Mit dem Libra-Projekt will Facebook sowohl eine private, durch einen Korb harter Währungen gedeckte digitale Währung als auch ein globales Zahlungsnetzwerk schaffen. Doch werden die Europäer beim Bezahlen und Sparen die neue Kryptowährung dem Euro tatsächlich vorziehen?
Facebook hat angekündigt, mit einer privaten Kryptowährung – Libra – in das Finanzdienstleistungsgeschäft zu expandieren. Libra soll von einem Konsortium privater Unternehmen (Libra Association) emittiert und durch einen Korb von Bankeinlagen und kurzfristigen Staatsanleihen in harten Währungen (Libra Reserve) vollständig gedeckt werden, um Wechselkursschwankungen zu minimieren („stable coin“).
Die Libra Association wird das Libra-Regelwerk und -Technologie zentral steuern. Anders als Bitcoin wird das Libra-System auf einer genehmigungspflichtigen (permissioned) und skalierbaren Distributed Ledger Technology laufen.
Libra – ein neuer Wettbewerber im europäischen Zahlungsverkehr
Welche Vorteile könnte es in Europa haben, mit Libra zu bezahlen? Angesichts der Unterstützung durch Facebook und andere Finanz- und Technologieunternehmen mit Millionen von Kunden in Europa wird Libra von Anfang an Netzwerkvorteile bieten können. Das hat das Potenzial, die Verbreitung und tatsächliche Verwendung von Libra voranzutreiben.
Ein weiteres Argument für Libra dürfte vermutlich sein, dass die Kryptowährung bequem zu nutzen sein wird. Zahlungsdienste können in bestehende Facebook-Konten (einschließlich WhatsApp, Messenger und Instagram) eingebunden werden. Trotzdem wird es nicht einfach werden, gegen bewährte Zahlungsinstrumente in einem entwickelten Markt anzutreten, der eine hohe finanzielle Inklusion aufweist, wo Verbraucher kostenlose Transaktionen erwarten und es etablierte digitale Bezahldienste gibt.
Um über attraktive Preise Marktanteile zu gewinnen, will die Libra Association ihr Startkapital in die Nutzerakquise (z.B. Rabatte, Bonuspunkte) investieren. Längerfristig sollen die Zinseinnahmen aus der Libra Reserve die Libra-Transaktionsgebühren quersubventionieren. So könnte der Preiswettbewerb bei den Gebühren, die Händler zahlen müssen, zunehmen. Den Besitzern von Libra werden keine Zinsen auf ihr Geld gezahlt, sodass die Libra Association alle anfallenden Zinsen erhält.
Digital bezahlen: Alles schon da, aber der Markt ist fragmentiert
Libra steigt in einen europäischen Markt ein, in dem die Verbraucher bereits effiziente bargeldlose Instrumente wie Karten (z.B. girocard) und Online- und mobile Zahlungsverfahren (z.B. iDEAL, Swish) nutzen, die hinsichtlich Transaktionsgeschwindigkeit und Zugangskanälen unterschiedlich gestaltet sind. Viele Lösungen decken nur einen nationalen Markt ab, aber es gibt ebenso bequeme grenzübergreifende Services. US-amerikanische Anbieter wie Visa, Mastercard und PayPal bieten Verbrauchern erfolgreich europaweite Zahlungen an der Ladenkasse oder im Internet an. Europäische Anbieter (z.B. SEPA-Banken, TransferWise) konkurrieren ebenfalls um Marktanteile. Der Wettbewerb mit Libra wird vermutlich den Druck auf alle Zahlungsinstitute erhöhen, ihre grenzüberschreitenden Angebote zu verbessern.
Letzten Endes ist das herausragende technische Merkmal von Libra nicht der Geldtransfer, sondern der potenziell riesige Netzwerkeffekt und das Wesen von Libra als Währung, deren Wert gegenüber dem Euro schwanken wird. Werden Europäer mit Libra bezahlen, wenn sie sich damit einem Wechselkursrisiko aussetzen?
Währungswettbewerb im Privatkunden-Bereich: Euro oder Libra?
Im Erfolgsfall würde Libra Verbrauchern die Chance eröffnen, sich ganz leicht vom Euro abzuwenden und ihre Bankeinlagen zu niedrigen Gebühren in eine stabile digitale, nicht inländische Währung umzutauschen. Ein Grund, statt Euro Libra zu halten, wäre selbstverständlich die Rendite.
