„Der Beharrungsgrad tradierter Geschäftsmodelle ist immer noch zu hoch“

Fragen an Andreas Dombret zur deutschen und internationalen Finanzbranche

Abonnieren Sie den kostenlosen Bank Blog Newsletter

Vor drei Jahren ist Andreas Dombret aus dem Vorstand der Deutschen Bundesbank ausgeschieden aber längt noch nicht im Ruhestand. In einem exklusiven Interview äußert er sich zum Status Quo der Finanzbranche und benennt strategische Zukunftsthemen für Banken und Sparkassen.

Der Bank Blog: Interview mit Prof. Dr. Andreas Dombret

Exklusives Bank Blog Interview mit Prof. Dr. Andreas Dombret.

Partner des Bank Blogs

Horváth ist Partner des Bank Blogs

Von 2010 bis 2018 war Prof. Dr. Andreas Dombret im Vorstand der Deutschen Bundesbank u.a. für die Bereiche Banken- und Finanzaufsicht, Finanzstabilität, Märkte und Statistik zuständig; außerdem vertrat er Deutschland im Supervisory Board der EZB und im Verwaltungsrat der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Vor seiner Zeit im Central Banking war Dombret – nach Banklehre und Studium – in leitenden Funktionen für die Deutsche Bank, JP Morgan, Rothschild und die Bank of America tätig.

Inzwischen berät er multinationale Unternehmen wie z.B. die Unternehmensberatung Oliver Wyman, die japanische Megabank Sumitomo Mitsui und die spanische Banco Santander. Die US-amerikanischen M&A- und Restrukturierungskosten-Boutique Houlihan Lokey unterstützt er als Independent Chairman in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH).

Seiner universitären Interessen geht er u.a. als Honorarprofessor an der European Business School in Oestrich-Winkel und als Senior Research Fellow an der Columbia University in New York nach.

Interview mit Andreas Dombret zum Status des Finanzwesens

In einem exklusiven Interview hat sich Andreas Dombret den Fragen des Bank Blogs zum Status Quo der Finanzbranche, wichtigen Zukunftsthemen und den aktuellen Herausforderungen für Finanzinstitute gestellt.

Der Bank Blog: Zunächst einmal: Wie geht es Ihnen als Bundesbank-Vorstand im Ruhestand?

Andreas Dombret: Mein Abschied bei der Bundesbank liegt nun bereits 3 Jahre zurück, aber die 8 Jahre dort sind mir in allerbester Erinnerung. Und komplett verabschiedet man sich ja nie, so dass ich auch heute noch regen Kontakt zu vielen ehemaligen Kollegen in den Zentralbanken und Aufsichtsbehörden habe.

Inzwischen bin ich mit aktuell sieben Mandaten wieder in der Privatwirtschaft angekommen, von der mich der Weg ja auch ursprünglich zur Bundesbank geführt hatte. Außerdem bringe ich mich unverändert mit Vorlesungen und Vorträgen, Gastbeiträgen, Konferenzen und Interviews in die Diskussion ein. So richtig in den Ruhestand, wie es in Ihrer Frage anklang, bin ich also noch nicht eingetreten (lacht). Für den Ruhestand fühle ich mich auch noch zu jung und fit. Ich würde in meinem Fall eher von einem „Unruhestand” sprechen …

Alles in allem war die Zeit bei der Bundesbank sehr intensiv und erfüllend. Mein heutiger Zeitablauf ist dagegen deutlich entspannter, aber dabei immer noch extrem interessant und abwechslungsreich. Die durch die Pandemie erzwungene Abstinenz des früher doch sehr hohen Reiseaufwands genieße ich übrigens sehr – auch wenn ich mir wünsche, dass wir Covid 19 so rasch wie möglich in den Griff bekommen und hoffentlich bald wieder mehr reisen können. Ich bin da aber zuversichtlich.

Mittel- und langfristig haben sich die Herausforderungen an die Finanzstabilität nicht geändert

Der Bank Blog: Die globale Finanzkrise haben Sie als Vice Chairman Europa der Bank of America erlebt. In seiner Abschiedsrede beim Ausscheiden aus der Bundesbank hat Sie Bundesbankpräsident Weidmann als „Außenminister“ der Bundesbank bezeichnet, dessen Arbeit u.a. darin bestanden hat, die richtigen regulatorischen Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Finanzmarktstabilität ein?

