Immer mehr Kreditinstitute erheben Strafzinsen auf Einlagen, auch von Privatkunden. Über Verwahrentgelte für Sparer und Herausforderungen für Regionalbanken sprach ich mit Walter Strohmaier, Bundesobmann der Sparkassen, in einem exklusiven Interview.
Angesichts der vermutlich noch auf Jahre andauernden Niedrigzinsphase und der jüngst nochmals erhöhten Strafzinsen, die Kreditinstitute auf Einlagen bei der EZB zahlen müssen, reißen die Diskussionen um negative Zinsen auf Einlagen von Privatkunden nicht ab.
Noch betreffen diese „Verwahrentgelte“ vor allem größere Einlagensummen, doch könnte sich dies bald ändern. Stimmen, die fordern, Strafzinsen zu generalisieren, werden lauter. Der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken hat sich bereits veranlasst gesehen, ein Rundschreiben zum Vorgehen bei der Einführung von Negativzinsen an die Mitgliedsinstitute zu versenden. Und auch im Sparkassenbereich gibt es immer mehr Institute, die Strafzinsen verlangen, obwohl DSGV-Präsident Schleweis diese vehement ablehnt.
Interview mit Walter Strohmaier
Über die aktuelle Situation habe ich mich Walter Strohmaier unterhalten. Er war einer der jüngsten Sparkassenchefs in Deutschland und ist im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Niederbayern-Mitte mit Sitz in Straubing, einem Institut mit einer Bilanzsumme von etwas mehr als 4 Mrd. Euro, über 700 Mitarbeitern und der bemerkenswerten Zahl von 46 Filialen. Nach Größe hat es im bundesweiten Ranking Platz 83 inne.
Im „Nebenberuf“ ist er Bundesobmann der Sparkassen. Für diejenigen, die den Begriff nicht kennen: Hinter dem harmlos erscheinenden Begriff verbirgt sich ein Amt mit vielfältigen Aufgaben und enormen Einflussmöglichkeiten. Der Bundesobmann ist gleichzeitig Vizepräsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) und in allen wichtigen Gremien der Sparkassen Finanzgruppe vertreten.
Obmänner werden auf Landesebene von den Vorständen der Sparkassen als ihr Vertreter beim jeweiligen Verband gewählt. Der Bundesobmann wird von allen Landesobmännern gewählt, ist also quasi der „Bundessprecher“ der Sparkassenvorstände.
Die Niedrigzinspolitik der EZB schadet Sparern und der Finanzbranche
Der Bank Blog: Wenn man die jährlichen Meldungen zu den Bilanzpressekonferenzen der Sparkassen verfolgt, fällt auf, dass von vielen Häusern auf der einen Seite neue Rekorde und auf der anderen Seite deutliche Einsparungen, vor allem bei den Filialen verkündet werden. Gleichzeitig wird auf die Belastungen durch Regulierung, Digitalisierung und die Zinslage hingewiesen. Wie gut oder wie schlecht geht es den Sparkassen in Deutschland wirklich?
Walter Strohmaier: Aktuell geht es den Sparkassen betriebswirtschaftlich im Durchschnitt noch gut, wobei mir vor allem der Hinweis auf Durchschnitt und die Betonung auf „noch gut“ wichtig ist!!
Die Belastungen aus der Regulierung und die Veränderungen aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung werden unsere Ergebnisse künftig noch stärker belasten als bereits bisher, die faktische Abschaffung des Preises für die Ware Geld stellt uns vor ganz neuen und bisher in dem Ausmaß noch nie dagewesenen Herausforderungen auf der Zinsseite im Aktiv- und v.a. Passivgeschäft.
Die aktuelle Niedrigzinspolitik der EZB schadet den deutschen Sparern und der Finanzbranche gleichermaßen. Die Belastungen haben sich bereits und werden sich vor allem in den nächsten Jahren tief in die Erfolgs- und Vermögensrechnungen eingraben. Die extreme Situation fordert den gesamten deutschen Finanzsektor in einer noch nie da gewesenen Notwendigkeit, mit der Folge, dass sich die gewachsene und bewährte Wirtschafts- und Bankenstruktur in Deutschland verändern wird.
