Dass Investoren Unternehmen anhalten nicht nur finanzielle sondern auch ökologische und soziale Aspekte zu berücksichtigen entwickelt sich zu einem globalen Phänomen. Dabei setzen sie vermehrt auf künstliche Intelligenz, um Betriebe unter die Lupe zu nehmen.
Wir schreiben das Jahr 1866. Das größte Schiff seiner Zeit – die SS Great Eastern – läuft in Neufundland mit einer einzigartigen Fracht in den Hafen ein: dem ersten funktionsfähigen Transatlantikkabel. Das Projekt, welches von Wollehändlern in England finanziert und angetrieben wurde, wird die Welt für immer verändern. Fortan konnte man eine Nachricht innerhalb Stunden über den Atlantik nach Amerika schicken, anstatt der üblichen 10-Tage Reise mit dem Boot.
So wie das Transatlantikkabel im 19. Jahrhundert die Art und Weise veränderte, in der Informationen für den Handel verwendet werden, so verändert Künstliche Intelligenz (KI) die Kapitalmärkte heute. Von Backoffice-Verfahren bis hin zu Frontoffice-Entscheidungen wird KI zum bevorzugten Instrument, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Erfolg in der Zukunft kann nur dann gewährleistet werden, wenn Risiken erkannt und kontrolliert werden. Firmen, die langfristig nicht in KI investieren, werden jedoch zurückfallen und auf Dauer nicht wettbewerbsfähig bleiben.
Künstliche Intelligenz trifft Investment Entscheidungen
Die Finanzbranche hat schon immer neue Technologien begrüßt, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen: Sei es das Transatlantikkabel, die ersten Computer und Automatisierung – oder jetzt KI. Der Vorteil von KI kann grob zusammengefasst werden als die effiziente Verarbeitung von etlichen Daten in kürzester Zeit um gezielt Entscheidungen zu treffen. Von 2016 bis 2018 ist die Zahl der KI getriebenen Fonds um 77 Prozent gestiegen und hat über die letzten drei Jahre traditionelle Fonds durchschnittlich um 3 Prozent übertroffen (Friedman, 2019). In der Zukunft werden diese Modelle immer besser und die Kluft zwischen KI Fonds und traditionellen Fonds wird immer weiter auseinander gehen. Um mitzuhalten muss in KI Expertise investiert werden.
Ein Start-Up, das zurzeit den Markt aufmischt und bereits Investitionen von Allianz, Land Hessen, Commerz Real und DWS gewonnen hat, ist Arabesque. Arabesque hat über die letzten Jahre eine einzigartige Lösung entwickelt: den „AI Engine“, ein Netzwerk aus 750 Millionen Verbindungen und Tausenden von KI Modellen, der täglich Wertpapiere und Aktienkurse sowie die Nachhaltigkeit von Unternehmen analysiert und Prognosen für deren Kursentwicklung trifft. Dabei nutzt Arabesque neueste Cloud-Computing Technologie, ohne die eine einzige Simulation über 700 Jahre brauchen würde.
Eine Branche im Wandel: Socially Responsible Investing
Die Finanzbranche wird nicht nur von neuen Technologien und Start-Up Unternehmen wie Arabesque aufgemischt, sondern steht auch unter enormem Druck der Gesellschaft insgesamt. Wachsende Besorgnis über die Zukunft der Umwelt, die Gier von Unternehmen und wachsende Ungleichheit haben zu anhaltendem Zuwachs in SRI (Socially Responsible Investing) geführt. Gegenwärtig umfassen knapp 50 Prozent aller von den 400 führenden Vermögensverwaltern verwalteten Vermögenswerte irgendeine Form der ESG-Integration (Environment, Social und Governance) (J.P. Morgan Asset Management, 2019).
Gleichzeitig verzeichnen die Ströme in nachhaltige Fonds ein beispielloses Wachstum, da Anleger versuchen, Risiken abzusichern und steigende Kundennachfrage zu befriedigen. ESG hat sich mittlerweile zum heißesten Thema in der Investmentbranche entwickelt. Der iShares ESG MSCI USA ETF hat diesen Sommer etwa 900USD Investment verzeichnet, ein Zuwachs von gut 400 Prozent, primär wegen Investitionen von Ilmarinen, Finnlands größtem Rentenfonds (Morningstar, 2019). Und der Fonds ist nicht der einzige; in den ersten drei Quartalen 2019 flossen je 4 Millionen USD in nachhaltige Fonds. Während sich der Fokus zunächst auf die Exklusion von Unternehmen mit schlechten Werten zu ESG Kriterien richtete, so hat verantwortliches Investieren mittlerweile auf allen Investitionsebenen Fuß gefasst.
Nicht nur Fonds verzeichnen einen positiven Trend mit Hinblick auf ESG, sondern auch andere Anlageklassen. Die Bundesregierung wird nächstes Jahr „Green Bonds“ einführen, die gleichzeitig auch den Drang auf Deutsche Wertpapiere bedienen sollen. Green Bonds bieten die aktuell populärste Form von umweltfreundlichen Finanzierungsinstrumenten, innerhalb der Wertpapiere aber ein relativ junges Instrument. Der erste Green Bond wurde 2007 durch die Europäische Investitionsbank (EIB) emittiert. In 2017 hat Frankreich als erstes Europäisches Land Ökobonds eingeführt mit einer Laufzeit von 22 Jahren. Die starke Nachfrage hat die Emissionsrendite von 1.75 Prozent auf 0.525 Prozent reduziert. Auch Polen, die Niederlande und Belgien haben bereits ähnliche Wertpapiere emittiert (Financial Times, 2019; Reuters, 2017).
