In komplexen Projekten ist oft unklar, wie es „wirklich“ um das Vorhaben steht. Das Reporting muss daher auch für die informelle Kommunikation geöffnet werden. Sponsoren und Entscheider sind hierbei ebenso in der Pflicht wie Projekt- und Programmleitung.
In Projekten kommen regelmäßig standardisierte Projektmanagement-Instrumente zum Einsatz. Zentrales Element ist dabei ein Status-Reporting auf verschiedenen Aggregationsebenen, meist mit vermeintlich Top-Management-tauglichen „Ampeln“. Dabei gilt der alte Erfahrungssatz, dass die Zahl der gelben oder gar roten Ampeln mit hierarchischer Position der Berichtsempfänger streng gegen Null geht.
Hört man sich informell im Projekt oder im Projektumfeld um, so entsteht oft ein deutlich abweichendes Bild. Zunächst ist zu klären, ob es sich bei solchen Meinungsäußerungen um falsche bzw. uninformierte Eindrücke oder auch simple Ablehnung des Projektes handelt. Zumeist bleibt danach eine Einschätzung, der aus vielerlei Gründen hohes Gewicht beigemessen werden sollte.
Projektmanagementinstrumente zumeist auf formale Steuerung ausgelegt
Bei großen Projekten ist der Einsatz formalisierter Instrumente zur Projektsteuerung zwingend erforderlich, um die Komplexität wirksam zu steuern. Die Standards stellen sicher, dass Risiken, Fortschritte und Status in konsistenter Form berichtet, Zwischen- und Endergebnisse abgenommen und Veränderungen in Projektinhalten, Ressourceneinsatz und Anforderungen nachvollziehbar entschieden und dokumentiert werden.
Praktisch alle größeren Projekte haben Auswirkungen auf IT, Organisationsstrukturen, Prozesse und Mitarbeiter, so dass zahlreiche externe Vorgaben zu beachten sind – zunehmend werden auch projektbegleitende Revisionsprüfungen üblich. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Projektbeteiligten das Projekt und auch sich persönlich in verschiedene Richtungen „absichern“ wollen und müssen – Stichwort „Melden macht frei“.
In einem latenten Zielkonflikt dazu steht allerdings die Erwartungshaltung der Sponsoren und Entscheidungsträger an das Projekt. Die starke Präferenz, fertige Lösungen zur Kenntnis zu nehmen, statt sich mit Problemen auseinanderzusetzen, ist dabei als normale menschliche Konfliktvermeidungspräferenz allen Management-Ebenen gemeinsam.
Gängige Projektmanagementverfahren bieten zur „Lösung“ dieses Zielkonfliktes eine Vielzahl von Möglichkeiten, angefangen von vage formulierten Projektaufträgen über die Definition nur eingeschränkt realitätsnaher Projektprämissen bis zur Erstellung umfangreicher Kataloge von Projektrisiken, die stets formal korrekt berichtet, aber nicht unbedingt materiell angegangen werden. Ergebnis einer solchen Projektkultur ist die leider häufig gemachte Beobachtung, dass negative Entwicklungen weitgehend innerhalb der Projektorganisation abgefangen werden, um „nach außen“, wenn irgend möglich, nur grüne Ampeln zu berichten. Die große Gefahr dabei ist, dass echte Risiken und Probleme durch Scheinlösungen verdeckt werden.
Das Ziel, den Entscheidungsträgern Lösungen statt Probleme vorzustellen, ist dabei natürlich im Grundsatz richtig. Die Praxis zeigt allerdings allzu häufig eine fehlende Konfliktkultur, wenn etwa durch Impulse von außerhalb des Projektes Veränderungen im Scope oder in der Ressourcenausstattung entstehen, ohne dass diese im Projekt angemessen reflektiert werden. Grüne Ampeln z.B. nach Budgetkürzungen sollten immer misstrauisch machen, auch wenn sie vermutlich formal korrekt gestellt und plausibel begründet sind – vielleicht ist ja „klammheimlich“ der Projektscope reduziert worden, ohne dies klar zu kommunizieren…
Kindermund tut Wahrheit kund
Abseits des formalen Projekt-Reportings findet vielfältige Kommunikation statt – innerhalb des Projektes, über das Projekt, aber auch zwischen Projektbeteiligten und Außenstehenden. Eine gut aufgestellte Projektkommunikation stellt dafür Instrumente und Inhalte bereit, kann aber deren Nutzung nicht vollständig steuern. Die informelle Kommunikation führt ein „Eigenleben“.
