Immer wieder hört man den Satz, die letzte echte Innovation im Retail Banking sei der Geldausgabeautomat gewesen. Aber das war und ist falsch. Der heutige Gastbeitrag gibt einen Einblick die aktuelle Entwicklung und berichtet über aktuelle Forschungsergebnisse.
Schauen wir 25 Jahre zurück, so wurden die allermeisten Überweisungsbelege von Hand ausgefüllt, in der Filiale abgegeben und im Back Office codiert. Für Sparbuch-Nachträge gab es spezielle Buchungsmaschinen, die an mechanische Rechenmaschinen erinnern. Ratenkredite wurden vom Filialleiter per Hand mit Kreuzchen gescored. Die Papier-Kontoauszüge erhielt man monatlich (!) per Gelbe Post oder holte sie in der Filiale ab. Und Btx, der erste Hauch von Digitalisierung am Kunden, war ein Nischenprodukt. Da ist in den letzten 25 Jahren viel passiert!
Retail Banking Innovation heute
Eine Generation später stellt sich dieselbe Frage: Was macht Innovation im Retail Banking im deutschsprachigen Raum heute aus? Was sind die großen Trends, welche Durchbrüche sind zu erwarten? Was ist andererseits eher Hype? Anlass genug für ibi research an der Universität Regensburg das Ganze mit der Neutralität der Wissenschaft zu vermessen.
Sucht man in Literatur, Blogs etc. systematisch nach Begriffen in Verbindung mit Innovationen im Retail Banking, so finden sich 21 relevante Nennungen. Streicht man diejenigen, die nur ein Nischendasein führen, so bleiben elf Einträge. Und fragt man eine Expertengruppe in den Banken und außerhalb, welche Entwicklungen wirklich relevant sind, so schälen sich acht Top-Kandidaten heraus.
Interessant: Die futuristische Bankfiliale hat aus Sicht der Experten den Weg in die Top-Liste nicht geschafft – wer Finanzdienstleistungen vor Ort diskutieren will, kann dies offenbar auch in der heutigen Filialumgebung adäquat tun. Andererseits fällt auch Gamification heraus – der Umgang mit Finanzen wird nicht zum Spiel werden, auch wenn man sich ein frühzeitiges, systematisches Lernen mit spielerischen Elementen wünscht. Schließlich: Social Trading macht das Rennen ebenfalls nicht – „beim Geld hört die Freundschaft auf“ ist offensichtlich nicht nur ein leerer Spruch.
Acht Top Felder für Innovation in der Finanzdienstleistung
Die verbliebenen acht Top-Kandidaten wurden durch Befragung im Detail vermessen. Mit diversen Fragen wurde die zukünftigen Bedeutung einerseits, der heutige Umsetzungsgrad andererseits abgeschätzt. Konzentriert man die Ergebnisse auf genau diese beiden Dimensionen, so zeigen sich klare Trends.
Top Trend Mobile Banking
Der große „Renner“ und damit die Nummer 1 ist das Mobile Banking. Noch vor zwei bis drei Jahren wurde es als eher zweitrangig abgetan: Wer außer ein paar Daytradern braucht Banking schon „on the road“? Inzwischen hat Mobile Banking in beiden Dimensionen abgehoben, das heißt hinsichtlich Bedeutung wie auch bezüglich Umsetzungsstand. Natürlich haben die komfortablen Front Ends, also Smartphones und Pads mit den entsprechenden Apps, das Ihre dazu beigetragen. Und natürlich werden sie auch zu Hause oder im Büro eingesetzt, nicht nur auf der Reise. Trotzdem bleibt in beiden Richtungen viel Luft nach oben, also viel Potential für weitere Innovationen.
Deutlich abgeschlagen auf den Positionen 6 bis 8 sind nach Expertenmeinung die Peer-to-Peer-Kredite, Crowd Funding-Plattformen und P2P-Transaktionen – die weitere Umsetzung ist zweifelhaft. Wieder scheint sich der schon geschilderte Eindruck zu bestätigen, dass beim Geld die Freundschaft aufhört. Mangel an Vertrauen zur Gegenpartei in Verbindung mit begrenzter Einschätzbarkeit des sachlichen Risikos scheinen diesen Lösungsfeldern enge Grenzen zu setzen.
Von PFM bis Mobile Payment
Im Mittelfeld, das heißt auf den Plätzen 2 bis 5, bewegen sich die übrigen vier Innovationslösungen: Personal Finance Management, Online-Plattformen zum leicht verständlichen Anlegen „in Selbstbedienung“, Video-Beratung sowie Mobile Payments. Allen vier Feldern scheint die Zukunft sicher, aber der Weg kann lang und unter Umständen beschwerlich sein.
Personal Finance Management wünschen sich viele Kunden, wie eine andere Untersuchung von ibi research zeigt, und zwar vorzugsweise mit einem Lösungsangebot ihrer Hausbank. Zugetraut wird es allerdings eher dritten Parteien – hier verspielen die Banken gerade Potential!
Dem leicht verständlichen Anlegen über Online-Plattformen, also in Selbstbedienung, wird auch eine Zukunft zugetraut. Hier besteht Potential, das weit über Nischen hinausgeht. Wer sich einmal den Charme einer Online-Vermögensberatung angesehen hat, wie sie beispielsweise die Quirin-Bank mit quirion bietet, kann diese Aussage gut nachvollziehen.
Video-Beratung könnte eine gute Kombination von gewünschter persönlicher Beratung und Vorteilen der Digitalisierung bieten. Gespräche über komplexe Lösungen mit dem Berater, aber viel effizienter als in der Filiale durchgeführt, vielleicht sogar im Dreierkreis mit Zuschaltung von Experten. Wir beobachten bereits diverse Implementierungen und sind gespannt auf mehr!
Schließlich Mobile Payments: Die erste Runde der Digitalisierung, nämlich Zahlungen im Internet, ist klar an PayPal, Amazon und andere Nicht-Banken gegangen. Dort wird auch verdient, während die Banken gegen minimale Erträge weiterhin die Transaktionen im Hintergrund abwickeln dürfen. Nun wird mit Apple Pay der Standard für Zahlungen in der physischen Filialwelt gesetzt. Es wird spannend, ob die Banken gegenüber diesen Innovationen adäquate Antworten bereit haben!
Ausblick
Alle acht genannten Lösungsfelder werden als bedeutend eingestuft, sind aber weit von einer vollständigen Umsetzung entfernt. Hier bestehen vielfältige Möglichkeiten, mit Innovation Differenzierung zu betreiben. Jedenfalls wird ibi research am Ball bleiben. Noch im März 2015 ist die Veröffentlichung der Studie mit Detail-Ergebnissen geplant. Nach einem Jahr will ibi research wiederum den Status erheben – und natürlich fragen, ob es neue Themen auf der Liste der Top-Kandidaten gibt.