In der Finanzbranche herrscht hoher Innovationsdruck, der durch FinTechs und BigTechs zusätzlich angefeuert wird. Ziel muss es sein, Innovationen so effizient wie möglich gestalten. Ein neuer Standard kann dabei wirkungsvoll unterstützen.
In der Gründerszene wird über das Scheitern nicht hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Fehler werden laut gefeiert. Darin steckt eine wichtige Botschaft: Misserfolge und sogar Pleiten gehören zum Unternehmerleben dazu. Auf regelmäßigen Events zelebriert die Szene das: Wohl kein Start-up-Hub in Deutschland ohne eigene Fuck-up-Night.
Zwischen 80 und 90 Prozent der Start-ups oder Neugründungen scheitern – je nach Jahr und Studie, die man heranzieht. Oft steckt hinter mehreren Gründungen nur eine Person. Für den Serial Entrepreneur sind Innovationen die Luft zum Leben. Denn ohne Mut zum Risiko kämen Wirtschaft und Gesellschaft nicht vom Fleck. Viele Verantwortliche in der Finanzindustrie wissen das und haben zum Erforschen neuer, oft digitaler Geschäftsmodelle Innovationsprozesse eingeleitet.
FinTech und Big Tech – Banken unter Innovationsdruck
Gerade in Banken ist der Innovationsdruck hoch. Außerhalb der Branche würde es wohl eine Menge Kopfschütteln ernten, wäre das Beispiel von auf Cobol laufender Altsysteme dort bekannter. Und seit einigen Jahren entsteht neben dem etablierten Drei-Säulen-System aus Sparkassen, Genossenschafts- und Privatbanken eine vierte Säule aus FinTechs und BigTechs, die neue Geschäftsmodelle in den Markt bringen. Im Start-up-Umfeld entwickelt sich, wie Studien von KPMG oder der comdirect zeigen, besonders der FinTech-Markt dynamisch und erfolgreich: Unter den weltweiten Einhörnern sind besonders viele FinTechs.
In den kommenden Jahren wird sich also entscheiden, welche Banken schnelle Innovationszyklen entwickeln und sich mit den richtigen Neuerungen weiter vorn im Markt behaupten – und welche nicht. Dabei werden etablierte Unternehmen, ebenso wie Kapitalgeber und Gründer, viele Wetten spielen müssen, damit eine davon aufgeht. Das erfordert Zeit und Geld. Die Arbeit an Innovationen ist immer eine Investition in die Zukunft und damit auf kurze Sicht per Definition nicht effizient. Doch das bedeutet nicht, dass sie ineffizient ablaufen muss. Und sollte es auch nicht.
Innovationsmanagement gestaltet das Neue so effizient wie möglich
Ein strategisches Innovationsmanagement im Unternehmen setzt dabei an, Innovation so effizient wie möglich gestalten. Dabei hilft ein vermeintlicher Widerspruch: der ISO Standard 56002 für Innovationsmanagement.
Der globale Standard 56002 der Internationalen Organisation für Normung (ISO) ist ein Wegweiser für Unternehmen, ein Innovationsmanagementsystem zu schaffen. Das ermöglicht es ihnen, konsequenter und mit weniger Risiko zu innovieren und kosteneffizient zu experimentieren. Für die Entwicklung des Standards haben sich mehr als 100 Experten aus 61 Ländern und mehreren Partnerorganisationen zusammengeschlossen. Er wurde 2019 nach fünfjähriger Entwicklungszeit veröffentlicht.
Das Vorgehen nach dem Standard ermöglicht Entscheidern eine ganzheitliche Steuerung von Innovationsaktivitäten und hilft ihnen außerdem dabei, die Wirkung von bereits etablierten innovationsfördernden Prozessen und Aktivitäten zu bewerten und ins Verhältnis mit dem Wettbewerb zu setzen.
Ein Standard für Innovation – den Freigeist normieren?
Also Struktur und Innovation gleichzeitig? Das Neue normieren und steuern? Ja und nein. Der Standard für Innovationsmanagement setzt mit einem klaren Kompass darauf, Innovation als Haltung und Handlung fest im Unternehmen zu verankern – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass allen Beteiligten nicht nach wenigen Schritten die Puste oder die Kreativität ausgeht. Denn damit Innovation das Unternehmen voranbringt, benötigt sie mehr als einen vereinzelten Hackathon oder Design Thinking Workshop. Idealerweise entsteht eine neue Kultur, in der dann auch über das Scheitern nicht hinter vorgehaltener Hand geflüstert wird.
Timothy Ferring ist Koautor des Beitrags. Er ist Associate bei KPMG im Bereich Financial Services und berät Finanzunternehmen zum Thema Innovationsmanagement und bearbeitet Projekte zur Implementierung von innovativen Softwarelösungen. Zuvor hat er u.a Innovations- und Changemanagement studiert.