Die Sparkassenorganisation leistet sich zu viel Doppel- und Mehrfacharbeit
Der Bank Blog: Welches sind aus Ihrer Sicht derzeit die wichtigsten strategischen Herausforderungen für eine Sparkasse?
Walter Strohmaier: Wir müssen darauf aufpassen, dass wir unsere starke Marktposition erhalten, denn unsere Kunden sind die Basis unseres Geschäftsmodells. Dieser Erhalt bzw. Verteidigung der Marktführerschaft wird von Tag zu Tag schwieriger, denn neben den bereits seit Jahrzehnten bekannten Wettbewerbern kommen täglich neue Anbieter im weltweiten Netz sowie verstärkt auch Auslandsbanken und BigTechs, die uns alle was wegnehmen wollen. Darin sehe ich eine große Herausforderung für die Sparkasse im Wettbewerb vor Ort.
Innerhalb unserer gesamten Sparkassenorganisation sehe ich einen deutlichen Konsolidierungsbedarf. Wir leisten uns noch immer zu viel Doppel- und Mehrfacharbeit, in einigen Bereichen sogar Familieninternen Wettbewerb. Hier sehe ich Optimierungspotential.
Außerdem sollten wir eigeninitiativ versuchen, einen wertschonenden Risikoabbau innerhalb unserer Gruppe möglichst schnell zu starten. Denn wenn die Erträge zurückgehen, ist es umso wichtiger, dass „einen die Risiken nicht überfordern“.
Sparkassen müssen spürbaren Mehrwert für die Kunden bringen
Der Bank Blog: Und welches sind die wichtigsten operativen Herausforderungen?
Walter Strohmaier: Eine wichtige Säule und Stärke der Sparkassen ist die enge Verbundenheit zu den Menschen und Kunden vor Ort in allen Regionen. Dafür stehen die Sparkassen nach dem Motto „Banking ist people”. Darüber hinaus bieten wir hervorragende digitale Leistungen. Eine wichtige Herausforderung in den Sparkassen wird es deshalb sein, diese Verbindung aus kompetenter persönlicher Beratung vor Ort und den zeitgemäßen digitalen Lösungen erlebbar zu machen.
Die operative Herausforderung ist es, dass die Sparkassen in der Region bleiben und einen spürbaren Mehrwert für die Kunden bringen.
Der Zinsüberschuss wird sich halbieren!
Der Bank Blog: Werfen wir den Blick auf die anhaltend niedrigen Zinsen. Konkret gefragt: Wieviel Erträge entgehen Ihrem Haus pro Jahr durch die Niedrigzinsphase und was kosten Sie die Strafzinsen auf Ihre Einlagen bei der EZB jeden Monat?
Walter Strohmaier: Das letzte Jahrzehnt ist geprägt von einem noch nie dagewesenen Ertragsrückgang. Um dies zu verdeutlichen: Allein innerhalb weniger Jahre hat bzw. wird sich der Zinsüberschuss halbieren!!!
Negativzinsen bestrafen die Vorsorgebemühungen der Sparer
Der Bank Blog: Immer mehr Institute, darunter auch Sparkassen, führen Negativzinsen nicht nur für Unternehmen sondern auch für private Kunden ein. Einige Sparkassen kündigen zudem langfristige Sparverträge mit ihren Kunden, weil sich diese im Laufe der Jahre zu einem Minusgeschäft entwickelt haben. Sie lehnen beides ab. Warum?
Walter Strohmaier: Ich lehne beides nicht grundsätzlich ab, wir gehen mit beiden Themen nur sehr sensibel um, weil damit die ureigenste Absicht des Sparens, nämlich die Vorsorge, abgestraft und nicht wie ursprünglich beabsichtigt – und über Jahrzehnte hervorragend bewährt – belohnt wird.
Dennoch erfordert die extreme Situation, dass wir alle möglichen und rechtlich zulässigen Konstellationen ausloten, um weitreichende Folgen abzumildern. Deshalb werden aktuell in unserer Sparkasse alle Prämiensparverträge überprüft.
