In einem ausführlichen Interview mit Dr. Daniel Diemers von PwC/Strategy& habe ich über den Einzug des Internet of Things in unseren Alltag und die Chancen und Herausforderungen für die Finanzbrache gesprochen.
Eine kürzlich vorgestellte Studie von PwC macht deutlich, dass die Themen Internet der Dinge, Künstliche Intelligenz und Big Data miteinander verknüpft werden müssen, um das volle Potential auszuschöpfen. Für Unternehmen steigt damit die Komplexität. Als eine Konsequenz kann man digitale Technologien nicht mehr inkrementell angehen, sondern muss sie in eine ganzheitliche Strategie einbetten.
Gespräch mit Daniel Diemers, Strategy&
Darüber, was dies für Banken und Sparkassen bedeutet, habe ich mich mit Dr. Daniel Diemers unterhalten. Er arbeitet bei Strategy& (der Strategieberatung von PWC) als Geschäftsführer mit Schwerpunkt auf strategischen Projekten zur Digitalisierung unter Einbezug neuer Technologien.
Im ersten Teil des Interviews ging es um das Potential des Internet of Things für Banken und Sparkassen sowie um die technologischen Möglichkeiten, dieses zu nutzen. Dabei wurde u.a. die hohe Relevanz von Blockchain-Technologien für das IoT deutlich.
Im heutigen zweiten Teil geht es um den Einzug des Internets der Dinge in den Alltag der privaten Verbraucher und darum, wie sich Finanzinstitute Zugang zu den relevanten Ökosystemen und Wertschöpfungsketten verschaffen können.
Das Internet of Things wird zum Internet of Humans
Der Bank Blog: Wie sehen Sie die Verbindungen der privaten Konsumenten mit dem Internet der Dinge?
Daniel Diemers: Smartphones werden relativ bald verschwinden, zumindest wenn es nach den Auguren der Branche geht. Zukünftig sollen sie durch Projektionen, Elemente in der Kleidung bzw. im und am Körper ersetzt werden. Zusammen mit Sensoring werden Wearables dazu führen, dass eHealth Lösungen, die Körperfunktionen wie Puls, Körpertemperatur, Blutdruck, oder Schlafverhalten überwachen, stark an Bedeutung gewinnen. Damit werden auch eIDs wichtiger, also die Möglichkeit, sich digital eindeutig und sicher zu identifizieren und zu authentifizieren.
Zukünftig wird sich auf Basis des Internet of Things auch ein Internet of Humans herausbilden. Im Versicherungsbereich gibt es bereits erste Anwendungen dafür und ich erwarte, dass es eine Fülle von weiteren Lösungen aus dem Finanzdienstleistungsbereich geben wird.
Estland ist z.B. ein Vorreiter auf dem Gebiet der Digitalisierung. Es hat für seine Bürger seit kurzem eine zentrale staatliche Datenbank-Lösung aufgebaut. Unter einer digitalen ID werden wichtige persönliche Daten der Einwohner gespeichert, darunter auch Gesundheitsdaten. Die meisten der darauf aufbauenden digitalen Anwendungen basieren auf der Blockchain.
Verknüpft man im Internet der Dinge solche Lösungen mit Informationen, die durch Wearables bereitgestellt werden, ergibt sich daraus die Möglichkeit einer komplett digitalisierten Wertschöpfungskette, in die sich an verschiedenen Stellen auch Finanzdienstleister einklinken können. Zu den ersten Anwendungen, in denen sich eIDs sinnvoll nutzen lassen, gehört sicher der Bereich Zahlungen. Die Nutzung von Plastikkarten mit PIN-Eingabe wird damit überflüssig und statt Smartphones wird man zukünftig eine Vielzahl an Gegenständen zum Bezahlen nutzen. Es gibt ja bereits heute Wearables wie Ringe, Autoschlüssel und andere, die zum Bezahlen verwendet werden können. Das kann dazu führen, dass zukünftig bereits beim Betreten eines Geschäftes eine eindeutige Identifikation erfolgt, beim Verlassen die gekauften Waren gescannt werden und der Rechnungsbetrag dem Konto automatisch belastet wird. Kassen existieren in so einem Modell nicht mehr.
Das mag heute noch nach Zukunftsmusik klingen, aber in zehn oder fünfzehn Jahren wird es selbstverständlich sein.
