Die Begegnung der letzten Art

Jean-Claude Juncker und die Regulierung des Bankwesens

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In den vergangenen Jahren galt der Regulierung des Bankwesens ein Hauptaugenmerk der Europäischen Kommission. Über das Ergebnis gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie eine „Begegnung“ mit dem (Noch)-EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker zeigt.

Jean-Claude Juncker, Präsident der EU Kommission

Jean-Claude Juncker ist Präsident der Europäischen Kommission.

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Diesen Drink hatte ich mir redlich verdient. Mein Arbeitstag in Brüssel war mühsam gewesen und – auch wenn man dies nur hinter vorgehaltener Hand sagen durfte – nicht so erfolgreich, wie manch Sitzungsteilnehmer es gerne nach außen hin darstellen würde. Schon wieder!

Mein Rückflug hatte – ebenfalls zum wiederholten Mal – eine ordentliche Verspätung. Als letzte Zufluchtsstätte in Zaventem, dem grandiosen Brüsseler Flughafen, diente mir in solchen Fällen eine der Lounges, die neben komfortablen Sitzgelegenheiten und einer dringend benötigten Stromversorgung für meine Mobilgeräte auch – ich gebe es unumwunden zu – einen ordentlichen Wein oder ein Gläschen Whisky für mich bereithielt.

Heute hatte der Whisky gewonnen, denn die Diskussionen über das, was in Europas Bankenlandschaft in Zukunft wohl Standard sein würde, war so vielfältig wie die Anzahl der Sitzungsteilnehmer.

Déjà-vu mit Jean-Claude

Und während ich auf meinem Notebook gerade die neuesten Entwürfe einer Regulierungsvorlage studierte, spürte ich einen kalten Luftzug in meinem Rücken, gepaart mit dem unverkennbaren Geruch rauchgetränkter Kleidung. Hatte ich ein Déjà-vu? War mir Ähnliches nicht schon mal passiert, hier am Brüsseler Flughafen? Meine Ahnung wurde traurige Gewissheit, als eine kräftige Hand auf meine Schulter niederfuhr!

„Michel!“, knurrte in meinem Rücken die unverkennbare Stimme Jean-Claude Junckers, seines Zeichens Präsident der EU-Kommission und Freund durchaus unorthodoxer Begrüßungsrituale.

Es waren Momente wie dieser, in denen ich mich wieder an die guten alten James Bond Filme erinnerte! 007 wusste immer, welchen Sitzplatz er in einem Lokal wählen musste: die mögliche Fluchtwege im Blick und ein gutes Sichtfeld auf potentielle Gefahrenbereiche haben. In beiden Dingen hatte ich kläglich versagt.

„Monsieur Juncker! Welche Ehre…“, versuchte ich mich aus der Bredouille zu reden, indem ich ungelenkig aufstand und mich umdrehte, noch immer den festen Griff der Präsidentenhand auf meiner Schulter spürend.

Banker und EU-Regularien

„Brich dir keinen ab.“, blaffte Jean-Claude wenig präsidentenhaft. „Man hat mir berichtet, dass ihr Banker heute schon wieder nur endlos diskutiert habt! Und es gab erneut keine Beschlüsse, unsere EU-Regularien vorbehaltlos zu unterstützen und widerspruchslos umzusetzen.“

Juncker machte eine kurze Pause und drückte seinen erstaunlich kräftigen Daumen schmerzhaft in mein Schlüsselbein. Ein Blick in seine kalten, bernsteinfarbenen Augen machte mir klar, dass er nicht zum Scherzen aufgelegt war.

„Ähm.“, begann ich ungelenk, während ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien. „So einfach ist das leider nicht, wie sie sicherlich wissen! Setzen sie zwanzig Banker in ein Meeting und sie kommen mit einundzwanzig Meinungen wieder raus. Hähä!“

Der Witz zog nicht, wie mir seine ausdruckslose Miene bestätigte. Aber da hatte ich mich bereits gefasst und meine Gedanken sortiert. Die Anstrengung des ganzen Tages, das ständige Hin und Her in den Diskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedlichen Meinungen der unterschiedlichen Banken und Länder – all das war mir wieder spontan vor Augen geführt worden.