Andreas Dombret: Um die Finanzstabilität hierzulande muss man sich trotz der Jahrhundert-Pandemie Gott sei Dank kurzfristig keine allzu großen Sorgen machen. Das sage ich trotz aller gebotener Vorsicht, denn dazu tragen im Bankensektor nicht zuletzt die erhöhten Eigenkapitalpuffer und die neuen Liquiditätsvorschriften bei.

Die Fiskalpolitik tut sehr viel, um die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, und die EZB unterstützt ebenfalls in erheblichem Umfang sowohl geldpolitisch wie auch durch die temporäre Absenkung aufsichtlicher Anforderungen. Entscheidend ist nun, dass die Pandemie baldmöglichst wirksam eingeengt wird und der wirtschaftliche Wiederaufschwung in Fahrt kommen kann. Ich bin mir sicher, dass die deutschen Banken und Sparkassen diese konjunkturelle Erholung äußerst konstruktiv unterstützen werden – und zwar so konstruktiv, wie sie sich seit Ausbruch der Pandemie bereits verhalten haben.

Mittel- und langfristig haben sich allerdings die Herausforderungen an die Finanzstabilität nicht geändert. Das Zinsniveau ist angesichts der Inflation weiterhin sehr niedrig, die Ertragskraft der europäischen Banken aus vielerlei Gründen leider ebenso. Außerdem stehen wir vor einer Welle notleidender Kredite, deren künftige Höhe niemand seriös vorhersagen kann. Insofern halte ich es für richtig, dass Banken und Sparkassen weiterhin so vorsichtig bleiben wie aktuell. Spätestens wenn wir konjunkturell wieder auf Vor-Pandemie-Niveau angekommen sind, werden auch die aufsichtlichen Vorschriften entsprechend auf das alte Niveau angepasst werden müssen.

Finanzkrisen wird es auch in Zukunft immer wieder geben

Der Bank Blog: Sind die richtige Lehren aus der Finanzkrise gezogen worden, so dass sie sich in dieser Form nicht wiederholen kann?

Andreas Dombret: Finanzkrisen wird es auch in Zukunft immer wieder geben, ob uns dies nun gefällt oder nicht. Finanzkrisen gehören in gewissem Maße zu einer Marktwirtschaft hinzu. Worauf es ankommt ist, dass Finanzkrisen bei ihrem Auftreten nicht das gesamte Finanzsystem in Mitleidenschaft ziehen. Diese systemische Komponente von Finanzkrisen ist man nach 2008 sehr konsequent angegangen, und es wurden viele wegweisende Verbesserungen auf den Weg gebracht, die vor allem den Bankensektor betreffen. Ja, ich finde, es sind die richtigen Lehren aus der globalen Finanzkrise gezogen worden.

Und gerade weil die richtigen Lehren gezogen und konsequent im Bankensektor umgesetzt wurden, erwarte ich, dass die nächste Finanzkrise eher nicht direkt vom Bankensektor ausgeht. Wir sind z.B. im Finanzsystem sehr verwundbar geworden, was die neuen Technologien anbetrifft. Und der Fall Archegos hat uns allen wieder einmal vor Augen geführt, welche Gefahren in Teilen des sogenannten Schattenbanksektors schlummern. Daher darf man sich nie zu sicher fühlen, was Finanzkrisen anbetrifft …

Der Bank Blog: Sie haben sich bereits frühzeitig mit FinTechs befasst und unzureichende IT-Kenntnisse bei Bankvorständen beklagt. Die Digitalisierung der Finanzdienstleistung haben sie als „Herausforderung und Chance zugleich“ bezeichnet. Wie sehen Sie dieses Themenfeld heute?

Andreas Dombret: Skaleneffekte können mit Hilfe der Digitalisierung viel besser gehoben werden. Das Kundenverhalten verändert sich in allen Wirtschaftsbereichen sehr dynamisch – und damit natürlich auch bei den Banken und Sparkassen. Ich kann Ihnen ehrlicherweise nicht genau vorhersagen, welche Bankprodukte im Jahr 2035 noch en vogue sind und wie sie von den Kunden nachgefragt werden. Nur eines steht fest: das Marktumfeld wird sich stark vom heutigen unterscheiden.

Für die Banken und Sparkassen spricht in diesem Wettbewerb viel – ganz vorneweg das Vertrauen, dass Ihnen die Kunden entgegen bringen. Sie wissen selber, dass sie sich an das veränderte Kundenverhalten anpassen müssen. Nur die Institute, denen dies gelingt, werden langfristig erfolgreich sein.

