Das Internet der Dinge spielt in den Zukunftsüberlegungen der meisten Finanzdienstleister heute noch keine besondere Rolle. Dabei bietet es interessante Möglichkeiten, nicht nur für Optimierungen, sondern für neue Finanzprodukte und Differenzierung.
Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) bezeichnet die nahtlose Kommunikation zwischen Personen, Prozessen und Dingen in Netzwerken, die physische und digitale Welt kooperativ verbinden. Dabei werden riesige Datenmengen mit minimaler menschlicher Beteiligung gesammelt, geteilt, analysiert sowie in Erkenntnisse und Aktionen übersetzt, die beispielweise erkannte Probleme und Fehler beheben, Risiken vorbeugen oder Zielzustände innerhalb definierter Grenzwerte sicherstellen.
Ausgangspunkt sind Sensoren, die am Objekt Daten erfassen sowie ggfs. sortieren, speichern (vor-)auswerten und idealerweise bereits verschlüsseln. Dazu kommen als wesentliche Komponenten Kommunikationstechnologie (z.B. 5G), Datenzentrum (z.B. Cloud), Datenanalysetechnologie und -verfahren, Applikationen, die durch Analyseerkenntnisse induzierte Aktionen auslösen, unterstützen oder durchführen (z.B. Predictive Maintenance) und Auswertungen, die die Überwachung der Abläufe ermöglichen (z.B. Dashboards).
Enorme Datenvolumina schaffen erhebliche Innovationschancen
Studien prognostizieren mitunter eine Verdreifachung der Anzahl mittels IoT vernetzter Geräte bis auf über 25 Milliarden zum Ende dieses Jahrzehnts. Man schätzt, dass ein Mensch 2025 weltweit durchschnittlich knapp 4.800 Kontakte mit einem IoT-Gerät haben wird – pro Tag, was einer Interaktion alle 18 Sekunden entspräche. Dementsprechend rasant dürfte das erzeugte Datenvolumen – und das damit verbundene Erkenntnis- und Innovationspotenzial – ansteigen.
Blickt man vor diesem Hintergrund auf den Finanzdienstleistungssektor mag zunächst der Eindruck entstehen, dass das Internet der Dinge dort aufgrund des im Vergleich z.B. zur Industrie geringen Anteils physischer Wertschöpfung weniger Bedeutung zukommen wird. So betrachten IoT Studien den Finanzdienstleistungssektor oftmals nicht (z.B. die globale IoT-Signals-Studie von Microsoft). Überlegungen zu IoT Implikationen für das Bankgeschäft bleiben eher auf neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Filialen oder Geldautomaten, eben den physischen Teil heutiger Bankprozesse, beschränkt oder beleuchten das Thema aus einer allgemeinen technologischen Perspektive im Kontext KI, Blockchain, digitaler Zwilling usw.
Auf den zweiten Blick erscheint es jedoch schwer vorstellbar, dass eine derart signifikante Veränderung von Produktions-, Logistik- etc. Möglichkeiten damit einhergehende Finanzierungen, Risikotransfers oder Zahlungsströme nicht oder lediglich peripher berühren wird. Bei genauerer Betrachtung werden im Kontext IoT durchaus neue Möglichkeiten beispielsweise in der Kreditrisiko-bewertung und -bepreisung, neue Alternativen zu Leasing oder „self proposing Payments“ erkennbar – sprich neuartige Produktinnovationschancen für Finanzdienstleister i.S.v. „IoT-enabled Financial Services“.
Bessere Kreditrisikobewertung und -bepreisung durch bessere Information
Finanzierungen, denen (u.a.) eine Einschätzung der Werthaltigkeit physischer Vermögensgegenstände zugrunde liegt (z.B. Betriebsmittelkredit), profitieren von laufenden Informationen aus Sensordaten über Zustand, Nutzung und Performance des beliehenen Objekts (z.B. Maschine), da diese Werthaltigkeit und Verwertbarkeit beeinflussen. Sofern sich aus der Summe solcher Daten statistisch signifikante Erkenntnisse für den Gläubiger gewinnen lassen, ist dieser in der Lage, das Kreditrisiko besser einzuschätzen und ggfs. im Wettbewerbsvergleich besser zu bepreisen.
