogar schnelle und innovative Banken mehrere Monate brauchen, um diverse regulatorische Checklisten auszufüllen, bevor ein neues Produkt gelauncht werden kann, dann ist das nicht besonders innovationsfördernd.
- Vorstandsunterstützung: Die meisten Entscheidungsträger in der Finanzbranche haben ihre gesamte Kariere in dieser Branche verbracht und oft ihre eigene Vorstellung davon, was Innovationen sind und was man machen muss, um sie systematisch zu verfolgen. Die ist jedoch leider oft von der Realität sehr weit entfernt. Vorstandsunterstützung ist allerdings einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des Innovationsmanagements.
- Strategie: Innovationsmanagement, das nur auf dem Organigramm steht und in der Unternehmensstrategie nicht verankert ist, ist eine reine Ressourcenverschwendung. Innovationsführerschaft muss als eine bewusst gewählte strategische Differenzierungsmaßnahme angestrebt werden. Nur unter solchen Voraussetzungen lassen sich wichtige Trade-off-Debatten im Unternehmen vernünftig führen
- Anreizstrukturen: Historisch betrachtet haben Finanzinstitute ihre Mitarbeiter für Prozesstreue, Liebe zum Detail, Gehorsamkeit, Risikoaversion, etc. belohnt und befördert. Solche Eigenschaften helfen beim Innovationsmanagement leider nur sehr bedingt. Stattdessen quälen sich viele Finanzinstitute mit dem Dilemma: warum, und wenn ja, wie sollen wir Innovationsmitarbeiter fürs Scheitern belohnen? Mittlerweile muss es allen Entscheidungsträgern klar, dass die Erfolgsquote bei Innovationen nur selten 20 Prozent übersteigt und meistens deutlich drunter liegt.
Diese Liste könnten wir noch beliebig verlängern, allerding wollen wir unsere Leser nicht langweiligen ;-). Institute, die keine Lösungen für die oben genannten Punkte finden und kompetitiv bleiben möchten, müssen sich ihre Innovationsfähigkeiten bzw. Wettbewerbsvorteile auf diesem Gebiet durch Zukäufe teuer aneignen. Das freut natürlich die umtriebigen FinTech-Unternehmer und erhöht für sie die Wahrscheinlichkeit eines lukrativen Exits.
Umstellung auf Agilität ist oft ein schmerzhafter Prozess
Der Bank Blog: Agil ist – nach Disruption – der neue Modebegriff, nicht nur im Banking. Was ist daran so toll und wo stehen die Finanzinstitute?
Remigiusz Smolinski: Die deutsche Internetbranche hat Agilität bereits vor über 10 Jahren für sich entdeckt und seitdem diesen Ansatz systematisch verfolgt. Ich finde es immer noch erstaunlich wie lange es gedauert hat bis dieses Konzept von der Finanzbranche anerkannt wurde und noch erstaunlicher, dass viele Finanzinstitute bis heute keine überzeugende Antwort gefunden haben ob sie agil werden möchten oder nicht. Viele wären gerne agiler aber mit langfristiger Planungssicherheit, was natürlich nicht geht.
Umstellung auf Agilität ist oft ein schmerzhafter Prozess, allerdings weitere Diskussionen helfen auch nicht weiter. (IT-)Vorstände, die bis heute noch keine Lösung parat haben, was Agilität für ihr Institut bedeutet, haben ihren Zug schon mehrfach verpasst und sollten sich gut überlegen, ob sie ihrer Herausforderung gewachsen sind.
Wir brauchen intelligente Assistenzsysteme für persönliche Finanzen
Der Bank Blog: In einem Gespräch mit dem Bank Blog hat Dirk Vater von Bain & Company kürzlich gesagt, die Banken müssten bereit sein, große digitale Wetten auf Technologien einzugehen. Auf welche Technologien würden Sie setzen?
Remigiusz Smolinski: Das Interview habe ich aufmerksam gelesen und war von den Big Betts und No-Regret-Moves tief beeindruckt. Das Banking von heute ist wie eine gut eingeölte Maschine. Es ist zwar ein wenig stumpf aber es funktioniert. Wenn ich ihr eine Disposition erteile, dann führt sie sie aus. Unabhängig davon ob sie zum richtigen Zeitpunkt erfolgt und ob sie inhaltlich sinnvoll ist. Bis vor kurzem war das vielleicht gut genug, allerdings steigern die Kunden ihre Erwartungen langsam.
Wir leben in sehr spannenden Zeiten. Wir werden in selbstfahrenden Autos oder sogar unbemannten Flugmaschinen befördert, unsere Smartphones organisieren unser Leben, links und rechts verlassen wir uns auf Technologie und Algorithmen, allerdings: Mit unseren persönlichen Finanzen beschäftigen wir uns am liebsten gar nicht und wenn schon, dann nicht viel anders als vor 100 Jahren.
