Führungskräfte sollten in der Kunst der richtigen Verhandlungsführung und Verhandlungstaktik geübt sein. Nicht immer fällt es leicht, Konflikte erfolgreich zu entschärfen…
„Nö!“ sagte Carsten Mendel zu seinem Chef, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Abwicklungsfirma.
Wie jetzt? Nö? Was soll das heißen?
Jochen Stabbing, ein begnadeter Sammler von Ringelsocken und Leuchtfarben-Aficionado war ein vielbeschäftigter Top-Manager und als COO verantwortlich für eines der ambitioniertesten Sparprogramme der Bank.
Jochen hatte einen anstrengenden Vormittag hinter sich. Noch bevor andere ihr zweites Frühstück in der Firmenkantine eingenommen hatten, war er schon sinnstiftend im Sinne eines wahren Cost-Cutters unterwegs und eine wenig ausgelastete Filiale der Bank in der Pampa war nun Geschichte. So ganz nebenbei hatte der COO die Cost-Income-Ratio um ganze 0,00023% verbessert. Das musste ihm erst einmal jemand nachmachen.
Das letzte Meeting des Vormittags
Das letzte Meeting vor dem Mittagessen sollte nun routiniert ablaufen. Ein Termin von einer halben Stunde war angesetzt, Diskussionszeit bereits eingerechnet (aber seitens des Vorstandes bereits für das Überwerfen des Mantels und die Suche nach der Geldbörse schon verplant). Eine Befehlsausgabe sozusagen. Nicht mehr und nicht weniger.
In der Bank pflegte man eine wertschätzende, aber direkte Kommunikation. Auf Vorstandsebene war Meinungsvielfalt allerdings ein ziemlich heikles Thema, auch wenn man die Belegschaft immer wieder zur offenen Meinungsäußerung einlud. Und Widerspruch? Wo gäbe es denn so was?
Und trotzdem saß Herr Mendel, seines Zeichens Geschäftsführer einer Tochterfirma nun vor Jochen Stabbing, blickt ihn grinsend an und sagte: „Nö!“.
War das etwa die „Nein-Strategie“, von der der Vorstand auch schon gehört hatte? In den unteren Sphären des Führungsteams gab es heftige Diskussionen und zum Teil irrationale Verhaltensweisen von Unterläufern, das wusste er. Aber hier, auf Vorstandsebene?
An die Kunden denken
„Lass uns darüber reden.“, lenkte Carsten ein und versuchte das Gespräch mit seinem Chef am Laufen zu halten. „Die Einsparung, die du dir vorstellst, geht an die Substanz meiner Firma und wird die Qualität unserer Dienstleistungen nachhaltig verschlechtern. Denk doch einmal an unsere Kunden.“
Jochen war noch immer wie paralysiert. Seine Beine wippten nervös auf und ab und gaben Einblick in die Auswahl der Ringelsocke des Tages. Ein grelles Gelb folgte auf strahlendes Weiss und ein Neon-Grün, eine Farbkombination, welche jeden Vorschüler vor Neid erblassen lassen würde.
„Unsere Kunden lass doch bitte meine Sorge sein. Du bist ein Abwickler, Carsten. Und aus Kostengründen müssen wir große Teile deiner Belegschaft in ein Billiglohnland verlegen.“
Der Ton wurde schärfer und auf den Schläfen des COO´s zeichneten sich pulsierende Äderchen ab. Er wusste, dass Carsten ein unangenehmer, weil wenig kompromissbereiter Mitarbeiter war. Er hätte ihn feuern sollen, als dieser noch keine wichtigen Allianzen im Haus – vor allem mit dem CEO – hatte knüpfen können.
„Nö!“, kam es wieder von der anderen Seite des Besprechungstisches.
„Doch, wir machen es so wie von mir angeordnet.“ Die sich blau färbenden Äderchen begannen zu tanzen wie zart gezupfte Gitarrensaiten.
Lass uns über Alternativen reden
„Aber das macht doch langfristig nicht wirklich Sinn.“, insistierte Carsten und grinste dabei unschuldig und völlig gelassen in Richtung seines Chefs. „Lass uns über die Alternativen reden.“
„Carsten, ich habe dich nicht zu mir beordert, damit wir über Alternativen diskutieren.“ Die ersten Schweißperlen bildeten sich auf der glatten Stirn des Chefs. Der Blick auf die Uhr tat das übrige, um die Situation weiter eskalieren zu lassen. Es war kurz vor dem Mittagessen!
„Ach weißt du, eigentlich war ich sowieso gerade im Haus…“
„Herr Mendel!“, die Stimmlage des COO´s, die normalerweise ein lieblicher Männeralt war, steigerte sich in für das Ohr gar nicht angenehme Höhen. Das Weglassen des vertraulichen Duzens sorgte für martialische Schärfe im Gespräch. „Wir diskutieren hier nicht herum, sondern sie werden meinen Anweisungen Folge leisten, sonst…!“
„Tja, sonst was?“ Carsten Mendel ließ seine Widerworte wirken. Er hatte sich ein kleines, aber feines Netzwerk im Konzern aufgebaut und nutzte manchen Verbindungen wie ein Puppenspieler die Fäden an Marionetten. Und bis jetzt war Carsten damit immer durchgekommen. Sollte er hier seinen Meister finden?
Ich bin Vorstand!
„Ich bin Vorstand!“, rief Jochen mit sich überschlagender Stimme und für einen kurzen Moment war sein purpurrotes Gaumenzäpfchen zu sehen. Konnte man von der Färbung des Gaumenzäpfchens auf einen erhöhten Blutdruck der betreffenden Person schließen? Wenn ja, dann war Vorsicht angesagt. Mit zittrigen Fingern nestelte er in seinem Portemonnaie und ließ nach kurzer Suche eine aufwendig gedruckte Visitenkarte aufblitzen.
„Vorstand!“ Er hielt das teure Kärtchen wie eine Trophäe vor die Augen seines Mitarbeiters. „Da steht es!“ Und um auch den größten Zweifler ruhig zu stellen, deutete sein bebender Zeigefinger auf den entsprechenden Titel unter seinem Namen. Und noch einmal, mit sehr hoher, fast kreischender Stimme: „Vorstand!“
„Aha. Und jetzt?“
Die nun einsetzende Stille hatte die Wirkung einer reinigenden Katharsis. Carsten dachte an die schöne Geschichte, die er nun im Freundeskreis zu erzählen hatte. Wie er damals einen Vorstand in die Enge getrieben und sich durchgesetzt hatte.
Und Jochen? Jochen dachte an den Rat seines Arztes und dessen dringender Empfehlung, jede unnötige Aufregung zu vermeiden. Außerdem standen die Vertragsverlängerungen vor der Türe, unter anderem auch die von Carsten Mendel.
Schon jetzt wusste der COO, wie er sich da positionieren würde!
„Lass uns darüber reden!“