Banken müssen Zugang zu IoT-Ökosystemen sicherstellen
Der Bank Blog: Was sollten Banken und Sparkassen heute tun, um für die von Ihnen beschriebene IoT-Welt von morgen gut gerüstet zu sein?
Daniel Diemers: Banken müssen sich entsprechendes Know-how bei den Themen Künstliche Intelligenz, Internet of Things und Data Analytics aneignen. Die größte Herausforderung liegt aber vermutlich darin, sich Zugang zu den entsprechenden Öko-Systemen zu sichern, also z.B. Smart Home oder Connected Car. Das könnte schwierig werden, da die Anbieter Eigeninteressen verfolgen. Automobilhersteller haben z.B. eigene Autobanken und ein Unternehmen wie Amazon könnte auf die Idee kommen, eigene Konsumfinanzierungen zu integrieren.
Der Bank Blog: Welches Vorgehen empfehlen Sie den Instituten?
Daniel Diemers: An erster Stelle steht für mich die Awareness, also der Aufbau eines Bewusstseins dafür, wie relevant die Themen sind. Vermutlich ist das, worüber wir uns hier unterhalten, für 99 Prozent der Bankvorstände in der DACH-Region Science Fiction. Drei bis fünf Jahre sind aber kein langer Zeitraum und vieles wird wesentlich schneller kommen, als wir heute denken.
Im zweiten Schritt gilt es, eigene Zukunftsszenarien zu entwickeln, daraus Use-Cases abzuleiten und diese sauber zu definieren. Daraus ergibt sich dann die Diskussion, welche Strategien sinnvoll sind, ob z.B. eine Strategie für Augmented Reality im Bereich Baufinanzierung sinnvoll ist oder ob man an einer anderen Stelle ansetzen sollte. Dort sind dann entsprechende Business Cases zu entwerfen.
Von hoher Bedeutung ist vor allem das Thema „Capability“, also die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, wie Personal, IT und Partner-Netzwerke. Auch der entsprechenden Kultur muss der Weg bereitet werden.
Ohne Aufbau von Fähigkeiten sind Strategien wirkungslos
Der Bank Blog: Warum ist der Aufbau von Fähigkeiten und Ressourcen so wesentlich?
Daniel Diemers: Eine Strategie ohne Berücksichtigung der heute und zukünftig notwendigen Capabilities ist letztlich wirkungslos, weil nicht zu implementieren. Selbst wenn eine Bank zu der Überzeugung gelangt, dass nur die Hälfte der skizzierten Technologie-Szenarien eintreten wird, sind dafür vermutlich völlig andere Fähigkeiten notwendig, als die, über welche sie aktuell verfügt. Das beginnt bei einem Technologie-Radar und führt bis hin zur Prüfung von Partnerschaften mit Technologie-Anbietern.
Der Bank Blog: Wo liegen die Gefahren, falls dies nicht geschieht?
Daniel Diemers: Auch in anderen Branchen gibt es zahlreiche Beispiele von Unternehmen, die durch die digitale Transformation vom Markt weitgehend verschwunden sind. Sicherlich gab es auch in diesen Fällen viele innovative Vorschläge, die jedoch auf der oberstehen Chefetage mit Vehemenz abgelehnt wurden, da das Ausmaß der Veränderung und Bedrohung nicht erkannt wurde.
Diese Gefahr sehe ich auch bei Banken. Themen werden zu früh und zu vehement als unrealistisch abgelehnt. In vielen Diskussionen mit Banken erleben wir, dass diese bei einer neuen Technologie gar nicht Pionier sein wollen. Ihnen erscheint eine Smart- oder Fast-Follower-Strategie attraktiver. Letztlich ist das aber nur eine andere Umschreibung von „Wir machen erst mal nichts und warten ab“. Wenn andere dann den Markt besetzt haben, kommt man möglicherweise zu spät. Nicht unbedingt, weil man eine Entwicklung wirklich verschläft, sondern weil man es in der Kürze der dann noch verbleibenden Zeit nicht schafft, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Ressourcen sind dann, entweder nicht verfügbar oder so teurer, dass es die Wirtschaftlichkeit einschränkt.
