ESG ist längst in der Finanzbranche angekommen. Was müssen, sollen und können Kreditinstitute tun, um den gestiegenen Erwartungen der Gesellschaft, Kunden, Mitarbeiter und nicht zuletzt der Aufseher in Bezug auf Nachhaltigkeit gerecht zu werden?
Nachhaltigkeit in der Praxis umzusetzen ist ähnlich wie Regulatorik: Eine vielschichtige, sich ständig weiterentwickelnde und vermutlich auch nie endende (Dauer)Managementaufgabe von Banken und Sparkassen im Rahmen der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells. Kreditinstitute müssen auf Anforderungen und Erwartungen von Gesellschaft, Kunden, Mitarbeiter und nicht zuletzt der Aufsicht angemessen reagieren, um ihnen im Rahmen des Geschäftsmodells bzw. der Geschäfts-, Risiko- und möglicherweise eigenständigen Nachhaltigkeitsstrategie gerecht zu werden.
Handeln aus Einsicht und Verantwortung
Dieses Zitat ist heute insbesondere im Zusammenhang mit dem großen Thema Nachhaltigkeit aktueller denn je. Schon allein der Begriff Nachhaltigkeit kann und wird je nach Betroffenheit, kulturellem Hintergrund usw. unterschiedlich interpretiert. Erschwerend kommt sicherlich hinzu, dass Effekte (z.B. konkrete CO2-Reduktionen) insbesondere auf den Klimawandel sehr langfristig wirken. Deshalb ist beim Nachhaltigkeitsmanagement – wie so oft im Management – der Weg das Ziel, auf den sich immer mehr Banken und Sparkassen machen. Auch wenn im Moment der Fokus sicherlich auf Umweltaspekte gerichtet wird (E), sind natürlich auch soziale Aspekte (S) und Governance-Faktoren (G) zu beachten.
Doch zunächst ein Blick in eine realistische Zukunft in nicht allzu weiter Ferne. Die Karikatur zeigt die Ladenbesitzerin Emma Sieglinde von Grünherz, die dem Kunden auf seine Frage: „Haben Sie auch etwas ohne ESG?“, die entsetzte rhetorische Frage stellt: „In welchem Jahrhundert leben Sie ?!“ Warum? Sie hat ihr Geschäftsmodell, d.h. mit welchen nachhaltigen Produkten sie Geld verdienen möchte, bereits anpasst.
Wichtig: Sie sieht es nicht nur als individuelle Aufgabe (Intrinsische Motivation), sondern als einen Auftrag von Dritten z.B. Kunden, Gesellschaft und Politik sich weiterzuentwickeln. Natürlich zeigt die Grafik auch alle Facetten von Nachhaltigkeit mit all den Zielkonflikten wie beispielsweise den Umgang mit (kontroversen) Waffen und Kernenergie auf. Um nun die Brücke zu Banken und Sparkasse zu schlagen, bringt die Karikatur auch die Finanzierung über einen grünen Kredit ins Spiel (Stichwort: Green Asset Ratio der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive)).
Es ist Zeit für einen weiteren Strategiewandel
Nach diesem Ausflug in eine (mögliche) Zukunft nun wieder zurück in die Gegenwart. Die wohl wichtigsten Fragen lauten in diesem Zusammenhang:
- Was müssen Banken tun?
- Was sollten Banken tun?
- Was können Banken tun?
Was müssen Kreditinstitute tun? – Regulatorische Nachhaltigkeits- und Finanzvorschriften werden immer mehr und konkreter
Während vor einigen Jahren hierzu „nur“ unverbindliche Empfehlungen zu beachten waren (z.B. BaFin Merkblatt), werden die Vorgaben immer verpflichtender: EU-Taxonomieverordnung, EU-Offenlegungsverordnung, MiFid II, EBA-Guidelines und die anstehende 7. MaRisk-Novelle im Jahr 2023 sind hier beispielhaft zu erwähnen. 47mal wurde im Rahmen der Konsultation der 7.MaRisk-Novelle der Begriff ESG-Risiken ergänzt, hier zwei Beispiele:
„ESG-Risiken wirken insofern als Risikotreiber und können sich auf die in Tz. 1 a)-d) (Adressenausfallrisiken, Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken) aufgeführten sowie weitere wesentlichen Risikoarten auswirken. Bei der Beurteilung der Auswirkungen von ESG-Risiken sind verschiedene plausible, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeleitete, Szenarien zugrunde zu legen und ein angemessen langer Zeitraum zu wählen. Diese Beurteilung erfolgt, soweit sinnvoll und möglich, auch quantitativ.“ (Erläuterung zu MaRisk AT 2.2 Risiken)
„Die Geschäftsleiter werden dieser Verantwortung nur gerecht, wenn sie die Risiken, einschließlich ESG-Risiken, beurteilen können und die erforderlichen Maßnahmen zu ihrer Begrenzung treffen.“ (MaRisk AT 3 Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung).
