Die wirtschaftlichen Konsequenzen und Folgeschäden von Corona übertreffen die bisherigen Befürchtungen. Die Konzepte der Politik zur langfristigen Problemlösung beschränken sich derzeit im Wesentlichen auf eine exzessive Staatsverschuldung. Kaum genutzt wird das gewaltige Potential marktwirtschaftlicher Eigeninitiative.
Die Hoffnung auf eine konjunkturelle Trendwende in 2021 hat sich bisher nicht erfüllt. Im Gegenteil: Das BIP ist laut Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im ersten Quartal um 1,8 Prozent gesunken. Damit hat sich die Talfahrt nach dem Minus von 4,9 Prozent in 2020 fortgesetzt. Für das laufende Jahr erwarten die Institute nun eine Erholung der Wirtschaftsleistung um 3,7 Prozent unter der Voraussetzung zunehmender Lockerungen ab Mai.
Hoffnungsträger ist und bleibt die Industrie, deren Auftragseingang laut BDI bereits wieder über Vor-Corona-Level liegt. Der Verband hat seine Exportzuwachsprognose für 2021 von 6 auf 8,5 Prozent erhöht. Dagegen hat der BDI seine Vorausschau auf die BIP-Entwicklung wegen der besonders stark vom Lockdown betroffenen Branchen – von 3,5 auf 3 Prozent gesenkt. Erforderlich seien jetzt zielgerichtete Wachstumsimpulse wie eine höhere Verlustverrechnung, Sonderabschreibungen für Investitionen und der Ausbau der steuerlichen Forschungsförderung.
Als Worst Case gilt die Einführung verschärfter Lockdown-Regeln auch für Industriebetriebe. Es wäre daher äußerst hilfreich, wenn Bund, Länder und Gemeinden nun konsequent der Erkenntnis Rechnung tragen würden, dass schnelles und flächendeckendes Impfen aktuell die bestmögliche Wirtschaftspolitik verkörpert.
Exzessive Staatsverschuldung
Der Bundesrechnungshof bestätigt immer wieder ebenso unerschrocken wie überzeugend seinen politischen Auftrag als unabhängiges Kontrollorgan. So hat er kürzlich in ungewöhnlicher Deutlichkeit vor den Konsequenzen und Risiken der ideologisierten Energiewende gewarnt. Jetzt verweist der BRH auf die Gefahren der explodierenden Staatsverschuldung vor dem Hintergrund der Corona-Krise. Der Bundesfinanzminister will zwischen 2020 und 2022 neue Kredite in Höhe von 450 Mrd. Euro zur Bekämpfung der Pandemiefolgen aufnehmen. Diese Summe entspricht fast der Hälfte der Staatsschulden, die der Bund in den 70 Jahren davor angehäuft hat.
In einer Stellungnahme für den Bundestag weist der BRH nach, dass es ohne strukturelle Reformen nicht gelingen werde, die finanziellen Corona-Folgen zu bewältigen. Schon jetzt seien die Lücken in der Finanzplanung viel größer, als die im März vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckwerte erkennen ließen. Ausdrücklich widerspricht der Rechnungshof der Prognose des Internationalen Währungsfonds, dass der Anteil der Staatsschulden am deutschen BIP bis 2025 wieder unter die Maastricht-Marke von 60 Prozent fallen werde. Schon jetzt fordert der BRH die nächste Koalitionsregierung auf, als erste Maßnahme einen Kassensturz durchzuführen. Und er wendet sich gegen die von immer mehr Politikern geforderte Aufgabe der Schuldenbremse, um eine Überforderung künftiger Generationen zu verhindern. Die FAZ wirft dem Bundesfinanzminister übrigens in einem Kommentar vor, gegenüber der Öffentlichkeit bewusst die wahre Lage der Staatsfinanzen zu verschleiern.
