Ist Geduld wichtiger als Intelligenz?

Gelassenheit und Ausdauer in Zeiten der Veränderung

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In der schnelllebigen Welt  von heute wird häufig vergessen, dass Geduld mehr als nur eine Tugend ist. Gerade in Zeiten der Veränderung kann sie dazu beitragen, erfolgreicher zu sein. Man muss sie nur richtig einzusetzen wissen.

Gelassenheit und Geduld in Zeiten der Hektik

Sollte man in Zeiten der Veränderung bei aller Hektik nicht einfach mal „über den Dingen“ schweben?

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Unsere (digitale) Welt ist eine „Jetzt-Sofort-Welt“: Nachrichten, Aktienkurse und Fußball-Ergebnisse checken wir jederzeit auf dem Smartphone. Bücher, Wein und Klamotten bestellen wir mit wenigen Mausklicks im Online-Shop – Same-Day-Delivery inklusive. Wir kommunizieren in Sekundenschnelle, per Mail oder Messenger. Das ist bequem. Es macht Spaß. Und es macht ungeduldig. Wir können und wollen heute nicht mehr warten. Nicht auf unsere Bestellungen, nicht auf die Antworten unserer Kollegen, nicht auf die Erfolge unserer Projekte.

Deshalb verkaufen sich auch die „Skip-the-line-Tickets“ von Museen und Freizeitparks so gut. Für einen saftigen Aufschlag geht’s direkt an der Schlange vorbei.

Dabei würde uns etwas mehr Geduld gut zu Gesicht stehen – und vielleicht sogar erfolgreicher machen. Etliche Experten sind sich einig: In einer schnelllebigen Zeit ist das keine überholte Eigenschaft, sondern eine ganz wichtige Tugend. Gerade erst hat die brand eins der Langmut sogar einen eigenen Schwerpunkt gewidmet. Chefredakteurin Gabriele Fischer schreibt im Editorial: „Geduld werden wir künftig mehr brauchen als je zuvor. Denn eine Gesellschaft, die mit Wissen gewinnen will, kommt mit dem Aktionismus des Industriezeitalters nicht weit.“

Worum es bei „Geduld“ wirklich geht

Jetzt höre ich viele sagen: Alter Hut! Weiß man doch, dass es manchmal Geduld braucht. Schon Ovid sagte: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Diese Erkenntnis gerät aber heute leider allzu oft in Vergessenheit.

Andere werden sagen: Aber Geduld ist doch negativ besetzt in unserer immer agileren Arbeitswelt. Wer geduldig ist, wird schnell als wenig ehrgeizig, als durchsetzungsschwach oder gar als faul abgestempelt. Wer was auf sich hält, schmückt sich im Vorstellungsgespräch gern mit dem Prädikat „ungeduldig“, ergo „erfolgshungrig“.

Doch das ist ein Missverständnis: Mit geduldig sein, ist nämlich nicht gemeint, alles auszusitzen, nichts zu tun oder auf Godot zu warten. Geduld ist vielmehr als Synonym für positive Eigenschaften wie Ausdauer, Fleiß, Disziplin, Selbstbeherrschung, Beharrlichkeit, Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und Unermüdlichkeit zu verstehen. Geduldig sein heißt, dranzubleiben, die Dinge – auch die schwierigen – zu Ende zu bringen, bereit sein, einen Umweg zu machen, um ans Ziel zu kommen. Sich nicht mit irgendeiner Lösung zufriedengeben, sondern nur mit der besten. Oder wie Konfuzius sagt: „Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.“

Was Geduld bringt – Ein bisschen Theorie  …

Einer, der den Mehrwert von Geduld wissenschaftlich untersucht hat, ist Matthias Sutter. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn, nur einen Steinwurf von unserer Telekom-Zentrale entfernt. Vor vier Jahren hat er ein Buch dazu geschrieben: „Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent“. Im Interview mit dem österreichischen Kurier sagte er dazu: „Alle langfristigen Studien zeigen, dass Persönlichkeitseigenschaften wie Geduld, Selbstkontrolle oder Zielorientierung für alle Dimensionen von Erfolg, etwa im Beruf, im Privatleben oder bei der Gesundheit gleich wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sind, als der Intelligenzquotient. Ausdauer ist daher in einigen Fällen um einen Tick wichtiger als Intelligenz.“

Auch in der brand eins kommt Sutter zu Wort: „Wir haben festgestellt, dass ungeduldige Menschen zum Beispiel schneller ihr Geld ausgeben, sie machen mehr Schulden und können mit höherer Wahrscheinlichkeit ihre Schulden nicht zurückzahlen. Alles nur deshalb, weil sie dem Impuls schlecht widerstehen können, etwas sehr schnell haben zu wollen.“ Und das vermutlich seit frühster Kindheit.