Physische Risiken und Transititonsrisiken
Die BaFin unterteilt in ihrem Merkblatt Nachhaltigkeitsrisiken in den Bereichen Klima und Umwelt in physische Risiken und Transititonsrisiken.
- Physische Risiken ergeben sich sowohl im Hinblick auf einzelne Extremwetterereignisse und deren Folgen (Beispiele: Hitze- und Trockenperioden, Überflutungen, Stürme, Hagel, Waldbrände, Lawinen) als auch in Bezug auf langfristige Veränderungen klimatischer und ökologischer Bedingungen (Beispiele: Niederschlagshäufigkeit und -mengen, Wetterunbeständigkeit)
- Transitionsrisiken bestehen im Zusammenhang mit der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft, z.B. können neue Technologien bekannte verdrängen oder veränderte Präferenzen der Vertragspartner oder gesellschaftliche Erwartungen nicht angepasste Unternehmen gefährden.
Politische Maßnahmen/Programme
Ein weiterer Gamechanger sind politische Maßnahmen/Programme. Ein veränderter Rechtsrahmen lenkt Verbraucher und Wirtschaft automatisch in die gewünschte Richtung. Dabei können beispielsweise hohe Investitionskosten für erforderliche Sanierungsmaßnahmen von Gebäuden und Anlagen anfallen oder die Politik erhöht die Preise für Emissionszertifikate.Um es auf den Punkt zu bringen: Die Empfehlungen der BaFin und EBA-Leitlinien werden durch die 7. MaRisk-Novelle national umgesetzt, sind verbindliche Normen und damit auch prüfungsrelevant. Bei Nichteinhaltung, z.B. der MaRisk, können entsprechende Kapitalzuschläge von der Aufsicht angeordnet werden. Die Veröffentlichung der aufsichtlichen Maßnahmen erfolgt auf der BaFin-Homepage („Naming and Shaming“).
Schlussfolgerungen für das Kreditgeschäft
Natürlich geht es hier nicht nur um die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Anforderungen. Im Eigeninteresse sollten sich Banken und Sparkassen mit Fragestellungen beschäftigen, die aus der Klimakrise erwachsen und sich ganz operativ im klassischen Kredit-Geschäft und im Management der Eigenanlagen ergeben:
- Besitzen die Kreditsicherheiten noch den Wert, den man ihnen zugemessen hat?
- Sind bei den zu erwartenden Klimaveränderungen die Geschäftsmodelle der Kunden und Emittenten noch tragfähig (Stichwort: Physische und transitorische Risiken)?
- Manifestieren sich ggf. Ausfall- und Bewertungsrisiken im Kreditgeschäft und auch bei Eigenanlagen (z.B. auch Spreadveränderungen bei Anleihen)?
- Besitzen die Kreditinstitute auch bei möglicherweise erhöhten Eigenkapital-Unterlegungen und erhöhten Risiken ein funktionsfähiges Geschäftsmodell?
Operative Fragestellungen für die Banken
Selbst wenn der Klimawandel Kreditinstitute hierzulande nicht unmittelbar treffen würde (z.B. wie es im Ahrtal 2021 der Fall war). In einer global vernetzten Gesellschaft sind Volkswirtschaften und Länder über Lieferketten so untrennbar miteinander verbunden, dass eintretende physische Risiken in einem entfernten Teil der Erde Kettenreaktionen auslösen können: Rohstoffe werden knapp, Vorprodukte können ggf. nicht geliefert und Endprodukte für den Verkauf nicht produziert werden(z.B. Kleidung; Schuhe). Daraus ergeben sich u.a. wiederum operativ folgende Fragen:
- Ist es möglich, Geschäftsziele zu erreichen, wenn die Rahmenbedingungen (z.B. Wettbewerber, Neukundenpotenziale vor allem unter jüngeren Anlegergruppen, Regulatorik, Wertewandel in der Gesellschaft) nicht beachtet werden und entsprechend auch im Markt agiert wird?
- Ist es möglich, Risikoziele zu realisieren, wenn man keinen Nachhaltigkeitsfokus hat (z.B. Bewertungsergebnis Kredit bzw. Wertpapiere, Vorstellung über die Qualität der Sicherheiten in Bezug auf transitorische Risiken)?
- Ist es möglich, das Geschäftsmodell langfristig fortzuführen, wenn man keinen Nachhaltigkeitsfokus hat (z.B. Risikotragfähigkeit, Eigenkapitalansprüche, Positionierung im Markt, Divestment bzw. grünere Eigenanlagen)?
Was sollen Kreditinstitute tun?
Die Beantwortung der Frage, was Kreditinstitute tun sollten, ist vielschichtiger als die Beantwortung der „Muss-Frage“. Welche Maßnahmen sind betriebswirtschaftlich geboten, um z.B. Kundenwünsche aufzugreifen oder Reputationsrisiken zu vermeiden. Dieser Ansatz geht über das aufsichtlich geforderte Maß hinaus. Hier gibt es keine verbindlichen regulatorischen Vorgaben, die den Rahmen setzen. Es geht um die Positionierung im Umgang mit dem Megatrend Nachhaltigkeit, mit den Erwartungen der Gesellschaft, Mitarbeiter, Kunden und des Aufsichtsorgans.