Unternehmen tun sich heute z.B. schwer, Blockchain-Programmierer mit ein oder zwei Jahren Erfahrung am Markt zu finden. Und wenn sie einen gefunden haben, ist damit zu rechnen, dass er nach kurzer Zeit wieder abgeworben wird.
Die neuen Technologien werden unseren Alltag erobern
Der Bank Blog: Wenn Sie fünf Jahre vorausschauen, welche realen Technologien werden wir dann sehen?
Daniel Diemers: Ich rechne damit, dass alle Technologien, über die wir gesprochen haben, dann mindestens „serienreif“ sind und an vielen Stellen bereits Einzug in unseren Alltag gehalten haben. Einige werden wir stärker, andere weniger stark bemerken.
Bei den Geschäftsmodellen der Banken wird der Wandel länger dauern. Je nach Blickrichtung mag man dies als Optimismus oder Pessimismus werten. Je komplexer die Geschäftsmodelle sind, desto länger wird die Neuausrichtung als Folge neuer digitaler Technologien dauern. Stark sophistizierte Bereiche wie Wealth Management oder Spezialfinanzierungen für Firmenkunden werden nicht über Nacht disruptiv auf den Kopf gestellt werden. Auch in fünf Jahren werden z.B. im Geschäft mit vermögenden Privatkunden ein persönlicher Augenkontakt oder ein Händedruck noch relevant sein. Die steuerliche Optimierung oder die Übertragung von Familienvermögen werden sich auch zukünftig nicht einfach per App oder Blockchain erledigen lassen.
Allerdings werden diese komplexen Geschäftsmodelle deswegen nicht von der technologischen Entwicklung abgekoppelt. Sie werden sich vielmehr digital-unterstützt weiterentwickeln. Teilweise wird die Technologie im Vordergrund sichtbar und für den Kunden spürbar sein, teilweise wird sie im Hintergrund helfen, die Effizienz und Effektivität zu erhöhen oder die Leistungen zu erweitern.
Deutlich ändern wird sich das „einfache“, standardisierte Geschäft: Consumer Finance, aber auch Kredite an KMUs, Zahlungsverkehr, kurzgesagt, das komplette Retail Banking wird nahezu vollständig digitalisiert werden. Banken verdienen ja bereits heute kaum noch auskömmlich in diesem Bereich. Allein schon der Zwang zur Effizienzsteigerung wird hier zu völlig neuen Strukturen und Prozessen führen. In dieser zunehmend digitalisierten Welt wird die Bedeutung von Filialen dramatisch abnehmen, auch wenn wir heute an manchen Stellen lesen, dass der Trend zu deren Schließung schon wieder gestoppt sei. Sie werden entweder überflüssig oder müssen hochgradig spezialisiert sein, um noch Sinn zu machen.
Die Unvorhersagbarkeit der Zukunft macht sie so spannend!
Der Bank Blog: Wer gewinnt am Schluss? Banken oder FinTechs?
Daniel Diemers: Ich sehe das nicht als Wettstreit. Die wenigsten FinTechs sind ja wirklich Anti- oder alternative Banken sondern bieten eher Ergänzungen. Viele FinTechs werden sowieso untergehen, wie bei Startups aus anderen Bereichen auch. Einige werden das Glück haben, von Banken gekauft zu werden oder mit diesen zusammenarbeiten zu können. Ob es am Ende echte „Disrupter“ gibt, daran habe ich meine Zweifel. Ein „Facebook für Banking“ sehe ich zurzeit jedenfalls nicht am Horizont. Allerdings konnte Facebook selbst auch niemand vorhersehen…
Überhaupt fasziniert mich seit jeher am Aufkommen neuer Technologien, wie „unvorhersagbar“ letztlich alle Entwicklungen sind. Wer hätte Anfang der 90er Jahre bei der Entstehung des World Wide Web auch nur ahnen können, wohin es uns in dieser relativ kurzen Zeitspanne geführt hat. Heute erledigen wir ganz selbstverständlich Einkäufe mit Smartphones oder schauen uns Filme darauf an.
Als 2001 das BitTorrent-Protokoll aufkam, wurde vor allem über Urheberrechtsverletzungen gesprochen und nicht über die wirtschaftlichen Perspektiven, wie wir sie heute in der Blockchain-Technologie sehen.
Mit anderen Worten: Die weitere Entwicklung wird spannend bleiben, weil niemand über die berühmte Kristallkugel verfügt.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.