Kennen Sie das „Marshmallow Experiment“? Walter Mischel, Psychologe an der Stanford-Uni, hat den Test Ende der 1960er/Anfang der 1970er mehrfach mit Vorschulkindern gemacht: Sie dürfen den Marshmallow, der vor ihnen auf dem Tisch liegt, sofort essen. Wenn sie damit aber warten, bis der Professor zurückkommt, kriegen sie noch nen zweiten. Die Kids erleben das klassische Dilemma: Kleine Belohnung sofort (im Fachjargon „instant gratification“) oder große später?

Der Test ist Grundlage für viele wissenschaftliche Arbeiten in dem Bereich – und war vor ein paar Jahren auch Vorlage für eine Fernsehwerbung für Überraschungs-Eier.

Man spricht hier auch vom Belohnungsaufschub-Paradigma. Viele Menschen wollen das Goodie lieber gleich, trotz Aussicht auf ein besseres zu einem späteren Zeitpunkt. Dazu hatte ich schon in meinem Gratitude-Beitrag geschrieben. Geduld ist hier gleichbedeutend mit der Fähigkeit, auf die spätere, größere Belohnung zu warten. Also Selbstbeherrschung zu zeigen (Impuls-Kontrolle). Das klappte bei den Kindern ganz unterschiedlich: Einige stopften sich den Marshmallow sofort rein. Andere widerstanden eine Zeit lang, andere ganz.

Und jetzt wird es interessant: Mischel und seine Kollegen schauten, wie sich die 562 Jungen und Mädchen weiter entwickelten. Und nach ca. 20 Jahren gab‘s deutliche Unterschiede: Die Kinder, die dem Marshmallow widerstanden hatten, hatten im Schnitt bessere Schulnoten, häufiger einen Uni-Abschluss, waren selbstbewusster, stressresistenter, schlanker und weniger anfällig für Drogen.

Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Langzeitstudie aus Neuseeland mit über 1.000 Teilnehmern: Wer geduldig ist und sich gut selbstbeherrschen kann, ist gut im Sparen, bringt die Schule eher zu Ende, verdient hinterher mehr Geld und wird seltener spielsüchtig oder straffällig.

Kurzum, Mischel hat mit seinem Marshmallow-Test einen Schlüssel für Erfolg entdeckt. Neben Intelligenz, Talent und Herkunft mindestens genauso wichtig: Geduld. Die Selbstkontrolle, die kluge, langfristig sinnvolle Entscheidungen erst ermöglicht. Oder wie es der Verhaltensökonom Gerhard Fehr in der WiWo formulierte: „Um Intelligenz zu erlangen und einzusetzen, brauchen wir so etwas wie Motivation. Dabei geht es nicht nur darum, etwas tun zu wollen, sondern länger durchhalten zu können; Impulskontrolle in den verschiedensten Situationen walten zu lassen; sich dem Wettbewerb zu stellen. Diese Fähigkeiten werden in der Ökonomie über die Geduldspräferenzen gemessen.“

Noch heute laufen etliche Folgestudien zu diesem Themenkomplex. Erst vor zwei Jahren hat Mischel ein neues Buch dazu veröffentlicht: „Der Marshmallow-Effekt – Wie Willensstärke unsere Persönlichkeit prägt“.

Was Geduld tatsächlich bringt: Die Praxis …

Selbst die großen, innovativen Plattform-Unternehmen eilen mit Weile:

  • Google sichert jede noch so kleine Neuerung – z. B. Button-Farbe oder -Position – auf seiner Website standardmäßig mit Nutzertests ab, bevor sie live gehen.
  • Bevor Amazon Fresh ausgerollt wurde, ließ es Jeff Bezos am Firmenstandort im Kleinen erproben.
  • Und auch Zalando wurde nicht über Nacht so groß. Geduldig wurde zunächst mit einem Onlineshop für Badelatschen experimentiert.

Ich selbst merke im Alltag immer wieder, dass es für die großen Ziele nicht nur einen guten Masterplan, engagierte Leute und innovative Technologien braucht, sondern auch eine gehörige Portion Geduld: Etwa, wenn man seinen Mitarbeitern mehr Handlungsspielraum einräumt. Es dauert einfach seine Zeit, bis sie damit wie selbstverständlich umgehen. Oder wenn man den Service für rund 75 Millionen Kunden nachhaltig verbessern will. Auch das geht nicht von heute auf morgen, das sind dicke Bretter, die man bohrt.

Selbst der allseits agile Tesla-Boss Elon Musk merkt gerade, dass Versprechen schneller und leichter sind als echte Veränderungen. Die Produktion des Model 3 erweist sich als komplizierter als erwartet. Sein Ziel, 5.000 Wagen pro Woche zu bauen, musste er bereits mehrmals verschieben. Bis es tatsächlich soweit ist, brauchen er, seine Kunden und Aktionäre noch viel Geduld. Hätte er sich zuvor besser mal mit Bill Gates ausgetauscht. Vom Microsoft-Gründer stammt der Ausspruch: „Patience is a key element of success“.