Beim Thema Verwahrentgelt müssen wir als Marktführer schon allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen darauf aufpassen, mit Einlagen nicht überschüttet zu werden, die wir dann u.U. von den Wettbewerbern erhalten, wenn diese sehr restriktiv mit Negativzinsen hantieren.
Der Bank Blog: Es gibt Stimmen, auch von Sparkassenvorständen, die verweisen darauf, dass Minuszinsen nicht nur betriebswirtschaftlich geboten seien, sondern auch als Erziehungsmaßnahme dienen sollten, den Kunden klar zu machen, dass sie sich in Sachen Geldanlage und Altersvorsorge breiter aufstellen müssten. Wie sehen Sie das?
Walter Strohmaier: Das Anlageverhalten in Deutschland ist stark vom Sicherheitsbedürfnis geprägt, deshalb fällt es den deutschen Anlegern manchmal schwerer, z.B. Wertpapierrisiken einzugehen. Wir bleiben der Strategie der ganzheitlichen Beratung und der unbedingten Orientierung an den Kundenwünschen treu und ich würde mir nicht anmaßen, Kunden „erziehen“ zu wollen. Es kommt darauf an, welche Anlage zur individuellen Situation des Anlegers passt. An einer ausführlichen qualifizierten Beratung führt m.E. kein Weg vorbei, deshalb setzen wir voller Überzeugung auf unser S-Finanzkonzept.
Verwahrentgelte für alle lehne ich grundsätzlich ab
Der Bank Blog: Welche Alternative zu Strafzinsen empfehlen Sie Ihren Kollegen, um die entgangenen Erträge im Zinsbereich auszugleichen?
Walter Strohmaier: Diese noch nie dagewesene Zinssituation ist eine extreme Herausforderung, insbesondere für die Regionalbanken. Vor diesem Hintergrund sind alle Bereiche (sowohl was Ertragsmöglichkeiten betrifft, als auch die Kostenseite) zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen. Eine vollständige Kompensation werden wir aber trotzdem leider nicht erreichen können.
Die Menschen in Deutschland wollen und brauchen die Sparkassen, davon bin ich überzeugt. Keine Internetplattform wird das persönliche Gespräch mit einem kompetenten Berater ersetzen können. Deshalb ist die ganzheitliche und kundenorientierte Beratung die Zukunft der Sparkassen. Die erfolgreiche Zukunft einer Sparkasse liegt m.E. in einer möglichst hohen Kunden- und Vertriebsaffinität vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Azubi und darüber hinaus in einem guten Risikomanagement.
Der Bank Blog: Wie sieht Ihre Prognose – sagen wir mal für das nächste halbe Jahr – aus: Werden sich die Kunden in der Breite an Verwahrentgelte gewöhnen müssen?
Walter Strohmaier: Ich sehe keine Anzeichen für eine Zinswende und stelle mich auf einen langen Zeitraum mit einem negativen Einlagensatz der EZB ein. Verwahrentgelte lehne ich eigentlich grundsätzlich ab, denn, wie bereits erwähnt, sie widersprechen allem, was Sparern jahrzehntelang vermittelt wurde. Die deutsche Kreditwirtschaft wird sich aber trotzdem vorbereiten müssen und möglicherweise werden auch Privatanleger mit solchen Entgelten konfrontiert. Ich gehe aber tendenziell eher davon aus, dass es hier Freibeträge für die weite Mehrheit der Privatkunden geben wird.
Insgesamt stelle ich durchaus fest, dass die Menschen beginnen, sich an den Niedrigzins zu gewöhnen und auch andere Anlageformen für sich entdecken.
Ich kämpfe für die Weiterentwicklung der Sparkassen-Idee.
Der Bank Blog: Wenn Sie für das Jahr 2020 je einen Wunsch für ihre Sparkasse und einen für die Sparkassenorganisation frei hätten, welche wären dies?
Walter Strohmaier: Die Vorteile unserer S-Finanzgruppe zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger haben sich über viele Generationen und auch Krisen erfolgreich bewährt. Deshalb kämpfe ich für den Erhalt und für die Weiterentwicklung unserer Sparkassen-Idee. Ich bin überzeugt, dass uns dies auch gelingen wird.
Der Bank Blog: Herzlichen Dank für das Gespräch.