Digitalisierung eher Marathon als Sprint

Der Bank Blog: Sie kommen ja nach wie vor viel herum, wenn aktuell auch nur digital. Wo stehen die deutschen Institute bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich?

Andreas Dombret: Die deutschen Institute haben deutlich aufgeholt und ihre IT-Kenntnisse ausgebaut, müssen sich aber weiter kontinuierlich anstrengen, um am Ball zu bleiben. Digitalisierung ist kein Sprint, den man hinlegt und der einen dann schnell ins Ziel bringt. Digitalisierung ist eher mit einem Marathon vergleichbar, und der Weg ist häufig das Ziel. Das hauseigene Compliance-System sieht in einem digitalisierten Umfeld naturgemäß ganz anders aus. Ein offener Punkt, in dem das Ausland zum Teil die Nase vorn hat, ist z.B. die Anwendung in der Cloud. Und beim Thema Cybersecurity ist es nach meiner festen Überzeugung ratsam, eher über- als unterinvestiert zu sein.

IT- und Digitalisierungsthemen gehören in jeden Bank- und Sparkassenvorstand

Der Bank Blog: Wo sehen Sie noch weitere Defizite, die es zu beseitigen gilt?

Andreas Dombret: Das hängt stark vom Geschäftsmodell des jeweiligen Hauses ab und ist pauschal nur schwer zu beantworten. Wichtig erscheint mir nur, dass IT- und Digitalisierungsthemen in jeden Bank- und Sparkassenvorstand gehören und dort regelmäßig problematisiert und hinterfragt werden.

Der Bank Blog: FinTechs und BigTechs verändern die Finanzbranche und machen den etablierten Instituten Konkurrenz. Vor allem BigTechs wie die GAFAs werden als mächtige Wettbewerber empfunden. Bankvertreter beklagen, dass sie es regulatorisch leichter hätten, in ihre Sphären vorzudringen. Wie beurteilen Sie dies und die neuen Wettbewerber insgesamt?

Andreas Dombret: Ich kann die Bedenken der Finanzindustrie sehr gut verstehen. Die Regulierung muss hier aufpassen, mit gleichem Maß zu messen, sie muss ein wirksames “level playing field” herstellen. Bislang sind die GAFAs nur in ausgewählten Bereichen des Banking aktiv, aber das muss nicht heißen, dass dies immer so bleibt.

Allerdings sind die GAFAs nicht zuletzt deshalb so starke (potentielle) Wettbewerber, weil sie über sehr viele Kunden verfügen, die ihnen häufig ein hohes Maß an Vertrauen entgegen bringen. Man kann zwar einiges, aber nicht alles auf die fehlende Regulierung schieben und muss somit meines Erachtens den Kundenaspekt und die Kundenbindung der GAFAs mitberücksichtigen.

Überkapazitäten sollten konsequent abgebaut werden

Der Bank Blog: 2017 haben Sie in einer Rede gesagt „Banken und Sparkassen müssen sich ein Stück weit neu erfinden“. Ist dies gelungen?

Andreas Dombret: Nur eingeschränkt. In einer Pandemie kann man das aber auch nicht wirklich erwarten. Der Beharrungsgrad der tradierten Geschäftsmodelle erscheint mir aber alles in allem immer noch zu hoch. Trotz der Niedrigzinsen steigen z.B. die Provisionseinkünfte in vielen Fällen nur verhalten. Und wenn man sich anschaut, wie sehr die Auslandsbanken in Deutschland Fuß fassen, dann stützt dies leider ebenfalls meine zurückhaltende Einschätzung.

Der Bank Blog: Obwohl zurückhaltend formuliert, haben Sie auch immer wieder mal Strukturveränderungen im deutschen Bankwesen angemahnt. So richtig passiert ist in dieser Hinsicht eher wenig. Woran liegt dies?

Andreas Dombret: Dies liegt nach meiner Einschätzung nicht an der fehlenden Erkenntnis oder am fehlenden Willen der Beteiligten. Und es ist ja auch noch nicht aller Tage Abend. Ich für meinen Teil habe die Hoffnung auf Strukturveränderungen im deutschen Finanzwesen auf jeden Fall noch nicht aufgegeben und sehe auch keinen Grund dafür.