Ein weiteres Beispiel dafür ist die Restwertermittlung und -entwicklung bei Leasing-Finanzierungen auf Basis einer fortlaufenden Informationsversorgung aus Sensordaten im geleasten Objekt. Die Bewertung von Immobilien bei Hypothekendarlehen dürfte ebenfalls von Daten über den Zustand von Dach, Leitungen, Fundament etc. profitieren. Auch dort wo Kreditrisiken vom Standort mobiler Güter abhängen, wie z.B. in der Außenhandelsfinanzierung (oder die Existenz dieser Güter laufend überprüft werden sollte, wie der Flowtex-Skandal einst veranschaulichte), werden Banken, die allzeit über ihre Sicherheiten im Bilde sind, klare Vorteile haben.
Insofern eröffnet IoT Banken neue Möglichkeiten sowohl ihre Produkte und elementaren Aktivitäten entlang ihrer Wertschöpfungskette (z.B. Underwriting, Kreditrisikomanagement, Workout) zu verbessern, als auch neue Produkte zu entwickeln.
Finanzierung von Zuständen mit Garantien
Sofern das IoT über Messen und Monitoring hinaus rechtzeitig Aktionen auslöst, die das Funktionieren z.B. einer Maschine innerhalb bestimmter Zielwerte längerfristig sicherstellen, ergibt sich die Möglichkeit, nicht nur Eigentumserwerb und Besitz an einem Anlagegegenstand zu finanzieren, sondern dessen Nutzung und Funktionieren eigentumsunabhängig gegen Entgelt zu gewährleisten bzw. zu garantieren. Bei einer sog. Performance-Garantie erwirbt der Garantiegeber die Maschine und sichert dem Nutzer eine definierte Performance der Maschine sowie Kompensation im Falle eines Unter- oder Überschreitens vereinbarter Performancewerte zu. Dies hat für alle Beteiligten Vorteile:
- Der Hersteller der Maschine kann seinen Absatz unabhängig von Bilanzierungskapazität und Fremdkapitalquote potenzieller Nutzer fördern.
- Der Nutzer entledigt sich größtenteils des finanziellen Risikos mangelnder Performance der Maschine und zahlt lediglich für den funktionierenden Einsatz der Maschine i.S.v. „Equipment-as-a-Service (bzw. bei „Pay per Part“-Modellen nur mehr für den auf der Maschine produzierten Output). Hier wird deutlich, wie die Bedeutung von Eigentum zugunsten des Zugangs zur Nutzung in der Datenökonomie abnimmt.
- Der Risikoträger bringt ein neues Finanzprodukt an den Markt, das im Vergleich zu herkömmlichen Finanzierungsformen, wie Betriebsmittelkredite oder Leasing, vorteilhaft ist und neue Rendite-/ Risikoprofile erzeugt.
Ein solches Garantieren von Zuständen als IoT-basierte Financial Services Innovation wird möglich, wenn der Garantiegeber die Performance der Maschine auf der Basis von Sensordatenhistorien vorab einschätzen, laufend überwachen und, falls nötig, durch präventives Eingreifen beeinflussen kann.
Automatisierung des dokumentären Geschäfts
In der Außenhandelsfinanzierung hängen Risiken auch von Ort, Zustand und Verwahrung von Import- und Exportgütern ab. Mit den Incoterms der Internation Chamber of Commerce lassen sich Zahlungsbedingungen, Rechte und Pflichten von Verkäufern und Käufern entlang der Transportketten des Welthandels standardisiert regeln. Beides erzeugt erheblichen Dokumentationsaufwand entlang der Transportkette, weshalb auch der Begriff „dokumentäres Geschäft“ für Außenhandelsfinanzierung gängig ist.
