Applikationen (Apps) machen abhängig. Dieses Phänomen kennen viele Smartphonebesitzer, die regelrecht süchtig nach immer neuen kleinen Icons auf ihrem Touchscreen sind. Man sammelt sie wie früher Briefmarken, man gibt mit ihnen an, man führt sie vor – aber was macht diese digitalen Gimmicks so überaus faszinierend?
Viele Apps sind barer Unsinn oder bestehen einfach nur aus Gags. Simulierte Lichtschwerter, Biergläser oder Furzkissen eignen sich allenfalls für Schülerhumor. Aber es war vielleicht gerade dieses ironische Element, das den Apps von Anfang an eine romantische und rebellische Aura verlieh. Apps entstammen nicht aus der Business-Welt dem bitteren Ernst der Büro-Rationalisierung repräsentieren. Klassische Software ist dazu gemacht, dass Menschen arbeiten und die Produktivität ihrer Firma erhöhen. Sie darf – das wissen Menschen, die tagtäglich mit ihr umgehen – keinen Spaß machen, nicht „verspielt“ sein.
Die Ära der digitalen Demokratisierung
Alle Technologien durchlaufen eine bestimmte Phase des Prototyping und der Elite-Nutzung, bevor sie sich demokratisieren und für alle Menschen benutzbar werden. Man denke an das Automobil, das bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine umständliche Technik für Wohlhabende darstellte und im Wesentlichen von Chauffeuren gefahren wurde. Technologien sind zunächst einmal „Techniken von oben“, bevor ihre Oberflächen, Wirkweisen und Schnittstellen immer mehr den Kundenbedürfnissen angepasst werden. Auf diese Weise entstand die heutige Autokultur, in der so gut wie jedermann ein Auto nutzen und mithilfe von allen möglichen Services betriebsbereit halten kann.
In der digitalen Technologie stecken wir heute im Grunde in einer Adaptionskrise – die Meinung der meisten Kunden über die Benutzbarkeit von Software ist katastrophal. Nutzer fühlen sich überfordert, gedemütigt, abhängig gemacht – und nicht imstande, Kontrolle über die Technologie auszuüben. Vor allem Ältere und nicht computer-affine Menschen können mit Computern wenig anfangen. Das Verhältnis zwischen Usern und Computern hat bislang folgende Phasen durchlaufen:
- Digitalität 1.0: Die Pionierphase, als alle Computer noch kryptische grüne Zeichen trugen und nur Freaks und Programmierer mit ihnen umgehen konnten.
- Digitalität 2.0: Die Zeit der Business-Programm-Pakete und des PCs, als alle Software letztlich der Betriebsrationalisierung diente.
- Digitälität 3.0: Der Boom des Internets, in dem eine kleine Gruppe von „Nerds“ intensiv in sozialen Netzwerken unterwegs war.
Digitale Convenience
Es beginnt mit der Verfügbarkeit. Apps sind meist billig und mit einem simplen Druck auf den Bildschirm gekauft und installiert. Man kann sie testen und sie werden ständig von einer Community beurteilt – das erleichtert den Zugang und die Einordnung.
Dann der Zugang: Die Zeit bis zur Bereitschaft eines App-Programms liegt im Bereich von Sekunden. Man tippt darauf, und die Anwendung reagiert. Mehr als fünf bis sechs Teil-Funktionen und Einstellungsmöglichkeiten sind kaum zu erwarten. Was sich nicht von selbst erklärt, wird schnell ausgesondert oder verbessert. Apps lassen sich auf unser Finger-Kommando so auf dem Bildschirm arrangieren, dass eine kognitive Anordnung entsteht – wir bauen uns einen eigenen Werkzeugkasten, den wir deshalb beherrschen, weil wir als Nutzer die Ordnung herstellen. Auf diese Weise entsteht ein echtes Customizing – wir konfigurieren uns das Gerät individuell nach eigenen Bedürfnissen. Das uralte Versprechen – Banking wird einfach – wird nun endlich eingelöst.
Apps verbinden die digitale und die analoge Welt – die Welt der Zeichen mit der physischen Präsenz. Denn die Smartphones – und immer mehr andere mobile Plattformen wie Navigationsgeräte – verfügen über Sensoren, die einen Aspekt der Räumlichkeit repräsentieren. Kompass und GPS Verorten das Gerät und damit den Benutzer. Das macht „sinnlich-dimensionale“ Anwendungen möglich. Apps machen das Smartphone zum Beispiel zum Sportgerät, das Route, Höhenveränderung und Durchschnittsgeschwindigkeit beim Jogging misst. Sie machen es zum Wegweiser, zur Orientierungshilfe, zum Guide – eine Funktion, die digitaler Technologie bislang abging. Das sogenannte Tracking führt zu einem Gefühl der Kontrolle, das der Computertechnologie bislang fehlte.
