Das Wertpapiergeschäft mit Privatkunden stellt für viele Banken eine attraktive Einnahmequelle dar, befindet sich aber im Umbruch. Über die Herausforderungen habe ich mich mit Prof. Dr. Peter Scholz, HSBA und Yvonne Quint, BearingPoint unterhalten.
Das Wertpapiergeschäft mit Privatkunden ist für viele Banken ein wichtiger Bestandteil der operativen Gesamterträge, nach den stetig abnehmenden Zinserträgen. Der Markt befindet sich allerdings seit einiger Zeit im Umbruch: Digitale Wettbewerber erweitern kontinuierlich ihren Marktanteil und drücken die Preise für ehemals margenstarke Produkte. Die heutige Kundengeneration erwartet moderne Anlageprodukte mit smarten Services, die einfach zu verstehen sind und vom Sofa aus abgeschlossen werden können. Zudem spielt das Thema Nachhaltigkeit in der Kaufentscheidung auch im Wertpapiergeschäft eine immer stärkere Rolle.
Vor diesem Hintergrund hat die Management- und Technologieberatung BearingPoint gemeinsam mit der Hamburg School of Business Administration (HSBA) eine Studie zum Thema Wertpapiergeschäft als digitales Kundenerlebnis veröffentlicht. Über die Ergebnisse sowie die Herausforderungen im Wertpapiergeschäft für Banken habe ich mich mit den Studienautoren Yvonne Quint und Prof. Dr. Peter Scholz unterhalten.
Interview mit Yvonne Quint und Prof. Dr. Peter Scholz
Yvonne Quint ist Partnerin im Bereich Banking & Capital Markets bei der Unternehmensberatung BearingPoint. Sie unterstützt Kunden in den Bereichen Kapitalmarkt-Regulatorik/-Compliance sowie bei der Optimierung/Digitalisierung von Front-to-Back-office-Prozessen für Kapitalmarktprodukte. Davor war sie u.a. im Bereich Equities beim Bankhaus Metzler tätig.
Prof. Dr. Peter Scholz ist an der HSBA Hamburg School of Business Administration Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Banken und Finanzmärkte. Zuvor war er über zehn Jahre im Investmentbanking und im Privatkundengeschäft tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Themenfeldern Digitalisierung des Finanzsektors, Anlagestrategien, Investmentprodukte sowie Finanzkrisen und Behavioral Finance.
Neobroker fördern das Wertpapiergeschäft
Der Bank Blog: Warum ist das Thema „Wertpapiergeschäft für Privatkunden“ für Banken und andere Finanzdienstleister gerade heutzutage so interessant?
Prof. Peter Scholz: Das ist einerseits auf den Niedrig- bzw. Negativzins zurückzuführen, worunter sowohl Kunden als auch Banken leiden. Da in heimischen Depots Wertpapiere häufig eher unterrepräsentiert sind, ist es aktuell schwer auskömmliche Renditen zu erwirtschaften. Im Vergleich zu den Depots von Kunden in anderen Ländern besteht daher noch etwas Luft: Moderate Risiken bringen langfristig höhere Renditen als die sogenannten risikofreien Anlagen. Und auch für die Banken bedeuten die winzigen Margen niedrige Ertragschancen oder sogar Verluste.
Provisionserlöse bieten die Chance, dies (teilweise) aufzufangen. So stieg der Anteil der Provisionserträge am operativen Ergebnis vieler Banken in den letzten Jahren kontinuierlich an und die Tendenz ist weiter steigend.
Yvonne Quint. Die Deutschen gelten ohnehin als „Volk der Sparer“ mit riesigen Liquiditätsreserven. Rund 6,3 Billionen Euro Geldvermögen halten die privaten Haushalte, wobei der größte Anteil auf Sparbüchern und Tagesgeldkonten liegt. Allein die kurzfristigen Bankeinlagen der privaten Haushalte sind von Januar 2020 bis Januar 2021 um 182 Milliarden auf 1,73 Billionen Euro gestiegen.
Die vorhandene Liquidität sollte aus Sicht der Banken in ertragreichere Anlagen umgeleitet werden. Die positive Wahrnehmung von Wertpapieranlagen wird zudem durch Neobroker wie Trade Republic oder Robinhood bzw. Robo-Advisor wie Scalable als auch durch Trendthemen wie Sustainable Finance getrieben.
Neue digitale Wettbewerber machen es besser
Der Bank Blog: Wenn die Erträge steigen, dann scheint es doch gut zu laufen… Außerdem gehört das Wertpapiergeschäft bei vielen Banken doch zu den Standard-Dienstleistungen. Oder wo sehen Sie die Notwendigkeit für Veränderungen?
Yvonne Quint: Robo-Advisor und Discountbroker werben den etablierten Banken viele digital-affine Kunden ab. Dies fällt in den Bilanzen der Banken noch nicht stark auf, da die Erträge aktuell aufgrund der positiven Börsenentwicklung auch ohne diese Kundengruppe wachsen. Perspektivisch müssen die etablierten Banken diese digital-affine Kundengruppe jedoch zurückgewinnen, um keinen Ertragsschwund zu riskieren.
Prof. Peter Scholz: Wir sehen folgende wesentliche Herausforderungen bei den klassischen Banken: neue Kundenbedürfnisse, mangelnde Digitalisierung, neue (digitale) Wettbewerber sowie komplexe Produktangebote. Klassische Banken erfüllen häufig noch nicht die Bedürfnisse der digital-affinen Kunden. Stattdessen ist deren Customer Journey größtenteils noch analog und an vielen Stellen kompliziert.