Der Reifegrad der Projektkultur und auch des Projektmanagements lässt sich nun recht gut daran festmachen, wie „das Projekt“ mit dieser informellen Kommunikation umgeht.
Binsenweisheit sollte zunächst sein, dass jede negative Kommunikation dem Projekt schadet, auch wenn sie sachlich unzutreffend sein sollte. Durch Einsatz geeigneter Instrumente muss die Projektkommunikation falsche Aussagen richtigstellen.
Allerdings bezieht sich die informelle Kommunikation nur selten auf konkrete Sachverhalte: meist handelt es sich um Stimmungen und Meinungen aus dem und über das Projekt.
Zur Analyse der informellen Kommunikation ist daher zunächst die Bereinigung um taktische Elemente erforderlich, etwa bewusst ausgesendete Signale von Gegnern des Projektes. Eines der einfachsten Instrumente zur Bereinigung ist die Beobachtung der Kommunikation auf Mitarbeiter- statt auf Managementebene: je weiter die Kommunizierenden vom Projekt entfernt sind, desto unkonkreter, aber auch desto authentischer ist der Inhalt. Eine Befragung scheinbar „Unbeteiligter“, also um im Bild zu bleiben der „Kinder“, ist daher oftmals angezeigt.
Wenn also eine nennenswerte Stimmung im Haus besagt, das Projekt laufe schlecht, aber alle Ampeln auf Grün stehen, sind die Projektverantwortlichen gefordert: Entweder die Projektkommunikation erfüllt ihren Zweck nicht und muss verbessert werden, oder aber das Projekt läuft wirklich anders als die Statusampeln suggerieren und sollte auf den Prüfstand gestellt werden. Vermutlich ist beides zugleich der Fall.
Aber der Kaiser ist ja nackt!
Gerade bei langlaufenden Projekten ist die ständige Veränderung von Projektscope und Projektorganisation der Normalfall. Jeder einzelne Change Request ist dabei meist gut begründet und führt zu einer Stabilisierung oder Verbesserung des Projektstatus. So bleibt das Projekt stets mehr oder weniger „grün“.
Dabei wäre es oft hilfreich, den Blick zurück auf die ursprünglich an das Projekt gerichtete Erwartungshaltung zu richten:
- Ist der ursprüngliche Projektauftrag unverändert relevant?
- Werden die ursprünglichen Projektziele vollständig erreicht?
- Sind die formulierten Annahmen und Prämissen (noch) haltbar?
Um im Bild des Märchens zu bleiben: alle Höflinge sind zufrieden, aber in Wirklichkeit hat der Kaiser jetzt gar keine Kleider mehr an…
Ein solcher Blick mag wehtun, hilft aber bei der Kalibrierung des Erreichten. Das Ergebnis wiederum kann die bewusste Akzeptanz der stattgefundenen Veränderungen sein – es empfiehlt sich dazu eine geeignete Kommunikation! –, aber auch der Druck auf den „Reset-Knopf“ und eine Anpassung bis hin zum Neuaufsatz des Projektes kann die richtige Entscheidung sein.
Praxisbeispiel: Migration auf Standardsystem
In einem großen Projekt sollte das Gesamtgeschäft einer Bank auf eine Standardanwendung migriert werden. Auf Basis einer Grobanalyse wurde die Abbildbarkeit des Geschäfts festgestellt. Im Verlauf des Projektes wurde aber deutlich, dass nicht nur das Projekt insgesamt deutlich aufwändiger wurde als geplant, sondern vor allem auch zahlreiche „komplexe“ Funktionalitäten der Altsysteme in Zielsystem nicht, nicht zeitgerecht oder nicht zu vertretbaren Kosten abbildbar waren.
