Viele Unternehmen beteuern: Wir sind agil unterwegs! Eigentlich ist ja mittlerweile fast alles agil – Projekte, Abläufe, Werkzeuge, Teams, sogar ganze Organisationen. Aber ist das so? Was genau verbirgt sich hinter der schönen Fassade Agilität? Und wie wird eine traditionelle Organisation wirklich agil?
Im Zeitalter der Digitalisierung entstehen in immer kürzeren Zyklen innovative Produkte und neue Wettbewerber. Geschäftsmodelle werden angepasst, massive Investitionen in Startups werden getätigt, Märkte verändern sich. Aber auch Kunden und Mitarbeiter entwickeln eine andere Haltung zu Unternehmen, stellen immer häufiger Bestehendes in Frage.
Organisationen stehen vor der Herausforderung, sich strukturell dieser Dynamik zu stellen, um auch weiterhin am Markt bestehen zu können. Nicht umsonst herrscht seit einigen Jahren ein regelrechter Hype rund um agile Ansätze und Methoden. Doch es ist nicht alles wirklich agil, was agil erscheint. In der ganzen Euphorie um die ‚Agile Organisation‘ wird gerne noch etwas dazu gepackt, was dort eigentlich gar nicht hingehört.
Ein wilder Methodenmix
Betrachtet man Unternehmen, die sich bereits mitten in der organisatorischen Transformation befinden, etwas genauer, stellt man fest, dass dort nicht nur allein rein agile Methoden zum Einsatz kommen. Vielmehr handelt es ich um einen methodischen Pool aus unterschiedlichen Kontexten, der je nach Unternehmen verschieden aus den folgenden Elementen zusammengesetzt wird:
- Agile,
- Social und
- Innovation.
Agile
Diverse Elemente klassisch agiler Methoden aus Scrum, Kanban oder Lean haben in den agilen Alltag der Beteiligten Einzug gehalten. Sie haben Daily Standups, nutzen Task Boards, es wurden MVPs definiert, regelmäßig werden Zwischenergebnisse demonstriert etc. Diese rein agilen Elemente sind vollkommen zu Recht Kernbestandteil einer ‚Agilen Organisation‘.
Social
Insbesondere in Teams, die nicht an einem Ort – also eigentlich sogar in einem Raum – zusammenarbeiten, sondern als verteiltes Netzwerk, erfolgt der kommunikative wie inhaltliche Austausch wie in anderen Business Communities auch meist über Wikis, Blogs, Feeds, Chats etc. Es wird getaggt, geliked, gerankt und gefollowed. Sofern es sich um größere Crowds handelt, kommen diese auch gerne in BarCamps oder anderen offenen Formaten zusammen. Solche Methoden haben aber recht wenig mit Agilität zu tun. Sie sind vielmehr seit Jahren etablierte Werkzeuge eines Social Enterprise.
Innovation
Ähnlich verhält es sich mit der unglücklichen Einordnung von originären Innovationsmethoden unter dem Agilitätsbegriff. Das beginnt bei klassischer Ideation, geht weiter über Jams, das Analysieren der Customer Experience, deren Einbettung in ein Design Thinking und endet in der Modellierung neuer digitaler Geschäftsmodelle, etwa mit Hilfe des Business Model Canvas oder deren Umsetzung als Lean Startup, gerne inspiriert durch diverse Safaris.
Verwirrung hinsichtlich des Begriffs ‚Agilität‘
Durch diese eigentlich unnötige Vermischung methodischer Kontexte entsteht in Unternehmen nicht selten Verwirrung hinsichtlich des Begriffs ‚Agilität‘. Und Verwirrung führt meist zu Reserviertheit. Das ist sehr schade, denn auch wenn alle diese Methoden eigentlich aus unterschiedlen Kontexten stammen, so bieten sie doch alle das Potenzial, mit der immer komplexer werdenden VUKA-Welt besser umzugehen als mit herkömmlichen Methoden.
Altes ist nicht unbedingt schlecht
Agile Ansätze verfolgen in der organisatorischen Transformation häufig leider einen geradezu absolutistischen Ansatz: Sie setzen eine grundlegende Änderung aller Strukturen, Abläufe und Werte im Unternehmen voraus, ohne einen Weg aufzuzeigen. Und sie negieren die Erfolge der bisherigen Organisation – Zukunft statt Tradition! Wasserfall ist pfui, Retrospektiven sind hui! Dies schürt vollkommen unnötig Widerstände im Unternehmen auf allen Ebenen.
