Künstliche Intelligenz wird künftig deutlich stärker in die Wertschöpfung von Finanzinstituten integriert – mit weitreichenden Folgen für viele Geschäftsmodelle. Insbesondere die Kundenansprache wird davon profitieren.
In rasantem Tempo werden komplexe KI-Modelle allmählich zum Standardinventar der IT-Infrastruktur vieler Finanzinstitute. Insbesondere in der Betrugserkennung, der internen Wissensstrukturierung sowie der Investmentunterstützung erzielen Pilotprojekte beeindruckende Erfolge. Ein wesentlicher Bereich ist jedoch – abgesehen von den allseits beliebten Chatbots – derzeit noch wenig disruptiv: die aktive und direkte Ansprache von Neu- und Bestandskunden.
Dies könnte sich mit einer neuen Evolutionsstufe der Künstlichen Intelligenz grundlegend ändern, die durch den breiten Einsatz der Generativen KI eingeleitet wird. Durch die rasante Entwicklung dieser KI-Variante können Inhalte, Angebote und Produkte in kürzester Zeit individuell erstellt werden, wenn auch derzeit noch mit einer relativ hohen Fehlerquote. Wie wird sich KI 2.0 mittelfristig auf Banken, deren Kundenkontakt und die zugrundeliegende technische Architektur auswirken? Die sich abzeichnende Symbiose von Generativer KI und Open Banking ist von weitreichender Bedeutung.
Relevante Produkte tangieren Lebenssituation der Kunden
Die Frage, in welcher Lebenssituation sich ein Kunde befindet und welche Angebote ihn dementsprechend ansprechen, beschäftigt Banken seit jeher, denn sie bildet die Grundlage für einen effizienten Vertrieb, insbesondere im Private Banking. Viele Finanzinstitute scheitern derzeit jedoch an der gezielten Ansprache einzelner Kunden. Ein Grund dafür sind die hohen Kosten für den persönlichen, oft zeit- und ressourcenintensiven Kundenkontakt.
Hinzu kommen drastische Einschränkungen bei der Erstellung individueller Angebote. Häufig können Bankberater nur ein bestehendes Produkt wie eine Baufinanzierung oder eine Autofinanzierung an die finanzielle Situation des Kunden anpassen, nicht aber neue Angebote erstellen, die genau auf einen bestimmten Aspekt des täglichen Lebens eines Kunden zugeschnitten sind.
Der Status quo beinhaltet also eine ähnliche Ansprache von Bestands- und Neukunden, die sich primär an einer kleinen Auswahl bereits vorhandener Produkte orientiert, die verkauft werden sollen. Vielversprechender wäre ein umgekehrter Ansatz: Zuerst wird die Lebensrealität des Kunden betrachtet und dann ein Angebot unterbreitet, das auf die Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche in dieser Situation eingeht. Dabei ist die Ansprache von Bestandskunden aufgrund des bestehenden Kontakts in der Regel einfacher als die Ansprache von potenziellen Neukunden, da auch leichter Informationen über die Situation des Kunden gewonnen werden können.
Generative KI ermöglicht vollständige Individualität
Detaillierte Kundenprofile sind in vielen Vertriebsabteilungen der Institute eher die Regel als die Ausnahme. Banken wissen im Prinzip, was ihre Kunden bewegt und in welcher Lebensphase sie sich befinden. Mit generativer KI können auf Basis dieser Datenschätze tatsächlich vollständig individualisierte Angebote erstellt werden.
Perspektivisch könnten Banken nach Zustimmung ihrer Kunden insbesondere im digitalen Direktvertrieb in Echtzeit Produkte generieren lassen, die es so nur für eine Person gibt und die sich neben der finanziellen Situation auch an Hobbys, Interessen und Gewohnheiten des Kunden orientieren. Ähnliche Ansätze sind auch für Versicherer denkbar, die beispielsweise hoch individualisierte Versicherungen für eine bestimmte Haustierart oder mit individueller Finanzierung anbieten könnten.
In einem solchen Szenario sind Kontrollmechanismen, die das Risiko maschinell und in Echtzeit erstellter Angebote managen, unabdingbar. Denn durch den flächendeckenden Einsatz Künstlicher Intelligenz im direkten digitalen Kundenkontakt wird der Sachbearbeiter zunächst überflüssig. Je nach Assetklasse, Kredithöhe oder Finanzierungsobjekt wird eine manuelle Prüfung der Angebote regulatorisch notwendig sein. Es ist aber auch denkbar, automatisiert erstellte Angebote in Risikoklassen einzuteilen. So könnten beispielsweise Finanzierungen im Privatkundenbereich bis zu einer Höhe von 10.000 € bis auf wenige Stichproben allein durch eine generative KI erstellt und in Echtzeit abgeschlossen werden.
Open Banking bildet Grundlage für Einblicke in Kundenbedürfnisse
Kernelement des Vertriebs mittels generativer KI sind die für ein intelligentes Modell nutzbaren Daten. Diese werden zu einem großen Teil aus hauseigenen Datenbeständen bestehen, für die der Kunde bereits bei der Kontoeröffnung seine Zustimmung gegeben hat. Aber auch Informationen von anderen Finanzinstituten, Finanzplattformen oder Dienstleistern können helfen, wirklich relevante Produkte durch KI-Modelle generieren zu lassen.
Grundlage für eine in diesem Use Case zwingend erforderliche umfassende Datenbasis ist in jedem Fall die aktive Einwilligung des Kunden, die auch in aktuellen Regulierungsvorhaben im Rahmen von Open Banking zwingend vorgesehen ist. In aktuellen Gesetzesvorschlägen, wie der FIDA, sind bereits Schritte zur Weitergabe von Kundendaten auch an Drittanbieter vorgesehen, die für Finanzinstitute große Chancen für ein besseres Kundenverständnis bieten.
KI 2.0 verändert Vertriebsprozesse – mit möglichen Abhängigkeiten
Die zunehmende Etablierung von Open-Banking-Mechanismen in Verbindung mit den rasanten Fortschritten im Bereich der generativen KI bietet insbesondere im Vertrieb enorme Chancen, da mit maßgeschneiderten Angeboten noch näher an den Kundenbedürfnissen agiert werden kann. Besonderes Augenmerk ist bei der Avisierung solcher Prozesse auf die regulatorisch notwendige Akzeptanz von Produktvorschlägen zu legen. Insgesamt sollten Entscheider jedoch Geschäftsmodelle kontinuierlich überprüfen und KI 2.0 in ihre Prozesse technisch einplanen.