Online-Banking und Ratenkredite sind in Industrienationen eine Selbstverständlichkeit. Doch in Entwicklungsländern hat etwa die Hälfte der Menschen keinen Zugang zum Finanzsystem. Mikrofinanz kann helfen.
Jeder soll jederzeit auf gängige Bankdienstleistungen zugreifen können. Doch die Realität sieht düster aus: Rund zwei Milliarden Menschen weltweit können kein Girokonto eröffnen oder einen Kredit bekommen – von Sparen oder Versichern ganz zu schweigen.
In Entwicklungsländern bedeutet dies: Rund die Hälfte aller Haushalte sind vom Finanzsystem abgeschnitten. Den Menschen fehlen Chancen, sich eine Existenz aufzubauen oder ihre Ernten abzusichern, etwa vor Dürren. Altersvorsorge ist da ein geradezu absurder Gedanke.
Vor allem in ländlichen Gegenden fehlt es an der Infrastruktur. Die nächste Bank ist viele Kilometer entfernt, vielfach sind die Angebote auch völlig unbekannt. Verbraucherschutz ist praktisch nicht vorhanden. Um den Zugang zu verlässlichen Leih- und Sparmöglichkeiten zu ermöglichen, müssen die Infrastruktur und stabile Institutionen vor Ort aufgebaut werden. Mikrofinanz ist ein Instrument, um dieses Vorhaben zu realisieren.
Historische Fehler vermeiden
Die Vergabe von Kleinstkrediten reicht nicht aus. Für ein vernünftiges Basisangebot werden Ansprechpartner vor Ort gebraucht, die die Regionen kennen und wissen, was tatsächlich notwendig ist. Darum refinanzieren Mikrofinanzfonds Mikrofinanzinstitute weltweit.
Um Schaden gegenüber Endkunden vor Ort zu vermeiden, haben einige Banken bankspezielle Anlagerichtlinien erarbeitet. Die GLS Bank setzt beispielsweise einen Anlagebeirat ein, der Positiv- und Ausschlusskriterien festlegt und deren Einhaltung überwacht. Die Mikrofinanzinstitute selbst müssen Mindestanforderungen im Kundenschutz erfüllen. Zusätzlich führt das Fondsmanagement Kontrollen zum Sättigungsgrad der Kreditversorgung vor Ort durch. Im Rahmen der Due Diligence überprüft es die Arbeitsweise, Kreditbedingungen, wirtschaftliche Stabilität und Zukunftsfähigkeit der Mikrofinanzinstitute.
Wachstumsmarkt Afrika
Mikrofinanz ist ein Wachstumsmarkt, die Entwicklungen variieren von Region zu Region. Verlässliche Daten gibt es derzeit nicht für alle relevanten Länder. Die bereits großen Märkte in Asien sowie Lateinamerika gelten als stark gesättigt und verzeichnen deutlich schwächere Werte als in vorangegangenen Jahren.
Ein Fokus wird in nächster Zukunft auf Afrika liegen. Durch die aktuellen weltpolitischen Ereignisse ist der Bedarf für den Auf- und Ausbau finanzieller Strukturen dort besonders groß. Neben den politischen Risiken stehen die großen Chancen – vor allem aufgrund des technischen Fortschritts: Kaum jemand auf dem afrikanischen Kontinent besitzt einen Computer oder Festnetzanschluss. Mobiltelefone sind hingegen weit verbreitet. Eine kenianische Mobilfunkfirma startete 2007 ein System für bargeldlosen Zahlungsverkehr. 2014 sprach sie bereits von 14 Millionen Kunden und hatte ihr Angebot auf mehrere Staaten ausgeweitet. Erste Anbieter, die sich auf mobile Kredite und digitale Peer-to-Peer-Angebote spezialisieren, sind bereits auf dem Markt.
Was noch fehlt, sind Institute und Netzwerke, die sich dem Kundenschutz verpflichten fühlen; die sich den Kunden gegenüber verantwortlich fühlen und langjährige Begleitung anstreben.
Technical Assistance
Die Weiterentwicklung der Mikrofinanzangebote läuft auf Hochtouren. Unter dem Stichwort Technical Assistance steht das Ziel, die Arbeit der Mikrofinanzinstitute professioneller aufzustellen. Durch Trainings der Mitarbeitenden, Beratungen, Wissensaustausch oder die Bereitstellung technischer Systeme sollen etwa Prozesse schlanker, schneller und kundenorientierter gestaltet werden können.
Beratung, Sparen, Versicherungen & mehr
Neben den finanziellen Basisdienstleistungen nutzen Kunden in Schwellen- und Entwicklungsländern Mikrokredite für die Finanzierungen unternehmerischer Tätigkeit, landwirtschaftlicher Güter oder für Aus- und Weiterbildung, die Verbesserung der Wohnungssituation oder zur Refinanzierung von Notkrediten aus informellen Quellen. Die Ablösung der horrenden Zinsaufwände erleichtert häufig das tägliche Leben. Im Sinne des Kundenschutzes arbeiten die Mikrofinanzinstitute transparent und bieten Beratungen an: Sie geben detaillierte Tilgungskaten aus und vermitteln Know-how für Geschäftsentwicklungen.
Die Bedeutung zeigt ein Beispiel aus dem Portfolio eines Mikrofinanzfonds: Als Ecuador im Frühjahr 2016 von schweren Erdbeben erschüttert wurde, verloren viele Menschen ihre Häuser, Geschäfte und damit ihre Existenzen. Einen weiteren Kredit für die Reparatur aufzunehmen, kam häufig nicht infrage.
Banco Solidario ist ein Mikrofinanzinstitut in Ecuador. Es bietet auch Versicherungen an – unter anderem gegen Erdbeben. Etwa 9.000 der rund 300.000 Kunden haben diese im Zuge einer Kreditaufnahme bisher abgeschlossen. 2016 zeigte sich, wie wertvoll das sein kann. Rund 80 Prozent der Kunden arbeiten und leben in der betroffenen Erdbebenzone. Die Versicherung griff auch im Todesfall. Hinterbliebene Angehörige konnten den Mikrokredit zurückzahlen und erhielten notwendige Gelder zur Überbrückung der ersten Zeit. Spätestens hier wird deutlich: Mikrofinanz ist weit mehr als die Vergabe von Mikrokrediten.
Der Beitrag erschien ursprünglich als Teil des Jahrbuchs 2017/18 des Ver4einas Finanzplatz Hamburg, dessen Mitglied der Bank Blog ist. Das Jahrbuch können Sie hier herunterladen oder als Hardcopy bestellen.