Viele Agile Evangelisten sind der Meinung: Klassische und agile Organisation schließen sich gegenseitig aus. Unternehmen stünden vor der Entscheidung: Entweder – Oder. Mit welcher Konsequenz? Sie scheuen vorerst die Investition in das Ungewisse, das nicht Planbare. Damit erstickt man eine Transformation noch bevor sie richtig begonnen hat.
Nüchtern betrachtet gibt es in jedem Unternehmen Bereiche, die eher agil unterwegs sind oder sein sollten als andere. Es kommt immer auf den operativen Kontext an. Warum alles über einen Kamm scheren? Warum nicht die Koexistenz zum Prinzip erheben? Damit ist nicht gemeint, bimodale Parallelorganisationen aufzubauen, sondern die traditionellen, praxiserprobten und in ihrem Kontext auch erfolgreichen Strukturen anschlussfähig zu machen, damit die Zusammenarbeit zwischen alter und neuer Welt reibungslos funktioniert.
Im Übrigen nutzen die oben erwähnten Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit agilen Methoden gesammelt haben, weiterhin klassische Instrumente wie ein Intranet, sie planen immer noch ihre Projekte, es gibt ein Controlling, sie haben KPIs etc. Alles wie bisher, nur eben anders. Insofern gehört zum Methodenmix aus Agile, Social und Innovation auch weiterhin ‚Classics‘ unbedingt dazu.
Gemeinsame Werte
Egal welchen der drei erstgenannten methodischen Kontexte man auch betrachtet – die allesamt auch ihre eigene Philosophie mitbringen – sie teilen alle eine gemeinsame Wertebasis. Dazu gehört unter anderem eine generelle Offenheit und Transparenz aber auch Leadership und Selbstorganisation in Kombination mit Eigenverantwortung. Diese Erkenntnis eines gemeinsamen Mindsets macht es letztlich einfacher, auch agile Methoden nachhaltig zu etablieren, da man ebenso über die Kontexte Social und Innovation das dafür notwendige Wertverständnis im Unternehmen aufbauen kann. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Mitarbeiter wie Führungskräfte in der Regel für mindestens einen dieser drei Kontexte besonders zugänglich sind. Manchmal macht es mehr Sinn, sich zunächst mit Social-Methoden zu beschäftigen, bevor man sich Agile zuwendet, ein anderes Mal steht Innovation ganz am Anfang. Jedes Unternehmen tickt anders.
Wenn es um den vierten Kontext geht, die Classic-Methoden, so sind diese entsprechend der neuen Wertebasis anzupassen. Das ist in der Regel weniger kompliziert als es zunächst erscheinen mag. Widerstände lassen sich erfahrungsgemäß viel einfacher abbauen, wenn Bestehendes gemeinsam angepasst wird anstatt es schlichtweg zu negieren. Essentiell für die erfolgreiche Transformation ist wie bei jedem anderen Veränderungsvorhaben auch das Einbeziehen aller Stakeholder – sowohl auf Seiten der Führungskräfte als auch seitens der Mitarbeiter sowie deren Vertretungen.
Der Weg ist der Weg
Der Weg zu einer modernen Organisationsform ist nicht vorgezeichnet. Er ist vielmehr als Reise anzusehen, die immer wieder verschiedene Richtungen nehmen kann. Insofern sollte ein explorativer Ansatz mit geschickt platzierten Keimzellen, die nach und nach in die übrige Organisation ausstrahlen, das Mittel der Wahl sein. In Kombination mit einem reflektiven Vorgehen, das geprägt ist von Zyklen, die sensibel das Neue etablieren, kann mittelfristig jede Organisation erfolgreich transformiert werden.
Ob sich eine solche moderne Organisation nun noch Agile Organisation nennt, sei mal dahingestellt. Schließlich werden Methoden aus unterschiedlichen Kontexten gemischt, es kommen nicht nur rein agile Methoden zum Einsatz. In der Praxis hört man sogar immer häufiger die Empfehlung, den Begriff Agile möglichst zu vermeiden. Unternehmen etablieren vielmehr ihre ganz eigene Begrifflichkeit – Multimodale Organisation, Fluide Organisation, Adaptive Organisation, Digitale Organisation o.Ä. Und das ist gut so. Letztlich geht es doch immer um das Gleiche: m eine Organisationsform, die sich schnell und flexibel an ein verändertes Umfeld anpassen kann, weil sie die jeweils angemessenen Methoden aus dem eigenen Pool ad hoc einsetzen kann. Eine solche Organisation ist dabei wesentlich gefestigter als es sogenannte ‚Agile Organisation‘ momentan propagieren.
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