In einem exklusiven Interview mit dem Bank Blog nimmt Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, umfassend Stellung zu aktuellen Themen und Herausforderungen für Banken und Sparkassen.
Dr. Andreas Dombret hat das Bankgeschäft – wie man so schön sagt – von der Pike auf gelernt: Nach Banklehre und Studium folgten Stationen bei der Deutschen Bank, Rothschild und Bank of America bevor er im Mai 2010 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank wurde. Dort ist er aktuell zuständig für die Bereiche Banken und Finanzaufsicht, Märkte sowie die Auslandsvertreter. Darüber hinaus ist er in einer Vielzahl von Ausschüssen sowie in verschiedenen ehrenamtlichen Funktionen tätig. Er ist damit ganz sicher einer der profiliertesten Vertreter des Bereichs Bankwirtschaft in Deutschland.
Umso mehr hat es mich gefreut, dass er sich als Gesprächspartner für ein exklusives Interview mit dem Bank Blog bereit erklärt hat. Herausgekommen ist ein umfassender Austausch über die aktuellen Herausforderungen der Banken und Sparkassen.
Der heutige erste Teil beginnt mit einem Blick auf die Vertrauenskrise und führt über die Belastungen durch Niedrigzinsphase und Regulierung zur Frage nach der Tragfähigkeit der aktuellen Geschäftsmodelle sowie der Zukunft der Bankfiliale.
Vertrauenskrise trifft vor allem die Verursacher
Der Bank Blog: Mit der Finanzkrise ist das Vertrauen der Menschen in Banken stark gesunken. Während es in anderen Ländern der Branche scheinbar gelungen ist, dieses zumindest teilweise zurückzugewinnen, hat man hierzulande den Eindruck, einer Mehrheit der Banken und Sparkassen sei ihr Ruf egal bzw. immer der jeweils andere für das Problem verantwortlich. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Andreas Dombret: Dieser Eindruck ist in meinen Augen zu einseitig. Auch in der Finanzkrise hat sich das Vertrauen insbesondere in regionale Institute als stabiler Anker erwiesen. Richtig ist: Die Banken und Sparkassen leben hierzulande wie überall von ihrem Ruf und von dem Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird. Vertrauen berührt nahezu jeden Bereich des Bankgeschäfts – denken Sie beispielsweise an so unterschiedliche Gebiete wie die Zahlungssysteme, die Anlageberatung oder das Firmenkundengeschäft. Jedes einzelne Institut muss sich tagtäglich diesem Thema stellen. Das gelingt vielen Instituten meiner Meinung nach sehr gut. Aber klar ist auch: Von einigen besonders schwerwiegenden Fällen wurde das gesellschaftliche Bild der Branche stark getroffen. Erfreulicherweise trifft der Schaden die Verursacher letztlich meist am härtesten. Untätigkeit können sie sich also ganz sicher nicht leisten.
Der Bank Blog: Welche Empfehlungen würden Sie der Finanzbranche geben, um Vertrauen zurückzugewinnen?
Andreas Dombret: Ich sehe einige Handlungsfelder in den Banken. Stichworte sind hier u. a. die Vergütungsregelungen, Corporate Governance und die Richtlinien für die Anlageberatung. Darüber hinaus muss die Führung der Bank unternehmensweit Kontrollinstanzen mit angemessenem Einfluss und den entsprechenden Anreizen etablieren. In jedem Fall ist es wichtig, dass die Unternehmensführung die vertrauenswürdige Unternehmenskultur vorlebt und es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt.
Banken und Sparkassen müssen sich mit ändernden Bedingungen abfinden
Der Bank Blog: Der Vorstand einer Genossenschaftsbank hat vor kurzem zu einem Streiktag ausgerufen. Seiner Meinung nach drängen wachsende Regulierung und niedrige Zinsen mittelständische Banken an den Rand der Belastungsgrenze. Können Sie das nachvollziehen und was würden Sie diesen Banken raten?
Andreas Dombret: Die Belastung kann ich gut nachvollziehen. Allerdings leben wir in einer Marktwirtschaft, die in allen Sektoren den Unternehmen abverlangt, sich mit ändernden Bedingungen abzufinden. Banken und Sparkassen bilden hier keine Ausnahme. Als Aufsicht geben wir den einzelnen Instituten keine strategischen Empfehlungen und auch keinen konkreten Rat. Wir prüfen zwar Geschäftsmodelle, allerdings nicht mit der Maßgabe, ihre konkreten Erfolgsaussichten zu beurteilen, sondern schauen vielmehr auf die Ertrags- und Risikoquellen, die letztlich die Solvenz des Instituts beeinflussen. Die Folgen der anhaltend niedrigen Zinsen für Institute behalten wir natürlich sehr sorgfältig im Blick und werden im kommenden Jahr erneut eine Umfrage zu den Auswirkungen der niedrigen Zinsen auf die Ertragslage deutscher Banken und Sparkassen durchführen. Institute mit stark eingetrübten Ertragsaussichten sind gewiss gezwungen, strategische Alternativen zu prüfen.