„Wut und Verzweiflung“
Massive Kritik hat der Verband der Familienunternehmen bei einem virtuellen Treffen mit dem Bundeswirtschaftsminister vorgetragen: „Die Politik ist in der Corona-Krise festgefahren, sonst würde man nicht über immer neue Lockdown-Varianten fabulieren. Gleichzeitig passiert an den wichtigen Stellschrauben Testen, Impfen und Nachverfolgung zu wenig.“ Jeder Tag des Lockdowns treibe weitere verzweifelte Unternehmer in die Insolvenz. Deswegen müsse sich die Regierung mehr für Lockerungen als für weitere Lockdowns einsetzen.
Die „Wirtschaftswoche“ merkt an: „Die Geduld vieler Unternehmer ist ebenso aufgebraucht wie das Geld. Das Einzige, das angesichts des politischen Missmanagements noch wächst, sind Wut und Verzweiflung in den Betrieben.“ Wie die Faust aufs Auge passt in dieses ohnehin triste Gesamtbild der Regierungsbeschluss, den Unternehmen eine Testpflicht für ihre Mitarbeiter mit voller Kostenübernahme aufzuerlegen. Daraus resultieren für die Betriebe zusätzliche Kosten von monatlich über 7 Mrd. Euro. Die FAZ fragt rhetorisch, warum die Politik derartige Tests nicht zuerst einmal in der staatlichen Verwaltung einsetze.
„Element der Unsicherheit“
Am 25. März 2021 hat der Bundestag bewusst unauffällig die gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU für den sogenannten „Corona-Wiederaufbaufonds“ beschlossen. Es war der Tag, an dem die Bundeskanzlerin die Bürger öffentlichkeitswirksam um Verzeihung für ihren unausgegorenen Vorschlag einer „Osterruhe“ gebeten hat. Ein Berliner Insider geht davon aus, dass diese stark beachtete Demutsgeste von Spindoktoren bewusst als Nebelkerze geplant war, um von dem eigentlichen Hauptereignis des Tages, der Verabschiedung des harmlos klingenden „EU-Eigenmittelbeschlusses“ abzulenken. Sollte diese Spekulation begründet sein, so sind die Erwartungen der Strippenzieher wohl übertroffen worden.
Das Gesetz, das den Einstieg in die EU-Schuldenunion besiegelt, wurde in rekordverdächtiger Eile von einer Parlamentsmehrheit abgenickt, ohne dass sich die meisten Abgeordneten nur ansatzweise seiner Tragweite bewusst gewesen sein dürften. 390 der insgesamt 750 Mrd. Euro sollen den EU-Ländern als verlorene Zuschüsse bereitgestellt werden, die restlichen 360 Mrd. als Kredite.
Und auch in den Medien verdrängte Merkels emotionale Entschuldigung eine kritische Berichterstattung. Nachdem das Gesetz auch vom Bundesrat in ungewöhnlicher Eile durchgewunken worden war, sollte es noch am selben Tag vom Bundespräsidenten ausgefertigt werden. Dieses Vorhaben ist jedoch – bekanntlich – durch eine von 40 Professoren unterstützte Verfassungsbeschwerde (zunächst) bis zur Entscheidung in der Hauptsache blockiert worden. In der Folgezeit zeigte sich in bezeichnender Weise, welchen Respekt EU-Institutionen und andere Politakteure dem Bundesverfassungsgericht zollen.
Anstatt die BVerfG-Entscheidung abzuwarten, wurden diverse Initiativen gestartet, um das höchste deutsche Gericht politisch und medial unter Druck zu setzen. So warnte die deutsche EZB-Direktorin Schnabel vor einer „wirtschaftlichen Katastrophe“, die sich aus einer verzögerten Auszahlung der Gelder an die Mitgliedsländer ergeben würde. Klaus Regling, der ebenfalls deutsche Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), kündigte offiziell an, dass die ersten Auszahlungen in diesem Sommer erfolgen werden. Die anstehende Prüfung der Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht nannte er „ein Element der Unsicherheit“.