Mit IoT-Sensoren, die Warenstandort, Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Container, Container-Öffnungen usw. in Echtzeit übertragen, lassen sich Risiken entlang der Transportkette nahtlos überwachen, das Zutreffen von Zahlungsbedingungen automatisch feststellen und entsprechende Zahlungen ohne Dokumentationsaufwand auslösen.
Eine Studie des Mobey Forums, eines Branchenverbands zur Förderung digitaler Finanzdienstleistungen, nennt Trade Finance als eines der Bankgeschäftsfelder mit dem größten Potenzial für Produktverbesserungen durch IoT Einsatz.
„Self-proposing“ bzw. „self-executing“ Payments
Um sich auf Mobilitätsplattformen, die Busse und Bahnen des öffentlichen Personennahverkehrs mit Car, Bike, E-Scooter, Ride etc. Sharing, Taxis, Fahrrad-Rikschas usw. zu einer flexibel nutzbaren Dienstleistung integrieren, künftig einfach fortbewegen zu können, sind u.a. vereinfachte Buchungs- und Bezahlmöglichkeiten wünschenswert.
Mit IoT-basierten mobilen Identifikations-, Buchungs- und Bezahllösungen könnte Nutzern standortabhängig das Bezahlen von Mobilitätsdiensten vorgeschlagen werden, so dass der Fahrkartenkauf, insb. beim Wechseln von Verkehrsmitteln, deutlich vereinfacht wäre. Darüber hinaus ist es vorstellbar, dass sich entsprechende Zahlungen in Abhängigkeit der Nutzerbewegungen auf verschiedenen Verkehrsmitteln innerhalb vordefinierter Grenzen selbst auslösen und dem Nutzer so jegliche Ticketing-Prozesse abnehmen.
Inwiefern Banken, sonstige Zahlungsverkehrsdienstleister oder eher Verkehrsbehörden, Sharing-Dienste etc. solche Buchungs- und Bezahlmöglichkeiten federführend bereitstellen sollten, sei dahingestellt, da auf künftigen Mobilitätsplattformen Branchengrenzen verschwimmen werden. In jedem Fall ergeben sich im Kontext Mobilitätsplattform auch Innovationschancen für „IoT-enabled Financial Services“, deren Erschließung aus heutiger Sicht sicherlich auch Banken anstreben können.
„Not if, but how”
Die Möglichkeiten, Finanzdienstleistungen mit IoT zu verbessern und neue zu entwickeln, gehen über die hier dargestellten Ansätze hinaus und umfassen, neben der Optimierung interner Prozesse (z.B. Nutzung von Sprachassistenten bei der Kontoeröffnung) beispielsweise auch Kapitalanlageentscheidungen auf der Basis von IoT-Daten über Ernteerträge oder Lieferketten. Unabhängig von Fragen des Datenschutzes, sonstiger regulatorischer Hürden, der technischen Umsetzbarkeit, der Notwendigkeit zur Kooperation mit geeigneten Partnern (z.B. Sensorhersteller) etc., darf IoT auch für die Finanzbranchen als Schlüsseltechnologie gelten.
Gleichwohl finden sich auf den Webseiten deutscher Großbanken unter dem Suchbegriff IoT heute kaum Beiträge zu Implikationen für das Banking selbst, was auf eine eher beobachtende, abwartende Haltung gegenüber dem Thema schließen lässt. Wollen Banken die dargestellten Innovations- und Gestaltungschancen vor anderen oder als ebenbürtiger Partner mit anderen ergreifen, müsste sich dies ändern.
Auf der Webseite der Münchener Rückversicherung beispielsweise zeigt sich ein anderes Bild. Getreu dem Motto „not if, but how“ wirbt der Konzern mit breiter IoT-Kompetenz, die Unternehmen helfen soll, neue Geschäftschancen im Bereich IoT zu erschließen – auch mit innovativen Finanzierungslösungen.