Was die Belastungen durch die Regulatorik angeht, muss man meines Erachtens sehr genau differenzieren. Eine Generalkritik, wie sie leider häufig mitschwingt, ist meines Erachtens überzogen. Sie verkennt, dass Finanzmärkte ohne robuste Regeln und ohne deren Überprüfung nicht funktionieren – den Kritikern rate ich, ihre Erinnerung an die Finanzkrise und deren Entstehung aufzufrischen. Etwas anders gelagert ist die Sache aus meiner Sicht bei den kleineren Instituten, welche teilweise von der mittlerweile sehr komplexen Regulierung tendenziell überfordert sind. Daher sollten wir im Rahmen der Überprüfung der Reformen seit der Finanzkrise – dies steht in der EU bald an bzw. findet teilweise schon statt – besonderes Augenmerk darauf legen, dass Regulierung für kleinere Institute verhältnismäßig abgestuft wird. Ich halte das für einen vielversprechenden Ansatz und setzte mich hierfür mit Nachdruck ein.
Geschäftsmodelle deutscher Banken sind stark zinsabhängig
Der Bank Blog: Was stimmt nicht (mehr) am Geschäftsmodell deutscher Banken, dass ihnen die Niedrigzinsphase offensichtlich so viel zu schaffen macht?
Andreas Dombret: Das Geschäftsmodell kleiner und mittelgroßer Banken in Deutschland hängt zumeist stark vom Zinsergebnis ab. Das Niedrigzinsumfeld lässt vor allem die Margen aus dem Einlagengeschäft wegbrechen. Dieser Rückgang kann oft nur – wenn überhaupt – durch eine Ausweitung der Fristentransformation kompensiert werden, also mit einer höheren Risikonahme. Ertragsseitig bietet insbesondere das nichtzinsabhängige Geschäft weiteres Potenzial zur Ertragsstabilisierung. Auch die Themen Digitalisierung und Kooperationen mit FinTechs können neue Ertragsquellen eröffnen. Auf der Kostenseite darf die Filialstruktur kein Tabuthema sein – und ist es übrigens auch nicht.
Der Bank Blog: Müsste die Aufsicht im Rahmen Ihrer Prüfungen nicht viel mehr Druck zur Anpassung der Geschäftsmodelle ausüben?
Andreas Dombret: Wie bereits erwähnt, ist die Anpassung der Geschäftsmodelle an sich verändernde Rahmenbedingungen ureigenste Aufgabe der Geschäftsleitung einer Bank. Eine zentrale Aufgabe der Aufsicht ist es, sich diese Geschäftsmodelle genau anzuschauen und zu analysieren, ob und wie trag- und zukunftsfähig diese sind. Denn in der zentralen bankaufsichtsrechtlichen Kenngröße, der Eigenkapitalquote, spiegeln sich Risiko und Profitabilität des Geschäftsmodells einer Bank wider. Vor diesem Hintergrund ist es eine wesentliche Aufgabe der Aufsicht, diese Risiken zu identifizieren, zu benennen und auf ihr wirksames Management hinzuwirken. Ein bestimmtes Geschäftsmodell durchzusetzen, das ist nicht Aufgabe der Aufsicht.
Die Niedrigzinsphase wird zu neuen Preismodellen führen
Der Bank Blog: Das Thema Negativzinsen wird ja auch für Privatkunden immer wieder diskutiert. Was erwarten Sie in diesem Bereich?
Andreas Dombret: Es ist zwar denkbar, dass Privatkunden von Negativzinsen künftig vermehrt getroffen werden. Bisher wurde dies in Deutschland allerdings nur in sehr wenigen Häusern eingeführt. Ich gehe davon aus, dass Banken und Sparkassen weiterhin vermeiden wollen, insbesondere auf die Konten ihrer Privatkunden Negativzinsen einzuführen. Stattdessen erwarte ich, dass Banken und Sparkassen vermehrt über veränderte Preismodelle nachdenken.
Der Bank Blog: Wie lange wird die Phase der niedrigen Zinsen noch anhalten?
Andreas Dombret: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Banken sollten sich jedoch mit dem Szenario auseinandersetzen, dass die Phase niedriger Zinsen noch länger anhält. Hier verweise ich auf die Forward Guidance der EZB.
Alle Kreditinstitute müssen über Optimierungen nachdenken
Der Bank Blog: Welches sind die größten Veränderungen, die Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf das deutsche Retail Banking zukommen sehen?
Andreas Dombret: Wenn ich eine Glaskugel hätte, würde ich sie wahrscheinlich schon bei sehr viel einfacheren Fragen einsetzen… Aber Spaß beiseite: Da Banken und Sparkassen derzeit gleich von mehreren Herausforderungen betroffen sind – ich meine damit insbesondere die Sicherung der Ertragslage und den Umgang mit dem Trend der Digitalisierung –, treffen sehr unterschiedliche Dynamiken aufeinander, die eine Prognose äußerst schwierig machen.