Die EU-Kommission hatte zur Vermeidung verfassungsrechtlicher Bedenken den Artikel 122 der EU-Verträge zur Grundlage erklärt, um den „Wiederaufbaufonds“ mit dem offiziellen Namen „Next Generation EU“ als zeitlich begrenzte und einmalige Angelegenheit auszuflaggen. Dass es sich hierbei lediglich um eine rabulistische Schutzbehauptung handelt, hatte schon vor Monaten der deutsche Finanzminister mit seiner Erklärung erkennen lassen, dass die gemeinsame Schuldenaufnahme zum dauerhaften Instrumentarium gehören solle.
Von der Bundeskanzlerin war zu diesem äußerst heiklen Thema bis heute kein Dementi zu hören. Dagegen wurde die politische Steilvorlage des Finanzministers von den europäischen Schuldenländern dankend aufgegriffen, für die sich aus dem indirekten Zugriff auf deutsche Steuergelder und der Verschiebung von Haftungsrisiken völlig neue finanzielle Gestaltungsspielräume zulasten Dritter eröffnen würden. Abzuwarten ist, ob und wie konsequent das Bundesverfassungsgericht als „Hüter des Grundgesetzes“ seine Unabhängigkeit gegenüber durchsichtigen Drohungen und Weltuntergangs-Szenarien aus dem interessierten In- und Ausland zu wahren gedenkt.
Die kalte Enteignung des Sparers
Das eingangs erwähnte Frühjahrsgutachten prognostiziert für 2021 einen Anstieg der Verbraucherpreise um 2,4 Prozent. Damit würde das von der eigentlich der Preisstabilität verpflichteten EZB vorgegebene Inflationsziel von „rund 2 Prozent“ erstmals deutlich überschritten. Die deutschen Sparer haben ihre Guthaben – trotz oder wegen Corona – im vergangenen Jahr auf neue Rekordwerte erhöht. Nach Angaben der Bundesbank sind die Bankeinlagen der Privathaushalte von Januar 2020 bis Januar 2021 um 182 Mrd. auf 1,73 Billionen Euro gestiegen.
Diese Rücklagen-Philosophie scheint auch durch die mittlerweile weit verbreiteten Strafzinsen kaum beeinträchtigt worden zu sein. Derzeit verlangen hierzulande inzwischen 300 Banken und Sparkassen ein sogenanntes „Verwahrentgelt“ von meist 0,5 Prozent, dessen Berechtigung mit den von den Banken an die EZB abzuführenden Einlagezinsen begründet wird. Die Kreditinstitute argumentieren, sie würden diese Kosten nur an ihre Kunden weiterreichen.
Nicht erwähnt wird, dass die EZB inzwischen beachtliche Freibeträge anrechnet. Außerdem: Eine neue Studie kommt zu dem Schluss, dass die Hälfte von insgesamt 22 untersuchten Instituten mit den eingeforderten Strafzinsen per saldo Geld verdient. Aus der Addition von Inflationsrate und Strafzinsen ergibt sich nach Adam Riese ein finanzieller Aderlass um 2,9 Prozent p. a. Mit anderen Worten: Ein Sparer, der seiner Bank 100.000 Euro mit dem Ziel der Kapitalmehrung anvertraut hat, muss nach zehn Jahren eine faktische Enteignung um fast ein Drittel seiner Einlage, also knapp 30.000 Euro, zur Kenntnis nehmen.
Nur am Rande: In normalen Zeiten wird Sparen volkswirtschaftlich als Konsumverzicht definiert, der durch positive Zinsen zu prämieren ist. Die ritualisierte Standardempfehlung der Banken, zur angeblichen Vermeidung von Inflation und Strafzinsen Aktien, ETFs und Fonds zu kaufen, könnte sich spätestens beim nächsten Crash als fatale Scheinalternative erweisen.