MiFID II – Wertpapiergeschäft in Gefahr

Änderungen zur Förderung der Investmentkultur dringend notwendig

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MiFID II ist ein Lehrbeispiel dafür, dass „gut gemeint“ und „gut gemacht“ häufig im Clinch miteinander liegen. Um weiteren Schaden für das Wertpapiergeschäft zu vermeiden und bürokratische Auswüchse zurückzuschneiden, sind Änderungen dringend notwendig.

MiFID II gefährdet das Wertpapiergeschäft der Banken und Sparkassen

Gefährdet MiFID II das Wertpapiergeschäft der Banken und Sparkassen?

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Die Wertpapierrichtlinie MiFID II alleine auf ihre ärgerlichen und zum Teil destruktiven Komponenten zu reduzieren, wäre sicherlich unfair. In dem mehrtausendseitigen Dokument stecken manche sinnvollen Ansätze, um die Transparenz im Anlagegeschäft zu erhöhen und die Rechte des Kunden zu stärken. Nur: Am Ende zählt eben, was hinten herauskommt. Und wenn eine gesetzgeberische Maßnahme als Anlegerschutz deklariert wird, im Ergebnis aber viele Kunden nachhaltig verärgert und nicht wenige davon abhält, sich überhaupt erst im Wertpapiergeschäft zu engagieren, dann ist die Sache – zurückhaltend formuliert – nicht gerade rund gelaufen.

Realitätscheck nicht bestanden

Allzu überraschend ist das nicht. Hinweise und Warnungen gab es genügend, und schon kurz nach Inkrafttreten der Richtlinie Anfang Januar 2018 mehrten sich dann auch die Zeichen, dass MiFID II den Realitätscheck in Deutschland nicht bestehen würde. Kein Wunder, denn mit MiFID II hatte sich damals im Anlagegeschäft von heute auf morgen eine Menge geändert. Die Dokumentationspflichten der Institute wurden noch einmal erheblich ausgeweitet – und betreffen inzwischen ausnahmslos alle Anleger: kleine wie große; private wie institutionelle; Anleger ohne Erfahrungsschatz und Anleger, die jeden Tag mehrfach ordern.

Besonders pikant und seither vielfach kritisiert: Seit Beginn des Jahres 2018 müssen die Institute nicht nur persönliche Gespräche in der Bankfiliale dokumentieren. Sie müssen zusätzlich auch jedes einzelne Telefonat aufzeichnen, das zu einem Wertpapiergeschäft führen könnte – ob der Kunde dies ablehnt oder nicht, spielt keine Rolle. Insgesamt haben die Aufzeichnungs- und Informationspflichten mit MiFID II ein Niveau erreicht, das jeder Beschreibung spottet und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit mit Füßen tritt.

Keine Frage: Eine Wertpapieranlage ist komplexer und beratungsaufwendiger als der Einkauf an der Käsetheke. Aber ein bürokratisches Großmanöver, das Vorschrift auf Vorschrift stapelt, muss und darf daraus nicht werden. Ist es aber geworden.

Bevormundung der Kunden

Die anfängliche Vermutung, dass MiFID II mit erheblichen Kollateralschäden einhergehen werde, ist inzwischen auch empirisch bestätigt worden. Im Frühjahr 2019 hat die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) in einer Studie die Auswirkungen von MiFID II auf rund 3.000 Kunden und über 150 Banken und Sparkassen in Deutschland untersuchen lassen. Das deprimierende Ergebnis: Viele Kunden fühlen sich durch die Fülle an Informationen überfordert, verunsichert – und teilweise auch bevormundet. Letzteres betrifft gerade die erfahrenen Anleger, die – salopp gesprochen – auch mal in Ruhe gelassen und nicht fünfmal am Tag über Preise und Konditionen unterrichtet werden wollen.