Die im Rahmen wohl definierter Prozesse beschlossenen Veränderungen im Projektscope haben dazu geführt, dass zwar die Projektampeln auf Grün blieben, aber wesentliche originäre Projektziele, namentlich die vollständige Ablösung von Altsystemen, verfehlt wurden. Zwar war diese Konsequenz für alle Beteiligten auf der operativen Projektebene bereits sehr frühzeitig absehbar, aber der „politische“ Zwang zu Erfolgsmeldungen und grünen Ampeln hatte eine fundierte Bewertung verhindert. Im Ergebnis war das Projekt in weiten Teilen des Hauses äußerst schlecht angesehen, und die Fluktuation bei den Projektmitarbeitern lag auf projektschädigend hohem Niveau.
Damit ist keineswegs impliziert, dass bei unvoreingenommener Bewertung irgendwelche Projektentscheidungen anders gefallen wären – aber eine offene Auseinandersetzung mit den neuen Erkenntnissen hätte zumindest die Stimmung im Projekt und damit die Akzeptanz und Umsetzung der Projektergebnisse erheblich verbessert.
Dem Volk stärker aufs Maul schauen
Die Nutzung der informellen Projektkommunikation setzt zunächst die Einsicht voraus, dass Kommunikation immer in zwei Richtungen stattfindet. Neben dem „Sendemodus“ sind also auch „Empfangsantennen“ erforderlich.
Die dazu erforderlichen Instrumente sind hinreichend bekannt und zumeist einfacher Natur. So sollte etwa die Frage nach der „Stimmung im Projekt“ ständiger Agendapunkt in allen Gremien sein – die Antworten sollten nicht überinterpretiert, aber ernst genommen und auf materiellen Gehalt geprüft werden. Road Shows und Town Hall Meetings mit Market Place-Plattformen, Diskussionsforen etc. können als etablierte Instrumente genutzt werden, systematische Multiplikatorenkonzepte zur Einbindung von Meinungsführern implementiert werden. So können außerdem auch nach Abschluss der Konzeption die fachlichen Anforderungen mit Endnutzern verprobt und wertvolle Hinweise zur Detail-Ausgestaltung gewonnen werden.
Um die Vollständigkeit im „Nachrichtenempfang“ zu sichern, sollte das Projektmanagement zudem gezielt weitere Stakeholder und Informationssammelstellen in die laufende bidirektionale Kommunikation einbeziehen. Exemplarisch sei eine gut aufgestellte Inhouse-Unternehmenskommunikation genannt, oder noch einfacher die in der Regel gut informierten Mitglieder des Betriebs- bzw. Personalrats – und zwar außerhalb der oft „politisch“ dominierten formalen Mitbestimmung. Und selbstverständlich benötigt die Projektleitung die Unterstützung der dem Projekt zugeordneten Entscheidungsträger, Sponsoren und Portfolio- bzw. Programmmanager.
Die Herausforderung sind also nicht die Kommunikationsinstrumente, sondern die Bereitschaft und der Wille, bewusst auch nach „negativen“ Meinungen Ausschau zu halten – nicht, um das Projekt „herunterzuziehen“, sondern um Kritik in positive Impulse zu verwandeln und damit zugleich Glaubwürdigkeit und Projekterfolg zu steigern.
Fazit: Wertvolle Impulse durch informelle Kommunikation
Die weit verbreitete Reduzierung der Projektkommunikation auf das Senden von „harten“ Informationen zu Status und Ergebnissen verschenkt die Chance, durch das systematische Sammeln „weicher“ Feedbacks wertvolle Impulse für das Projekt zu gewinnen.
Und selbst wenn diese Impulse nicht zu geänderten Projektentscheidungen führen, so geben sie dem Projekt zumindest die Möglichkeit, die Erwartungen der späteren Nutzer an das Projektergebnis frühzeitig kennenzulernen. Change-Management beginnt dann nicht erst mit der Vorlage der Projektergebnisse, sondern bereits deutlich vorher – die Umsetzung gelingt schneller. Und Projekterfolg entsteht bekanntlich nicht durch Abnahme der Ergebnisse durch die Gremien, sondern durch die tatsächliche Umsetzung durch die Nutzer und die Betroffenen.