Die Apps-Logik vermeidet also den Prothese-Effekt, mit dem viele digitale Anwendungen bislang einhergingen. Ein herkömmliches GPS-System „führte“, machte aber gleichzeitig den Benutzer vollständig abhängig von den Kommandos des Geräts. Apps führen nicht nur, sie orientieren auch. Sie zeigen, erklären, deuten, helfen. Auf diese Weise werden sie „die Linse, durch die wir die Welt besser sehen“ – so die Formulierung des Kommunikationsdesigners Dean Eckles.
Mitte 2009 befragten Meinungsforscher der Firma Gravity Tank in Chicago mehr als 1000 Apps-Nutzer. Etwa die Hälfte von ihnen gab an, dass die Apps ihnen bei der alltäglichen Lebensbewältigung helfen. Ob beim Kalorienzählen in Diäten oder bei der Auswahl von Restaurants, bei der Fertilitätskontrolle, dem Führen von Haushaltskassen und Kontrollieren von Schulden oder beim Kontrollieren der Bewegungen von Haustieren – Apps repräsentieren jene in den Märchen vorkommenden „Little Helpers“, jene dienstbaren Geister, die das Leben strukturieren und konfigurieren.
Augmented Reality
Mit einer Brille (oder anderen Sensoren) verbunden könnte eine App eines Tages eine wirkliche Tiefen-Dimensionalität der Umwelt bringen. Heute schon existieren Vorformen von Augmented-Reality Apps wie Lazar oder Wikitude, die lokale Daten mit Informationen des Internets kombinieren.
Vernetzungs- und Steigerungstools
Integriert in die sozialen Welten der Internet 2.0-Plattformen eignen sich die Apps als Kommunikationsmodule, die Facebook, XING und Co. weitaus mobiler und ortsbezogener machen. Nun kann man seine Freundeskreise auch „im Umkreis orten“. Smartphones werden zur Steuerungsanlage für das komplette Heim. Von der Bedienung des Lichts und der Heizung bis hin zum Video- und Fernsehabspielgerät.
Konsum-on-demand
Auch das Marketing wird die Apps entdecken. Sie eignen sich in ganz anderer Weise als Zugänge zu Marken- und Konsumwelten als die üblichen Popups, Filme oder anderen Werbemethoden im Web. Hier wird „Werbung on Demand“ tatsächlich Wirklichkeit: Wer sich ein Marken-Icon als App installiert, der will dies auch, er wird nicht dazu gezwungen, unfreiwillig Aufmerksamkeitsressourcen zu spenden. Die Utopie des „Prosumers“ wird in der App-World Wirklichkeit. Kunden suchen Zugang zu Märkten und Marken, statt umgekehrt. Pull-Marketing statt Push-Werbung.
Finance – einfach und mobil
Alleine 128 Apps bietet der App-Store meines Vertrauens im Bereich Finance an. Von Mobile Banking, über eine Finanzplanung für unterwegs bis hin zur Finanzberatung mit Kommentaren der Community, nichts fehlt. Sogar die Möglichkeit meine Schecks mit der Smartphone-Kamera zu scannen und elektronisch bei meiner Bank einzureichen ist gegeben. Interessant ist auch, dass nahezu alle Apps mit der Option mobil einzukaufen auch mit einer eigenen Zahlungsfunktion den Banken Konkurrenz machen. Die Briefmarke der Deutschen Post kann unterwegs gekauft werden. Die Zahlung erfolgt über den Mobilfunkfunkanbieter.
Trendprognose: Eine Ikonographie der Zukunft
In den One-Touch-Apps zeigt sich die Entwicklung zur smarten, informellen Technik – sie sind Vorläufer einer digitalen Sensualisierung und Modularisierung und repräsentieren im eigentlichen Sinne smarte Technologie. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass Apps eine Art ästhetisches Grundraster für zukünftige digitale Nutzungen aller Art bilden werden. Ihre knappe und reduzierte Ästhetik lässt sie an die Oberflächen-Ikonographie der modernen Welt anschließen – an die Logos, Warnzeichen und Orientierungs-Symbole, wie sie in einer mobilen Welt entstanden sind. Apps werden über ihre Ursprungsgeräte hinauswachsen und „die Welt bevölkern“. In wenigen Jahren könnten auch komplexe Programmpakete aus Apps zusammengesetzt werden, in sogenannten „Nutzungswolken“, die man nach Bedarf selbst konfiguriert. Selbst Wände oder die Oberflächen von Häusern könnten dann Apps-ähnliche Bedienoberflächen tragen.
Ein Kommentar
Ich freue mich, mit Axel Liebetrau einen weiteren kompetenten Gastautoren für meinen Blog gewonnen zu haben, der bereits in zahlreichen Artikeln und Vorträgen seine Kompetenz zum Thema „Zukunftstrends im Banking“ erfolgreich unter Beweis gestellt hat.