Das muss sich ändern und wird sich auch ändern! Aber dafür müssen Finanzinstitute tatsächlich eine große Wette auf künstliche Intelligenz eingehen. Damit meine ich nicht die Ansätze im Back-Office (RPA), die außer erhöhter Effizienz, für den Kunden nicht viel verändern. Damit meine ich intelligente Assistenzsysteme für persönliche Finanzen, die sie laufend und proaktiv optimieren.
Digitale Technologien müssen Kundenprobleme lösen
Der Bank Blog: Besteht bei dem all dem Hype um neue Technologien und Digitalisierung nicht die Gefahr, dass der Kunde am Ende zu kurz kommt?
Remigiusz Smolinski: Technologien und davon abgeleitete Produktideen dürfen keinen Selbstzweck verfolgen. Sie müssen ein konkretes Kundenproblem lösen und damit für ihn einen Mehrwert stiften. Auch wenn das Problem dem Kunden vielleicht nicht ganz bewusst ist, bzw. wenn der Lösungsansatz zu disruptiv ist, um ihn aktiv zu fordern (schnellere Pferde vs. Autos), muss Kundenfeedback zum festen Bestandsteil der Produktentwicklung werden. Technologiezentrierung war ein unbestrittenes Dogma der Industrialisierung. Diese Zeiten sind aber endgültig vorbei. Heute stehen der Kundenzugang und die Kundennähe im Vordergrund.
Der Bank Blog: Vor drei Jahren haben Sie auf die Frage, welche Vision Sie für das Banking im Jahr 2025 haben gesagt: „Banking wird vollständiger Teil des Nutzungsalltages sein und es Menschen ermöglichen, überall, jederzeit und auf allen erdenklichen Devices Finanzgeschäfte leicht und intuitiv zu erledigen. Banking wird sich radikal an den Bedürfnissen von Kunden ausgerichtet haben und deren Finanzen als intelligenter Begleiter optimieren.“ Gilt dies unverändert?
Remigiusz Smolinski: Davon bin ich auch noch heute fest überzeugt. Der erste Teil meiner Vision wurde sogar von einigen Banken bereits umgesetzt! Eine der weltweit führenden Banken in dem Bereich ist die mBank in Polen. Die anderen folgen in ihrem eigenen Tempo. Manche schneller und fokussierter und manche bedachter und in kleineren Schritten, allerdings bestehen heute keine Zweifel, dass schneller Zugang zu eigenen persönlichen Finanzen für die meisten Kunden sehr wichtig ist.
Bei dem zweiten Teil der Vision merke ich tatsächlich einen erhöhten Kundenfokus bei vielen Finanzinstituten. Noch nicht immer wird er in ihrem Produktangebot klar erkennbar, aber zumindest ist die Notwendigkeit der Kundenzentrierung in der Branche weit anerkannt. Allerdings, auf einen „intelligenten Finanzbegleiten“ so wie wir ihn beschrieben haben, werden wir wahrscheinlich noch ein paar Jahre warten müssen und ich bin nicht sicher ob er tatsächlich zuerst von einer Bank entwickelt wird.
Drei zentrale Trends für die technologische Zukunft
Der Bank Blog: Welche entscheidenden Entwicklungen im Bereich digitale Innovation sehen Sie in der Finanzbranche für die kommenden 12 Monate?
Remigiusz Smolinski: 12 Monate ist ungefähr die Zeit, die eine mittelgroße Bank benötigt, um ein mittelgroßes Projekt umzusetzen. Deswegen lassen sich vermutlich in diesem Zeitraum keine deutlichen Entwicklungen in der Finanzbranche beobachten. Allerdings, wenn wir den Zeitraum etwas erweitern vermute ich, dass wir möglicherweise folgende Phänomene sehen könnten:
- Annäherung und Kooperationsinitiativen zwischen der Finanzbranche und progressiven Vertretern aus anderen Branchen. Damit meine ich nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Versicherung und Immobilien, sondern z.B. Gesundheitswesen, Reisen oder Automobilindustrie. Überall dort, wo der Kunde seine größere Kauf- und/oder Investitionsentscheidungen optimieren kann und will, gäbe es Platz für gemeinsame Projekte.
- Rise of AI – Hoffentlich, in diesem Zeitraum, wagen sich auch die innovativsten Banken (mehr) Künstliche Intelligenz in ihre Produkte einzubauen und sie ihren Kunden anzubieten. Die Banken erfüllen alle Voraussetzungen, um es machen zu können. Sie besitzen den Kundenzugang. Kundenzustimmung vorausgesetzt, könnten sie auch auf die Daten zugreifen, von den die FinTechs nur träumen können und vor allem, sie haben das Kundenvertrauen um die Kunden um die Datenfreigabe zu bitten.
- Blockchain beyond Krypto – Schließlich hoffe ich, dass die Finanzbranche das enorme Potential der Blockchain-Technologie besser versteht und davon für sich Gebrauch macht. Die Sicherheit und dezentrale Transparenz, die Blockchain anbietet ist für viele Finanzgeschäfte sehr gut geeignet, allerdings profitieren davon bis jetzt hauptsächlich die FinTech-Startups.
Der Bank Blog: Herzlichen Dank für das Gespräch.