Auch die ungeduldigen Marshmallow-Kids findet man nicht nur im Labor, sondern im richtigen Leben: Mavis Wanczyk (53), eine amerikanische Krankenschwester, hat im vergangenen Herbst knapp 760 Millionen US-Dollar im Lotto gewonnen. Sie hatte die Wahl: Die volle Summe über 30 Jahre verteilt oder eine Einmalzahlung mit deutlichem Abschlag: Sie wollte alles sofort und verzichtete damit auf 280 Millionen Dollar. Hand aus Herz, was hätten Sie gemacht? ;)

Wie Geduld funktionieren kann

Für alle, die genauso ungeduldig sind wie Mavis, gibt’s ne gute Nachricht: Geduld kann man lernen – zumindest ein Stück weit. Und zwar durch positive Erfahrungen. Das hat 2012 eine Abwandlung des Marshmallow-Experiments gezeigt. Einer Kindergruppe versprach man vorab, bessere Buntstifte und schönere Aufkleber zu bringen, als die, die sie schon hatten. Und tat es nicht! Bei der zweiten Gruppe hielt man das Versprechen. Ergebnis: Kinder mit positiven Vorerfahrungen warteten im Marshmallow-Test viermal länger (zwölf statt drei Minuten) als jene, die zuvor enttäuscht worden waren.

Auch Verhaltensökonom Fehr ist überzeugt: „Man kann sie lernen. Man muss aber dazu sagen, dass der Grundstein für Geduld in den ersten Lebensjahren gelegt wird. …Und aus verhaltensökonomischen Studien wissen wir, dass die Ausprägung der Geduldspräferenzen sehr viel mit Dingen wie Empathie, Zuneigung und emotionaler Bindung zur Mutter zu tun hat. … Je geduldiger die Mutter, desto geduldiger das Kind.“

Neben positiven Erfahrungen in der Kindheit hilft auch die Odysseus-Methode: Sprich, sich selbst schützen, wenn man der Verführung nur schwer widerstehen kann. Dafür muss man sich nicht gleich wie Odysseus von seinem Team an einen Mast binden lassen. Im Marshmallow-Experiment haben sich viele Kinder einfach mit dem Rücken zum Objekt ihrer Begierde gesetzt. Wir können also – je nach Situation – Tricks anwenden, um unsere Wahrnehmung zu beeinflussen, uns abzulenken und unsere Selbstbeherrschung zu steigern.

Weitere Möglichkeit: die Tee-Zeremonie. Kommt ursprünglich natürlich aus Japan, wird mit der Achtsamkeitswelle aber auch immer öfter bei uns praktiziert. Hierbei wird der Tee auf sehr langsame, rituelle Art und Weise zubereitet. Das erfordert Geduld und macht gelassener. Es heißt nicht umsonst: „Abwarten und Tee trinken“.

Wer’s digital mag, dem empfehle ich die App voi. Dahinter verbirgt sich ein puristisches Puzzle mit 88 Leveln, also eine Art Tangram 2.0. Die kniffligen Aufgaben löst man nur mit Durchhaltevermögen.

Oder Sie üben sich in Geduld, indem Sie einfach „Wenn-Dann-Pläne“ machen: Sie essen erst dann etwas, wenn Sie Ihr Training erfolgreich absolviert haben. Sie kaufen die neue 4K-Glotze erst dann, wenn Sie das Geld dafür bewusst über mehrere Monate angespart haben. Hier kann sicher jeder etwas Eigenes finden.

Fazit: Geduldig zu sein, ist heutzutage nicht immer leicht

Ich gebe zu: Geduldig sein ist heutzutage nicht immer leicht. Doch wie schreibt die brand eins so schön: „Die Langstrecke ist mühsam, aber komplexe Probleme löst man nicht im Sprint.“ Das kann ich als langjähriger Manager und Marathonläufer nur unterschreiben. Oft braucht es Geduld und Spucke, um ans Ziel zu kommen.

Aber wie immer gilt natürlich: Man kann‘s vorantreiben, aber auch übertreiben. Wer sich nur selbstgeißelt und den Marshmallow niemals anrührt, wird auf Dauer auch nicht glücklich. Selbstbeherrschung statt Selbstkasteiung ist das Motto. Daher: Achten Sie auf Ihre Bedürfnisse – mit Geduld und Verstand!

Über den Autor

Dr. Ferri Abolhassan

Dr. Ferri Abolhassan ist Mitglied der Geschäftsführung der Telekom Deutschland GmbH und Vorsitzender Geschäftsführer der Deutsche Telekom Service GmbH und der Privatkunden Vertriebsgesellschaft mbH. Zuvor war der promovierte Informatiker für T-Systems, Siemens, SAP, IBM und IDS Scheer tätig.

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