Zur gleichen Zeit mehrt sich der wissenschaftliche Konsensus, dass die Integration nicht-finanzieller Kriterien wie ESG Metriken, die traditionell nicht flächendeckend berücksichtigt wurden, zu Outperformance führt. Ein Review der Universität von Oxford in Zusammenarbeit mit Arabesque berichtet, dass in 88 Prozent der Studien eine positive Korrelation zwischen ESG Metriken und positiver Kursentwicklung gefunden wurde und 90 Prozent der Studien zeigen eine Reduktion in Kapitalkosten für Unternehmen die nachhaltig wirtschaften auf (Clark, 2015).
Hürden zur flächendeckenden Einführung von ESG
Jedoch verbleiben noch viele Herausforderungen um ESG vollständig in Portfolios zu integrieren, speziell da die veröffentlichten Daten sehr verrauscht sind. ESG Daten werden freiwillig von Unternehmen herausgegeben und sind ohne Kontrollen nicht sehr verlässlich, da wichtige Informationen ausgelassen oder verschönert werden können (Greenwashing). Eine Studie hat ergeben, dass 90 Prozent der negativen ESG Vorfälle nicht in den Firmenberichten verzeichnet wurden (American Council for Captial Formation, 2018).
Ein Team der MIT Sloan Sustainable Initiative hat herausgefunden, dass die Korrelation zwischen Anbietern von ESG Bewertungen gerade mal 0.61 beträgt. Im Vergleich die Korrelation von Standard & Poor und Moody’s liegt bei 0.99. Grund dafür sind neben der Datenqualität vor allem die Abwesenheit von einheitlichen Standards für ESG Berichte und verschiedene Bewertungsmethoden.
Künstliche Intelligenz kann durch den Schleier sehen
KI und Big Data können in diesen Fällen Abhilfe leisten und einen Wettbewerbsvorteil liefern. Die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) lamentiert, dass die Breite der ESG Berichte heute noch nicht die Qualität und Ausmaße hat, die der Markt braucht um Investitionen in nachhaltige Lösungen, Chancen und Businessmodels zu stecken (Task Force on Climate-related Financial Disclosures, 2019). Die TCFD setzt für ihre Studie auf künstliche Intelligenz Methoden wie Natural Language Processing (NLP) um zu analysieren in wie weit Firmenberichte den selbst gesetzten Standards entsprechen.
NLP ist eine Methode, die es erlaubt Text- und Sprachdaten zu erfassen, zu analysieren und zu bewerten. Dies kann in der Form von Berichten, Nachrichten, Artikeln oder Transkripten sein. Damit können die veröffentlichten Daten von Unternehmen verifiziert oder fehlende Metriken erschlossen werden. Und NLP erzielt das in einem Bruchteil der Zeit, die ein Analyst bräuchte. Neueste Sprachmodelle werden immer weiter verbessert und verfeinert (siehe z.B. Googles Sprachmodel BERT schlägt Mensch im Textverständnistest (Medium, 2019)).
Andere KI Algorithmen sind in der Lage riesige Mengen an strukturierten Daten zu verarbeiten, sei dies in der Form von Finanzdaten, Aktienkursen, 10-K Berichten und finden komplizierte Verhältnisse in den Daten. KI kann davon lernen Werte für die Zukunft vorherzusagen. Speziell nicht lineare Modelle wie Neuronale Netze gewinnen immer mehr an Bedeutung und werden schon jetzt in Gesichtserkennungstechnologien, Medizin und Bilderkennung eingesetzt. Diese Netzwerke können Verhältnisse in Millionen von Datenpunkten lernen, die oft über das Wahrnehmungsvermögen des Menschen hinaus gehen.
Jedoch erfordern diese KI-Systeme zum Trainieren große Datenmengen. Wie IBM berichtet wurden 90 Prozent aller gespeicherten Daten in den letzten zwei Jahren erzeugt und 80 Prozent davon sind unstrukturiert, wie etwa Logs, Berichte, Soziale Medien, Audio- und Videodateien – Trend steigend. Der Wettkampf um exklusiven Zugang zu diesen neuen Formen von Daten zu erhalten hat bereits begonnen. Doch Daten alleine sind nur dann hilfreich, wenn man nützliche Informationen extrahieren kann.
Die Zukunft ist jetzt
Mit der Verbreitung von KI und automatisiertem Handel am Kapitalmarkt werden neue Risiken immer offensichtlicher. Computeralgorithmen und KI können zu verzerrten Vermögenspreisen führen. Betrachten Sie den Effekt von Algorithmen, die schlagartig eine Position verlassen aufgrund eines Berichtes in einer Zeitung und dadurch zu Liquiditätsengpässen führen. Solche Flash-Crashs wurden bereits beobachtet (NYSE 2010, Pound Sterling Crash 2016, USDJPY und AUDUSD Crash 2019). Sie spielen im Hochfrequenzbereich eine noch größere Rolle, in dem der Handel vollständig durch Algorithmen ersetzt wurde.
Zwischen 2006 und 2011 wurden 18.520 sogenannte ultraschnelle Black-Swan-Ereignisse mit einer Dauer von weniger als 650ms beobachtet. Solche Versetzungen können in Zukunft häufiger auftreten, während sich die Welt an die neuen Technologien und AI-Algorithmen anpasst und Analysten lernen, dass blind auf künstliche Intelligenz zu setzen nicht besonders intelligent ist.