Der Bank Blog: Auf dem diesjährigen Sparkassentag haben Sie gesagt, dass nicht alle Geldinstitute überleben werden. Worauf genau müssen wir uns einstellen?
Andreas Dombret: Um ihre Widerstandsfähigkeit und damit auch ihr Fortbestehen zu sichern, müssen Banken nachhaltig profitabel sein. Hier stellt insbesondere das bereits angesprochene Niedrigzinsumfeld eine große Herausforderung dar, mit der die Institute umgehen müssen. In welchem Maße es zu einer weiteren Konsolidierung im deutschen Bankensektor kommen wird, lässt sich nicht seriös voraussagen – ich sehe mich zumindest nicht dazu in der Lage. Mögliche Marktaustritte oder Fusionen dürfen jedoch keine Tabuthemen sein.
Der Bank Blog: An anderer Stelle haben Sie vor kurzem den Banken und Sparkassen geraten, das Filialnetz zu straffen, ganze Geschäftsbereiche abzuspalten und Fusionen zu ermöglichen. Das konnte vor allem als Weckruf für die zahlreichen Regionalinstitute interpretiert werden. Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für Genossenschaftsbanken und Sparkassen?
Andreas Dombret: Ich gebe keine Ratschläge, sondern zeige nur Optionen auf. In Deutschland machen Sparkassen und Genossenschaftsbanken traditionell einen wichtigen Anteil der heimischen Kreditvergabe aus. Die Bedeutung der Zinserträge für den finanziellen Erfolg dieser Institute ist dementsprechend hoch. Gleichzeitig nehmen sie auch erhebliche Kundeneinlagen entgegen. Angesichts des intensiven Wettbewerbs schrecken nicht nur viele Sparkassen und Genossenschaftsbanken im aktuellen Umfeld davor zurück, insbesondere ihren Retail-Kunden negative Einlagenzinsen zu berechnen. Wenn die Zinserträge zurückgehen, müssen diese Banken entweder andere Erträge generieren oder Kosten reduzieren, um profitabel zu bleiben.
Ich stehe weiteren Fusionen zwischen wirtschaftlich gesunden Instituten innerhalb dieser beiden Säulen des deutschen Bankensektors grundsätzlich offen gegenüber, weil die dort vorherrschende relativ kleinteilige Struktur hohe operative Kosten mit sich bringt. Zweifellos haben Sparkassen und Genossenschaftsbanken schon viele Anstrengungen im Kostenbereich unternommen, gleichwohl sehe ich hier aber noch weiteren Anpassungsbedarf. Positiv zu vermerken ist in diesem Zusammenhang, dass sich gerade Sparkassen und Genossenschaftsbanken durch insgesamt hohe Eigenkapitalquoten auszeichnen.
Ich warne allerdings davor, entsprechenden Handlungsbedarf nur bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu sehen. Alle Kreditinstitute sind ausnahmslos aufgefordert, über Optimierungen nachzudenken. Und es gibt ja schließlich auch noch weitere Risiken neben dem Niedrigzinsumfeld, denen sich die deutschen Geldhäuser gegenüber sehen, z. B. aufgrund eingetrübter Wachstumsaussichten in den Schwellenländern.
Bankfilialen bleiben ein wichtiger Faktor
Der Bank Blog: Derzeit gibt es noch rund 33.000 Bankfilialen in Deutschland. Wo liegt Ihre Prognose für das Jahr 2035?
Andreas Dombret: In der Tat ist seit Jahren ein permanenter Rückgang der Anzahl der Bankfilialen in Deutschland zu beobachten. Ich erwarte, dass sich dieser Trend festsetzen und beschleunigen wird. Neben dem zahlenmäßigen Rückgang gibt es aber auch eine qualitative Komponente. Die verbleibenden Filialen werden sich deutlich von den heutigen unterscheiden. Treiber dieser Entwicklung sind insbesondere die Digitalisierung im Bereich der Finanzdienstleistungen und der damit verbundene Wettbewerbs- und Kostendruck sowie das geänderte, zunehmend online-basierte Kundenverhalten.
Der Bank Blog: Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie überhaupt noch für Filialbanken?
Andreas Dombret: Der Trend zur Schließung von Filialen wird dadurch begrenzt, dass die physische Präsenz für bestimmte Dienstleistungen und für die Wahrnehmung beim Kunden ein wichtiger Faktor bleibt.
Der zweite Teil des ausführlichen Interviews erscheint kommende Woche. Darin wird Dr. Andreas Dombret Fragen zur Digitalisierung, zum Wettbewerb durch FinTechs und zu den Herausforderungen neuer Technologien beantworten.