Neue digitale Wettbewerber wie Robo-Advisor und Discountbroker machen es häufig besser und setzten voll auf eine digitale Customer Experience. In der Konsequenz wandern viele digital-affine Kunden zu den FinTechs ab und investieren dort ihr Geld.
Das Wertpapiergeschäft hängt bei der Digitalisierung teilweise weit zurück
Der Bank Blog: Wo liegen die größten Probleme der klassischen Banken?
Prof. Peter Scholz: Das Problem der klassischen Banken ist, dass diese mit ihrem Leistungsangebot nicht mehr die Bedürfnisse der digital-affinen Kunden erfüllen. Diese erwarten, dass alles jederzeit digital erledigt oder beantwortet werden kann. Es geht also um kundenzentrierte und auch immer mehr um nachhaltige Produktangebote.
Yvonne Quint: Besonders im Hinblick auf Digitalisierung sind die Ansprüche der Kunden gestiegen. Diverse externe Studien, aber auch unsere BearingPoint-Studien verdeutlichen diese Trends. Während Onlinebanking bereits zum Standard gehört, und im Zahlungsverkehr vieles digitalisiert wurde, hängt das Wertpapiergeschäft noch teilweise weit zurück. Insbesondere klassische Banken weisen einen geringeren Digitalisierungsgrad im Retail-Wertpapiergeschäft auf, wie unsere Analyse von insgesamt 40 Marktteilnehmern zeigt.
Insgesamt wurde ein sehr heterogenes Bild zwischen den einzelnen Banken sichtbar. Es wurde deutlich, dass Produktabschlüsse bei vielen Banken kaum digital möglich sind. Wertpapierdepots und Vermögensverwaltungen können zwar häufiger digital eröffnet werden, aber ein elementarer Bestandteil wie der Depotwechsel ist bisher ebenfalls nur selten voll digital umsetzbar.
Außerdem ist das Thema „Community“, welches Blogs, Social Trading und Webinare umfasst, bisher kaum ein Thema bei den klassischen Banken. Dies ist aber durchaus für Kunden interessant und ein wichtiger Teil einer gelungenen digitalen Customer Journey.
Der Bank Blog: Gibt es noch weitere Schwachstellen bei den etablierten Banken?
Prof. Peter Scholz: Zu viele Banken setzen zudem noch immer auf die klassische Anlageberatung. Das beinhaltet zwei Probleme: es ist sehr zeitintensiv und schlecht digitalisierbar – und damit auch schlecht skalierbar. Compliance mit der Regulatorik (MiFID II) ist besonders für die Anlageberatung sehr aufwändig. Die Digitalisierung ist mit der Finanzportfolioverwaltung einfacher und effizienter umsatzbar.
Darüber hinaus zeigt ein Blick in die Preis- und Leistungsverzeichnisse der Banken die Komplexität der angebotenen Produkte und Services. Oft sind die Gebühren für den Kunden intransparent – im Gegensatz zu neuen Marktteilnehmern wie Discountbroker und Robo-Advisor. Diese setzen auf ein transparentes Pricing als USP.
Yvonne Quint: Eine regelmäßig von BearingPoint gemeinsam mit YouGov durchgeführte Kundenumfrage zeigt zudem, dass Nachhaltigkeit immer wichtiger wird. Aufgrund des „Greenwashings“ im Markt nimmt die Bedeutung von Authentizität bei Produkten und Services, aber auch bei der Governance zu.
Neue Wettbewerber sind fokussiert und günstiger
Der Bank Blog: Wie genau hat sich denn der Markt im Hinblick auf die erwähnten, neuen Wettbewerber für die „klassischen“ Banken verändert?
Yvonne Quint: Mit Robo-Advisor und Discountbrokern stehen den etablierten Banken ausschließlich digitale und vor allem preisaggressive Wettbewerber gegenüber. Durch die klare Fokussierung auf Transaktionen bei Discountbroker bzw. digitale Vermögensverwaltungen bei Robo-Advisor sind diese deutlich günstiger.
Prof. Peter Scholz: Discountbroker bieten Aktientransaktionen im Durchschnitt 90 Prozent günstiger im Vergleich zu einer Sparkasse, Genossenschaftsbank oder Privatbank an. Verglichen mit den digitalen Vermögensverwaltungen der klassischen Banken sind die Gebühren der Robo-Advisor im Durchschnitt 37 Prozent günstiger.
Banken müssen das digitale Kundenerlebnis verbessern
Der Bank Blog: Und wie sieht nun die Lösung für die Bankenwelt aus?
Prof. Peter Scholz: Es gibt natürlich keine Patentlösung, aber wir sehen die größte Chance für Marktteilnehmer, die mutig sind und sich immer wieder selbst neu erfinden. Der Schlüssel liegt sicherlich in der Transformation der Customer Journey hin zu einem konsequent durchdachten digitalen Kundenerlebnis.
Yvonne Quint: Wir haben dazu zehn Erfolgsfaktoren identifiziert, die die Customer Experience durch eine digitale Customer Journey im Wertpapiergeschäft steigern. Unsere identifizierten Erfolgsfaktoren umfassen sowohl technische Faktoren wie die Nutzung einer geeigneten Plattform für alle Vertriebskanäle, vollständig digitale Produktabschlüsse und ergänzende digitale Services. Anderseits aber auch Aspekte, wie ein einfaches, transparentes und nachhaltiges Leistungsportfolio.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.
Die vollständige Studie „Wertpapiergeschäft als digitales Kundenerlebnis“ zur Bedeutung der Customer Experience für begeisterte Kunden können Sie hier direkt herunterladen.