Im Jahr 2021 haben EU-Kommission und -Parlament für Anleger das Tor zur grünen Finanztransformation aufgestoßen. Was erwartet Anleger, die mit ihren Euros die Welt retten sollen – vor allem, da nicht immer „grüne von schwarzen Schafen“ zu unterscheiden sind?
Dank der Regulierungsmaßnahmen von EU-Kommission und -Parlament rund um ihr Sustainable Finance-Programm erleben deutsche Anleger seit einigen Monaten eine Flut an sog. grünen oder nachhaltigen Anlagemöglichkeiten – nach Jahren der grünen Abstinenz deutscher Fonds- und Bankhäuser. Heute wird bereits vor der Tagesschau in der ARD dafür geworben, mit grünem Geld die Welt zu retten. Und in immer mehr Einkaufsstraßen prangt Werbung, in denen Banken und Sparkassen ihre das Klima oder gar die Welt rettenden Anlagen anpreisen. Und der Gesetzgeber hilft nach: Finanzberater werden demnächst gesetzlich gezwungen, Kunden durch Checklisten zu schleusen, mit denen ihnen auf den Zahn gefühlt wird, ob und wie sie mit ihrem Anlagen-Euro die Welt retten möchten.
Für alle grünen Anleger ist die gute Nachricht, dass sie noch nie vor einem so großen Anlagenangebot standen. Aber groteskerweise verwirren sich auch immer mehr Anleger aufgrund der Vielfalt, Komplexität, Unterschiedlichkeit und Neuartigkeit von grünen Geldanlagen durch Werbung, Pseudo-Informationen, kurzatmigen Beratungsempfehlungen und unverständlichen Produktblättern. Problem hierbei: Anleger sind bei der Auswahl der für sie passenden Anlagen meist auf sich allein gestellt. Denn: Finanzvertriebe sind auf Absatz und Provisionen getrimmt, müssen also aus grünen Anlagen den neuen Verkaufsschlager machen. Für die Beratung bleibt daher oftmals nicht viel Zeit, zumal sie bei grünen Produkten für Berater aufwändig und zwiespältig sein kann. Weiteres Problem: Grüne Geldanlagen weisen akademisch betrachtet meistens hohe Informationsasymmetrien auf, d.h. ihre vom Anbieter zugesicherten Eigenschaften werden Anlegern meist erst nach Vertragsabschluss bekannt (= grüne Anlagen als Erfahrungsgüter) – oder gar nicht (= Glaubensgüter).
Wissensasymmetrie wiegt schwerer als Informationsdefizite
Zwei Hauptprobleme tauchen denn auch häufig bei grünen Anlageentscheidungen auf:
Zum einen müssen viele durchschnittliche, nur mit Festzinssparen vertraute grün-affine Anleger erst einmal Finanzprodukte wie ETFs, Investmentfonds, Crowdinvesting, etc. verstehen. Das hat noch gar nichts mit grünem Inhalt zu tun, sondern mit der notwendigen finanziellen Bildung, also das finanzielle Einmaleins.
Liegt solches Wissen bereits vor, dann folgt die Frage nach den eigenen Nachhaltigkeitsschwerpunkten:
- Will man sich mit seinen Euros z.B. der Klimarettung verschreiben oder vielleicht sogar mehreren Nachhaltigkeitszielen?
- Welche sind dann die wichtigsten?
- Sind die Zielsetzungen in sich widerspruchsfrei?
- Bei welchem Fonds oder ETF lassen sich die höchsten Übereinstimmungen mit den eigenen Nachhaltigkeitswünschen finden?
- Wie tolerant ist man gegenüber Abweichungen vom eigenen Nachhaltigkeitsleitbild und einem Fondsinhalt?
- Woher bekommt man die entsprechenden Informationen?
- Versteht man was unter CO2-Rucksack und Impact gemeint ist?
- usw.
Alle, die sich mit grünen Anlagen beschäftigen, werden vor diesen und weiteren Fragen stehen und schnell feststellen, dass für die eigenen Antworten viel Zeit und Nachdenken erforderlich ist, und trotzdem am Ende der Eindruck zurückbleiben kann, dass zwischen eigenem Nachhaltigkeitsanspruch und dem Inhalt eines ETFs oder Fonds immer noch ziemliche Unterschiede bestehen und ob man bereit ist, diese zu (er)tragen.
Schwarze Schafe weiden auch im grünen Anlagenbiotop…
Grüne Geldanlagen gibt es mittlerweile in einer breiten Palette – neben den Nachhaltigkeitsfonds und ETFs immer mehr grüne und soziale Anleihen, Genussrechte, Nachrangdarlehen usw.. Etliche Anleihen kommen von Energieerzeugern – für die meisten Privatanleger sicherlich der Inbegriff grüner Geldanlage. Zudem offerieren solche Anlagen nicht selten für die heutige Zeit „Traumzinssätze“ wie z.B. 5 Prozent und mehr für eine fünfjährige Anlagendauer. Schaut man genauer dahinter wird man feststellen, dass es dafür so gut wie keine zuverlässigen Sicherheiten gibt, der Emittent einer solchen Anleihe oft in verworrenen Beteiligungsstrukturen steckt und technische oder rechtliche Risiken verborgen sind, die ein unkundiger Privatanleger kaum verstehen kann. Unternehmenszusammenbrüche wie die der Prokon AG oder German Pellets haben denn auch gezeigt, dass vor folgendem Eindruck zu warnen ist: grün = finanziell gute Anlage!
Dies gilt im Übrigen für viele sogenannte illiquiden Assets und wenn man kein ordentliches Vermögenspolster hat, mit dem man auch einmal einen Verlust wegstecken kann, sind diese Anlagen mit Vorsicht zu genießen.
… und manchmal auch, obwohl sie äußerlich grün sind
Was die grüne Anlagenwelt aber seit dem Greenwashing-Verdacht gegenüber der Deutsche Bank Tochter DWS seit Monaten viel mehr beschäftigt ist der Zwiespalt zwischen grünem Schein und grünem Sein im Bereich der Investmentfonds. Es geht generell um den Verdacht, dass manche Anbieter oder Produzenten falsche Hoffnungen wecken oder unvollständig über die wahren grünen Merkmale der Anlage informieren. Neben diesen Verfehlungen, die aus dem Finanzmarkt kommen, bergen grüne Anlagen aber auch vergleichbare Gefahren aus der Politik. Wir erleben gerade eine Kontroverse um Atomenergie, die seitens der EU-Kommission als nachhaltig eingestuft werden soll. Möglicherweise wird die sich andeutende Entscheidung der Kommission manchen Deutschen das Interesse am grünen anlegen vergällen.
Fazit: Grüne Geldanlage für erfahrene und gläubige Anleger
Derzeit (und wohl noch länger) abverlangen vor allem gewissenhafte grüne Geldanlageentscheidungen von Privaten viel Zeit, Wissen, Durchhaltevermögen und manchmal eben auch Mut zur Lücke. Wer so etwas als Hobby betreibt, wird sich ausgiebig abarbeiten können an den sichtbaren und versteckten „grünen Kröten“ im grünen Anlagenbiotop. Alle anderen dürfen hoffen – z.B. auf grüne Labels für Finanzprodukte.