Dass die professionellen Kunden ein anderes Schutzbedürfnis haben als die Kleinsparer, sollte eigentlich einleuchten – die Richtlinie aber schert alle Anleger über einen Kamm. Und dann noch der Ärger mit den Telefonaten: Viele Kunden werten die Aufzeichnungen als Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und haben sich aus dem Telefongeschäft inzwischen zurückgezogen. Die Anzahl telefonisch erteilter Orders ist bei den deutschen Banken und Sparkassen um die Hälfte eingebrochen; drei Viertel aller Kunden möchte am liebsten auf die Telefonaufzeichnung verzichten. Erfreulich, dass das Bundesfinanzministerium die Problematik erkannt und inzwischen bei der Kommission adressiert hat.

Kostspielige Angelegenheit

Die Verärgerung unserer Kunden ist schon schlimm genug. Besonders eklatant aber ist, dass immer mehr Banken dazu übergehen, Wertpapierberatung nur noch in ausgewählten Filialen anzubieten – der starren Regulierung und den steigenden Kosten sei „Dank“. Gerade ältere und weniger mobile Kunden drohen daher vom Wertpapiergeschäft abgeschnitten zu werden. Überhaupt die Kosten: Die Implementierung von MiFID II hat sich als eine überaus teure Angelegenheit erwiesen. So hat die Studie ergeben, dass im Schnitt pro Institut rund 3,7 Millionen Euro Kosten angefallen sind, um die europäischen Regulierungsvorgaben von MiFID II/MiFIR sowie der Verordnung zur Einführung von Basisinformationsblättern (PRIIP-VO) zu erfüllen – die künftigen Ausgaben noch nicht mitgerechnet. Rechnet man das auf die rund 1.600 deutschen Institute hoch, lägen die Gesamtkosten bei bis zu 6 Milliarden Euro. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich bessere und drängendere Aufgaben vorzustellen, in die die Banken das Geld hätten investieren können.

Unbestritten: Anlegerschutz ist eine wichtige und ernste Angelegenheit, die nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wer die Augen davor verschließt, dass es nach Lehman dringenden Handlungsbedarf gegeben hat, leidet ganz allgemein unter Wirklichkeitsflucht. Aber genauso richtig ist: MiFID II in seiner gegenwärtigen Form ist unbefriedigend und sollte daher dringend modifiziert werden; der für 2020 angesetzte Review-Prozess bietet dafür die Gelegenheit. Ganz grob lautet die Forderung: Der Anlegerschutz muss zielgruppengerecht ausgestaltet werden. Bereichsausnahmen für professionelle Anleger, eine stärkere Differenzierung bei Privatkunden, Verzichtsmöglichkeiten statt unbegrenzter Informationsannahmepflicht – Ansatzpunkte gibt es viele. Hoffen wir, dass die Europäische Kommission sich offen für berechtigte Anliegen zeigt.

Die Investmentkultur hierzulande zu stärken und die Kunden dazu zu bringen, sich in Zeiten des Nullzinses stärker in Wertpapieren zu engagieren – dieses Ziel eint Politik und Finanzwirtschaft. In seiner gegenwärtigen Form allerdings läuft MiFID II diesem Ziel diametral entgegen. Das Bundesfinanzministerium will sich nun in Brüssel für die Entschärfung einzelner Vorschriften einsetzen. Richtig so!

Über den Autor

Andreas Krautscheid

Andreas Krautscheid ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken in Berlin. Dort ist er zuständig für die Bereiche Recht und Verbraucherschutz, Steuern, Zentrale Dienste/Personal, Retail Banking, Banktechnologie, Politik und Kommunikation. Zuvor war der Rechtsanwalt für die CDU u.a. Mitglied im Deutschen Bundestag, im Bundesrat und im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Im Kabinett des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers war Krautscheid zunächst Staatssekretär, und von 2007 bis 2010 Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien. Zwischenzeitlich hatte Krautscheid verschiedene Managementpositionen inne, so bei der Readymix AG/RMC plc, der Deutsche Telekom AG sowie der T-Systems International GmbH.

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