„Mal ehrlich, Jean-Claude!“, und ja, ich duzte den Präsidenten, „Dir ist schon klar, dass die Bankenindustrie sich redlich Mühe gibt, all die zahlreichen EU-Richtlinien und Direktiven bestmöglich umzusetzen? Und dass die eine oder andere Regulierung substanzielle Umstrukturierungen in der Branche bedeuten?“

Regulierung? Na und?!

„Na und? Dazu seid ihr doch da!“ Trotz der Tapser auf seiner Brille konnte ich sein Unverständnis für meinen Einwand deutlich sehen. „Du musst europäisch denken, Michel! Nicht in kleinkarierten nationalen Dimensionen. Sieh nur, was die Kommission schon alles erreicht hat. Mehr Wettbewerb, mehr Innovationen, mehr Transparenz für die Kunden! Alles für den Konsumenten.“

Junckers Augen glänzten zufrieden. Konnte ich diesem Giganten der europäischen Politik widersprechen? Durfte ich das? Wie sagt man einem stolzen Vater, dass sein Geisteskind kein Genie war, sondern bestenfalls veritabler Durchschnitt?

„Wenn man die Sache nüchtern betrachtet“, begann ich vorsichtig, indem ich das Whiskyglas unauffällig beiseite stellte, „hat sich in den letzten Jahren natürlich viel bewegt. Aber wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.“

Ich richtete mich zu voller Größe auf und sah ihm fest in die Augen, während ich nun meinerseits meine Hand auf seine Schulter legte. Es war Zeit für Ehrlichkeit.

Eine bessere Welt für die Konsumenten?

„Wir haben mehr Wettbewerb, mehr Innovation und mehr Transparenz! Und was haben wir noch?“

Eigentlich war meine Frage rhetorisch gemeint, doch Jean-Claude Juncker war zu sehr in seinem Element.

„Natürlich eine bessere Welt für die europäischen Konsumenten!“, grinste er mich an.

„Ist das so, Jean-Claude?“, fragte ich ihn. „Ist das wirklich so?“

Diese Replik war für den Präsidenten sichtlich ein Sakrileg, denn sein fröhlich-optimistischer Gesichtsausdruck verdunkelte sich zusehends.

„Erkaufen wir uns den erweiterten Wettbewerb nicht mit mehr Unsicherheit durch Hackerangriffe? Und ist durch den erhöhten Kostendruck für die Banken nicht auch die Servicequalität für die Kunden gesunken? Bezahlen die Konsumenten – nicht zuletzt dank der einen oder anderen grandiosen Regulierung – das Mehr an Freiheit nicht mit deutlich höheren Preisen? Bedingt die neue Transparenz nicht eine Überforderung der Konsumenten durch eine Vielzahl von Informationen, die das Banking heute nicht einfacher, sondern dramatisch komplexer macht?“

Wenn Blicke töten könnten, hätte in dieser Situation in Zaventem mein letztes Stündlein geschlagen.

Jean-Claude Juncker funkelte mich böse an und presste ein entschiedenes „No!“ durch die lilablauen schmalen Lippen. Dann wandte er sich abrupt von mir ab und steuerte auf den Lobbyisten eines Telekom-Konzernes zu, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.

„Sehen wir uns wieder, Jean-Claude?“, rief ich dem Präsidenten nach, doch der hatte schon seine kräftige Hand auf die Schulter des Lobbyisten gelegt und die mühsame Welt der Banker ad acta gelegt.

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Über den Autor

Michel Lemont

Michel Lemont ist seit mehr als 35 Jahren in Bankenwesen tätig. Er war in verschiedenen Bereichen der Finanzindustrie tätig, unter anderem im Vertrieb, im Marketing und zuletzt im Umfeld des Zahlungsverkehrs. In seinen Aufgabenbereich fallen unter anderem regulatorische Themen, das Management von Zahlungsverkehrs-Infrastrukturen sowie die Arbeit in nationalen und internationalen Gremien im Bereich Payments. Ein besonderes Anliegen sind ihm Innovationen im Bankenbereich und das "Querdenken". Michel Lemont ist Autor des Buches „Bankers have more fun“ und betrachtet das Bankwesen gerne von der humoristischen Seite. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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