Vor 15 Jahren wurde mit der „ISO 20022“ eine neue Norm für Zahlungsverkehrs-Nachrichten eingeführt. Nun steht der Standard vor dem nächsten Erfolg – mit tiefgreifenden Folgen für Banken und ihre Kunden.
Es sind aufregende Zeiten für alle, die sich mit dem Thema „Zahlungsverkehr“ beschäftigen. Im deutschen Einzelhandel haben Karten gerade erstmals das Bargeld als wichtigstes Zahlungsmittel abgelöst; mit „Instant Payments“ werden bei immer mehr Banken Überweisungen in Echtzeit zur Normalität; und globale Technologiekonzerne schicken sich an, das Smartphone als Geldbörse zu etablieren.
Stille Revolution durch ISO 20022
Was angesichts solcher Meldungen leicht mal untergeht: Die Revolution im Endkundengeschäft ist nur das eine. Denn eine ähnliche Revolution findet momentan im Verborgenen statt. Sie hört auf den Namen „ISO 20022“ – und steht für das Ziel, eine weltweit einheitliche Sprache für Zahlungsdaten zu schaffen. Veröffentlicht wurden die ersten Versionen der Norm zwar schon 2004. Nun aber steht sie endlich vor dem globalen Durchbruch. Um die Relevanz richtig einschätzen zu können: Aus Sicht der Banken geht es um eine Reform, welche in ihrem Ausmaß sogar grösser als die damalige SEPA Einführung werden wird.
Dazu muss man wissen, dass es sich beim Zahlungsverkehr im Kern um ein globales Netzwerkgeschäft handelt. Involviert sind immer mindestens drei Parteien (Zahler, Empfänger und mindestens eine Bank), in der Regel aber noch einige mehr. Darum liegt auf der Hand, dass es für die Abwicklung von Transaktionen – zumal wenn es um die sogenannten „Großbetragszahlungen“ geht – parteiübergreifender Standards und Regeln bedarf.
Genau daran mangelte es bislang aber. Es gab zwar seit jeher etablierte Standards im Markt. Diese Standards können jedoch den neuen Anforderungen eines modernen und vollautomatisierten Zahlungsverkehrs nicht mehr vollumfänglich gerecht werden. Nun jedoch sieht es so aus, als könnte mit der „ISO 20022“ ein neuer, vollständiger und zeitgemäßer Standard tatsächlich etabliert werden. In den Großbetrags-Zahlungssystemen von Japan, China und der Schweiz hat sie sich bereits durchgesetzt; und auch bei den Instant-Payments-Implementierungen in den USA, Kanada, Singapur und Australien kommt die „ISO 20022“ als De-facto-Norm zur Anwendung.
ISO 20222 setzt sich durch
Das jedoch ist erst der Anfang. Denn die weltweit wichtigsten Marktinfrastrukturen im Zahlungsverkehr – betrieben durch die Fed und The Clearing House in den USA, das Eurosystem und EBA Clearing in Europa sowie die Bank of England – sind gerade dabei, ihre jeweiligen Großbetrags-Zahlungssysteme ebenfalls auf die „ISO 20022“ umzustellen. Und auch Swift hat entschieden, in den nächsten Jahren auf den Standard zu migrieren, wenn es um den zahlungsverkehrsbezogenen Nachrichtenaustausch zwischen Banken weltweit geht.
Das ist auch insofern von Bedeutung, als die „ISO 20022“ eben nicht nur ein weiteres, technisches Datenformat ist, sondern auch die zugrundeliegenden Geschäftsprozesse verändert und Regeln definiert. So reichen die systemischen Auswirkungen von den Zahlungsverkehrssystemen einer Bank weiter über sämtliche Kontrollprozesse, Kontoinformationssysteme, E-Banking, Liquiditätssteuerung bis hinein in das letzte technische Archiv. Neben der IT und dem klassischen Zahlungsverkehr sind auch etliche weitere Geschäftsbereiche einer Bank betroffen, darunter zum Beispiel die Handelsfinanzierung oder das Wertpapiergeschäft. wenn immer diese Geschäfte eine grenzüberschreitende oder eilige Zahlung auslösen.
Jede Bank muss entscheiden
In praktisch jeder Bank gehört das Thema somit weit oben auf die Agenda. Wobei es nicht reicht, einfach nur die Zahlungsverkehrssysteme und die Prozesse umzustellen. Sondern: Jede Bank muss im Hinblick auf ihre künftige Strategie eine grundlegende Entscheidung treffen, wie sie mit der „ISO 20022“ umgehen will. Geht es um ein Institut, das direkt ans Clearing angeschlossen ist oder gar Korrespondenzbankservices anbietet? Dann empfiehlt sich ein vollständiger Ansatz, der darauf hinausläuft, die eigenen Geschäftsprozesse – jedenfalls soweit es den Zahlungsverkehr betrifft – vollständig an „ISO 20022“ auszurichten.
Was hingegen ist mit Banken, die den Zahlungsverkehr ihrerseits über eine Korrespondenzbank oder Dienstleister abwickeln? Können wenigstens sie den neuen Global-Standard, zugespitzt formuliert, ignorieren? Nein, ganz geht auch das definitiv nicht, da die ISO20022 Anforderungen an die gesamte Wertschöpfungskette einer Zahlung stellt, eben auch beim Empfangen von Zahlungsaufträgen und beim Bereitstellen von Kontoinformationen zu einer Zahlung, selbst wenn ein solches Kreditinstitut nicht direkt am Interbankenclearing teilnimmt.
Aufwendig, aber sinnvoll
Was jedem Institut klar sein muss: Die Umstellung auf die „ISO 20022“ wird enorme Ressourcen erfordern. Um mal eine Hausnummer zu nennen – eine mittelgroße Bank wird sicherlich eine hohe vierstellige Zahl an Projekttagen einkalkulieren müssen. Aller Voraussicht nach werden sich diese Investitionen aber langfristig auszahlen. Denn mit einem weltweit anerkannten Standard können die Banken und ihre Kunden ihren Zahlungsverkehr deutlich automatisierter und sicherer und damit auch wirtschaftlicher durchführen, als das bislang der Fall ist. Zahlungsinformationen werden mit der „IOS 20022“ künftig digital, strukturiert, vollständig und ohne Brüche vom Zahler zum Empfänger fließen – egal wo Zahler und Empfänger sitzen. Damit entsteht eine verlässliche technische Basis für weitere Innovation im internationalen Zahlungsverkehr.