Führungskräfte von morgen erwerben ihre Führungskompetenzen bereits im Studium. Daher sollte die Führungskräfteentwicklung bereit hier ansetzen. Das ist möglich und sinnvoll, auch wenn die Studierenden über kaum Führungserfahrung oder Führungsverantwortung verfügen.
Im Studium werden die Führungskräfte von morgen ausgebildet. Der Fokus wandert zunehmend von der Wissens- zur Kompetenzvermittlung. Soft Skills wie Präsentation, Kommunikation oder Selbstorganisation werden vermittelt, das Thema Führung selbst kommt jedoch in den meisten Studiengängen zu kurz. In anderen Ländern, beispielsweise in den USA, ist es dagegen üblich, dass Führung in Form von Student Leadership Programmen bereits an der Hochschule unterrichtet wird.
Dies hat zwei Gründe, die auch hierzulande relevant sind:
- Zum einen hilft eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Führung Studierenden dabei zu entscheiden, ob sie eine Führungskarriere anstreben wollen.
- Zum anderen gilt auch in Sachen Führung: Früh übt sich.
Warum sich Studierende mit dem Thema Führung auseinandersetzen sollten
Bereits im Studium die eigene Führungsmotivation zu hinterfragen, ist sinnvoll. Viele Hochschulabsolventen bewerben sich für Trainee-Programme, und diese zielen in der Regel auf eine Führungskarriere ab. Weiß man jedoch schon, dass eine solche Karriere nicht den eigenen Neigungen entspricht, kann man sich anders orientieren.
Die Führungsidentität entwickelt sich sehr früh, bereits in Kindesalter. Die zugehörigen Fertigkeiten können und sollten entsprechend früh geschult werden. Hierzu bieten sich an der Hochschule und im Rahmen von Freizeitaktivitäten parallel zum Studium zahlreichen Möglichkeiten.
Führungsprogramme für Studierende?
Programme zur Entwicklung von Führungskräften gibt es zahlreiche. In den meisten großen Konzernen stellen sie einen festen Bestandteil des Laufbahnkonzepts dar. Jedoch lassen sich derartige Programme, das liegt auf der Hand, nicht auf Studierende anwenden. Diese haben in den wenigsten Fällen bereits Führungserfahrung und werden auch in der unmittelbaren Zukunft keine übernehmen. Was also sollte wie vermittelt werden?
Susan R. Komnives von der University of Maryland in College Park, USA, und Paul J. Dugan von der Loyola Universität in Chicago, USA, haben Theorien, Forschungsbefunde und Best Practices zusammengetragen, auf deren Basis Lothar Bildat von der Nordakademie in Elmshorn Vorschläge für ein Student Leadership Programm entwickelt hat. Diese Vorschläge haben wir an der University of Applied Sciences Europe aufgegriffen und ein Programm für unsere Studierenden entwickelt. Dieses besteht aus verschiedenen Bausteinen.
Ein (Selbst-)Verständnis von Führung schaffen
Zunächst gilt es zu reflektieren, was Führung überhaupt bedeutet. Viele junge Menschen haben ein Verständnis von Führung als Positionsmacht. Jedoch ist das per definitionem schon nicht Führung. Führung lässt sich nämlich definieren als bewusste und zielgerichtete Einflussnahme auf Menschen; eine bestimmte Position ist nicht erforderlich. Ein Verständnis von Führung als Positionsmacht spiegelt auch nicht mehr die aktuellen Entwicklungen der Arbeitswelt wider. Zunehmend wird in agilen oder selbstgeführten Teams gearbeitet, und Konzepte wie geteilte oder dienende Führung gewinnen an Bedeutung.
Dieses Verständnis gilt es zu entwickeln, und hierfür verwenden wir im Rahmen eines zweitägigen Seminars eine Mischung aus Literatur bzw. Input, Reflexion und Diskussion über verschiedene Konzepte von Führung und herausragende Leader im positiven und im negativen Sinne. Auch die eigenen Erfahrungen mit Führung werden reflektiert, angefangen bei den frühen Vorbildern, welche Kinder häufig bereits haben.
Parallel dazu werden Verhaltensweisen in Rollenspielen erprobt. Diese vermitteln einen ersten Eindruck vom eigenen Stil und der eigenen Herangehensweise, und es wird sehr schnell deutlich, dass verschiedene Menschen die gleiche Situation sehr unterschiedlich angehen. Diese Rollenspiele werden unterstützt durch Informationen und Reflexion zu verschiedenen Stilen und Verhaltensweisen von Führungskräften.