Der Bank Blog: Was sollte sich ändern?

Andreas Dombret: Das müssen die deutschen Institute selber entscheiden und umsetzen. Ein effizienter Bankensektor ist das Ziel aller.

Lassen Sie mich nur 3 Punkte ansprechen:

  1. Mit der Digitalisierung haben Sie bereits einen sehr wichtigen Punkt angesprochen, der auf dem Weg zur verbesserten Effizienz hilft und der von den Kunden eh aktiv nachgefragt wird. In vielen Fällen kann die Zusammenarbeit mit FinTechs wegweisend sein, die ja auch in Deutschland erfolgreich am Markt auftreten.
  2. Die Geschäftsmodelle sollten in vielen Fällen ausgewogener ausgestaltet und mehr zwischen Zins- und Provisionserlösen ausbalanciert werden, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.
  3. Und Überkapazitäten sollten konsequent abgebaut werden, wobei Fusionen und Übernahmen kein Tabu darstellen dürfen.

Klimawandel ist das größte Risiko unseres Planeten

Der Bank Blog: Mit welchem Zukunftsthema beschäftigen Sie sich zurzeit am meisten?

Andreas Dombret: Bitte lassen Sie mich gleich zwei Themen nennen, und zwar zwei ganz unterschiedliche:

Zum einen ist das Thema Nachhaltigkeit ein absolutes Megathema. Schließlich geht es mit dem Klimawandel um das größte Risiko unseres Planeten. Anleger interessieren sich sehr dafür, aber auch Investoren von Bank-Refinanzierungen und die breite Öffentlichkeit. Auf die Banken und Sparkassen kommt in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung zu, die aber auch viele signifikante Chancen bietet. Wenn erst einmal der Aufwand geschultert ist, überwiegen nach meiner Überzeugung die Chancen. Schließlich muss die Transformation hin zu Einhaltung des Klimazieles finanziert werden …

Zum anderen beschäftige ich mich viel mit Fragen zur Cloud. In der Cloud liegt zweifelsohne die Zukunft. Wir werden im Banking der Zukunft vor dem Hintergrund von künstlicher Intelligenz sehr viel mehr Rechenvorgänge sehen, die in der Cloud schneller und preiswerter abgewickelt werden können. Mit diesem Thema kann man sich gar nicht zu früh befassen.

Bafin sollte geringer vom Finanzministerium abhängig sein

Der Bank Blog: Und abschließend: Wie haben Sie in Ihrem “Unruhezustand” die Krise der BaFin verfolgt?

Andreas Dombret: Es ist kein Geheimnis, dass ich in meiner Amtszeit gerne und gut mit Felix Hufeld und den Kollegen von der BaFin zusammen gearbeitet habe. Ich bin mit Felix befreundet, und mich hat der Anlass seines Abgangs betroffen gemacht. Dem Finanzministerium ist mit Mark Branson in kurzer Zeit allerdings ein echter Coup gelungen, und ich freue mich auf Mark.

Wir müssen nun nach vorne schauen. Deutschland braucht eine starke, gut funktionierende BaFin – dies ist in unser aller Interesse. Eine geringere direkte Abhängigkeit der Bafin vom Finanzministerium bei mehr Berichtspflichten an den Bundestag, so wie es Prof. Krahnen gerade vorgeschlagen hat und wie es in anderen Ländern durchaus üblich ist, können meiner Meinung nach dabei helfen, die BaFin neu auszurichten.

Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.

Über den Autor

Dr. Hansjörg Leichsenring

Dr. Hansjörg Leichsenring ist Herausgeber des Bank Blogs und der Finanzbranche seit über 30 Jahren beruflich verbunden. Nach Banklehre und Studium arbeitete er in verschiedenen Positionen, u.a. als Direktor bei der Deutschen Bank, als Vorstand einer Sparkasse und als Geschäftsführer eines Online Brokers. Als Experte für Strategien in den Bereichen Digitalisierung, Innovation und Vertrieb ist er gefragter Referent und Moderator bei internen und externen Veranstaltungen im In- und Ausland.

Vielen Dank fürs Teilen und Weiterempfehlen


Mit dem kostenlosen Bank Blog Newsletter immer informiert bleiben:

Anzeige

Get Abstract: Zusammenfassungen interessanter Businessbücher

Kommentare sind geschlossen

Bank Blog Newsletter abonnieren

Bank Blog Newsletter abonnieren