Auch wenn Besitzer von Libra keine Zinsen erhalten, könnte Libra trotzdem attraktiv sein, falls die EZB die Euro-Zinssätze deutlich unter null senken und die Banken dadurch zwingen würde, Negativzinsen auf die Einlagen ihrer Kunden zu erheben. In Zeiten hoher Inflation könnte die digitale Währung außerdem höhere Preisstabilität bieten und sich so als das bessere Wertaufbewahrungsmittel erweisen.
Machtverlust für EZB und Regierungen
Ein Währungswettbewerb im Privatkunden-Bereich hätte das Potenzial, die geldpolitische Macht der EZB zu beschneiden, ebenso wie die Möglichkeiten der europäischen Regierungen, Gesetze durchzusetzen. Es ist fraglich, ob eine supranationale Währung vollumfänglich europäischen Datenschutz- oder Steuergesetzen unterworfen werden könnte. Die geldpolitische Souveränität und die Kontrolle der Zahlungswege würde zu einem Konsortium privater, überwiegend US-amerikanischer Unternehmen verlagert.
Die Geldpolitik der Fed könnte in Europa jedoch an Einfluss gewinnen. Da die Libra Reserve in „in Währungen von stabilen und angesehenen Zentralbanken“ investiert werden soll, ist die Auswahl begrenzt. USD-Bankeinlagen bringen Zinseinnahmen, Euro- oder Yen-Einlagen nicht. Der große und liquide Markt für US-Staatsanleihen spricht ebenfalls für einen großen USD-Anteil an der zukünftigen Libra Reserve. Je mehr Gewicht dem USD gegeben wird, desto stärker könnte Libra einem digitalen US-Dollar ähneln.
Der Wettbewerb mit privat ausgegebenem Geld könnte die Möglichkeiten von Regierungen beschränken, Zentralbanken zur Finanzierung ihrer Fiskalpolitik zu drängen. Diese stehen derzeit unter (zumindest informellem) Druck, niedrige Zinsen beizubehalten, damit Schulden und Defizite tragbar bleiben („fiskalische Dominanz“). Angesichts eines potenziell stabileren, neuen privaten Wettbewerbers könnten Zentralbanken größere Unabhängigkeit von der Fiskalpolitik erlangen. In diesem Sinne könnte Libra erheblich zu der Vision von Friedrich von Hayek beitragen, Geld zu privatisieren und einen freien Wettbewerb zwischen (privaten) Währungen zu erlauben.
„Global“ bedeutet „US-amerikanisch“
Im Grunde bedeutet Libra derzeit eher „unter Führung der USA“ als „global“. Und China scheint bezeichnenderweise außen vor zu sein. China verweigert US-amerikanischen Internetriesen den Zugang zum chinesischen Markt und hat selbst weltweit führende Anbieter von digitalen Zahlungen hervorgebracht – Alipay und WeChat. Sie sind auf internationalem Expansionskurs und fordern die Vormachtstellung der USA bei internationalen Bankzahlungen und in der Regulierung heraus. Es ist keine Überraschung, dass China als Reaktion auf die Libra-Pläne von Facebook seine Bemühungen vorantreibt, eine „von der Regierung unterstützte digitale Währung“ einzuführen, „um im globalen Wettlauf der Kryptowährungen eine Vorreiterrolle einzunehmen“ (Chinadaily.com, Central bank unveils plan on digital currency, 9. Juli 2019).
Und was ist mit Europa? Libra kann Europäern eine Alternative zum Euro und der dazu gehörenden Geldpolitik sowie eine zusätzliche Zahlungsoption bieten, die gleichermaßen im inländischen und grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr funktioniert. Das wäre eine „Befreiung“ von nationalen Grenzen. Die Kehrseite der Medaille wäre jedoch ein Verlust an Souveränität.
Ein Kommentar
Danke für den gut recherchierten Artikel, endlich wird der Unterschied zwischen einem einfachen digitalen EUR oder USD und Libra genauer beleuchtet und damit die tatsächliche Gefahr für die Notenbanken dargestellt. Libra ist eben nicht nur die digitale Form einer existierenden Währung, sondern eine Art echtzeit-handelbarer Währungskorb, der automatisch gegen Währungsschwankungen absichern kann. Von Hayek wird ja richtigerweise schon erwähnt – auch wenn Libra „totreguliert“ werden sollte, ist die Zeit reiner Notenbankgeldschöpfung hoffentlich bald vorbei und damit auch die „fiskalische Dominanz“. Eine privatwirtschaftliche Geldschöpfung in Konkurrenz zur bestehenden Banken-Giralgelderschaffung wird sicherlich so oder so kommen.