Im Anschluss an das Seminar gilt es, im Rahmen des Studiums Erfahrungen zu sammeln und Feedback einzuholen, beispielsweise bei Projektarbeiten. Das gleiche sollte auch im Privaten erfolgen, beispielsweise in Vereinen. Hierzu setzen sich die Studierenden konkrete Ziele.
Führung bringt Verantwortung mit sich
Eine Führungskraft ist verantwortlich für Geschäftsergebnisse sowie dafür, dass eine Organisation verantwortungsbewusst und nachhaltig arbeitet. Sie trägt auch eine Mitverantwortung für Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter. Dem gegenüber steht destruktive Führung, also Verhaltensweisen, die sich entweder auf die Organisation oder auf die Mitarbeiter oder auf beide negativ auswirken. Destruktive Führung in Bezug auf die Organisation kann sich beispielsweise im Verfolgen eigener, dem Unternehmen zuwiderlaufender Ziele äußern, beispielsweise durch Bestechlichkeit oder Manipulationen. Destruktive Führung in Bezug auf Mitarbeiter kann sich in Herabsetzung, Demütigung oder Einschüchterung der Mitarbeiter äußern. All das fängt häufig sehr klein an. Um Anzeichen destruktiver Führung früh zu erkennen ist es wichtig, dass Führungskraft und Mitarbeiter für das Thema sensibilisiert werden.
Dieses Thema wird im Programm ebenfalls adressiert durch Input zum Thema destruktive Führung und ihre Folgen. Im Anschluss werden in Gruppenarbeiten mögliche Ausgangsbedingungen und erste Anzeichen destruktiver Führung sowie Vorkehrungen gegen ihr Auftreten erarbeitet. Erfahrungsgemäß sind viele Teilnehmer an dieser Stelle überrascht und hätten hinter diesem Thema nicht so viel erwartet. Dies spricht für einen blinden Fleck, der unbedingt angesprochen werden sollte, insbesondere vor dem Hintergrund von Affären wie „Dieselgate“.
Die Führung von morgen sieht anders aus als die von heute
Wie bereits beschrieben, ändern sich die Anforderungen an Führungskräfte vor dem Hintergrund der neuen Formen des Zusammenarbeitens. Agiles Arbeiten, selbstgeführte Teams sowie geteilte und dienende Führung wurden bereits genannt. Zunehmend jedoch wird auch in interkulturellen und virtuellen Teams gearbeitet, und das Führen dieser Teams erfordert wiederum ein anderes Set von Kompetenzen. Führungskräfte werden mehr und mehr zu den Personen, die Sinn und Orientierung vermitteln, die Kommunikation moderieren, ihre Mitarbeiter coachen. Der Umgang mit modernen digitalen Tools wird dabei immer selbstverständlicher.
Auch diese veränderten Kompetenzen werden im Programm mit Hilfe von Input und Reflexion erarbeitet. Das Feedback der Studierenden ergab, dass sie sich dieser sich stark ändernden Bedingungen sehr bewusst sind und dass sie sich gezielt darauf vorbereiten möchten.
Fazit: Führungsidentität sollte früh entwickelt werden
Bereits Studierende haben also eine Führungsidentität entwickelt, und diese differenziert sich im Laufe des Studiums noch weiter aus. Ein gezieltes Programm kann und sollte hier ansetzen und diesen Prozess unterstützen. Damit können die Führungskräfte von morgen bereits früh auf die Herausforderungen einer sich schnell wandelnden Welt vorbereitet werden.
Ein Kommentar
Für die Theorie ist das sehr schön – aber das was eine Schönwetter-Führungskraft und einen echten Leader unterscheidet, das kann man nicht in Schule und Studium lernen.
Die Basis kann gelegt werden, für mehr reicht es aus meiner Sicht nicht – wobei die Charakterbildung, auf die oben refrenziert wird, als Basis wirklich wichtig ist.
Eines ist für mich klar – der klassische Manager hat mehr und mehr ausgedient. Aber ob ein agiles Arbeitsumfeld wirklich Leader in ausreichendem Umfang ausbilden kann, dass wird sich noch zeigen müssen.
Wir beschäftigen uns schon länger mit diesem Thema – eine Lösung haben wir noch nicht gefunden.