Letztlich liegt die Entscheidung bei der Geschäftsleitung, welche Zukunft bzw. welche Nachhaltigkeitsstrategie sie verfolgt und umsetzt. Banken und Sparkassen fungieren als sehr wichtiger Baustein bei der Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft im Sinne der ESG-Definition. Nachhaltigkeit wird in Zukunft ein noch wichtigerer Aspekt des Geschäftsmodells. Kreditinstitute sollten die Chancen des Transformationsprozesses nutzen und nicht nur den bürokratischen Aufwand bzw. die Kosten sehen.
Das Kano-Modell kann hier helfen
In diesem Zusammenhang kann das nach seinem Erfinder, dem Japaner Noriaki Kano, benannte Modell helfen, das eigene Geschäftsmodell in Richtung Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Kano beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Erreichen bestimmter Eigenschaften einer (Kreditinstitut-)Dienstleistung und der erwarteten Zufriedenheit des Kunden. Er unterscheidet damit fünf verschiedene Merkmale. Wichtig im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sind die Basis- und Begeisterungs-Merkmale. Begeisterungsmerkmale (Kann-Merkmale) sind nutzenstiftende Merkmale, mit denen der Kunde nicht unbedingt rechnet, während Basis-Merkmale (Muss-Merkmale) so selbstverständlich sind, dass sie dem Kunden erst bewusstwerden, wenn diese nicht erfüllt werden (z.B. Geldautomat funktioniert nicht). Die These ist nun, dass aktuell für eine Vielzahl von Kunden ESG-Kriterien bei der Wahl des Kreditinstitutes (noch) keine Rolle spielen, sondern (noch) Begeisterungsmerkmale sind. In den nächsten Jahren wird allerdings aus dem Begeisterungs-Merkmal ein Basis-Merkmal und damit ein Muss für die Kreditinstitute. Oder mit anderen Worten:
Positionierung am Markt
Um ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu haben – ähnlich wie oben in der Karikatur beschrieben – wird es eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit sein, sich entsprechend am Markt zu positionieren.
Beispiele hierfür sind die Einführung von grünen Produkten (z.B. Girokonto), die Positionierung im Bereich der Eigenanlagen (z.B. nach ESG-Kriterien, Investition in Solar- und Windparks) und den Ausschluss von bestimmten Geschäften (z.B. Kontroverse Waffen).
Nachhaltiges Geschäftsmodell ist auf zwei verschiedenen Ebenen zu interpretieren: Zum einen Nachhaltigkeit im Sinne von ESG und zum anderen Nachhaltigkeit im Sinne der Aufsicht (siehe auch 7. MaRisk-Novelle) langfristig genügend Erträge zu erzielen, um am Markt bestehen zu können und somit über die Gewinne Eigenkapital zu bilden (Innenfinanzierung). Der Blickwinkel der Aufsicht auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell zeigt die Tendenz auf, dass viele Aspekte der „Soll-Fragen“ immer mehr in den Fokus der Aufsicht rücken und sowohl betriebswirtschaftlich als auch regulatorisch zum Muss werden!
Was können Kreditinstitute tun? – Die Vision bzw. Werte und höchstpersönliche Aspekte
Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten, dass die Menschheit nicht ihren bisherigen Kurs fortsetzen darf. Eine weitere Destabilisierung des globalen Klimas wäre mit katastrophalen Folgen verbunden.
Bei der Frage, was Institute tun können (oder auch vielleicht jeder Einzelne), geht es um Visionen, Werte und die höchstpersönliche intrinsische Motivation der Geschäftsleitung, die diese Entwicklung erkannt hat und aktiv gegensteuern möchte. Das reicht von der Aufstellung von Bienenvölkern in der Grünanlage einer Bank, über die Umstellung des Fuhrparks auf E-Flotte bis hin zur Aufforstung des örtlichen Waldes mit Laubbäumen.
Natürlich geht es auch darum Pluspunkte zu sammeln und um die Frage der „positiven“ Außenwirkung.
Auf der Internetseite „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stehen konkrete Empfehlungen, die jeder Einzelne beherzigen „kann“. Bei Ziel 13 „Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“ sind ganz konkrete Ratschläge aufgelistet: „Nimm öfter das Fahrrad statt das Auto. Für deine Gesundheit und das Klima.“ „Pflanze Bäume und Pflanzen, die die Luft filtern.“ „Kaufe weniger Produkte, die lange Lieferwege oder Kühlketten haben.“ „Iss öfter vegetarisch und reduziere deinen Fleischkonsum“. Wer möchte, findet hier jede Menge Anregungen.
Fazit: Das Geschäftsmodell muss weiterentwickelt werden
Der Raubbau der Menschheit an der Natur insbesondere in den letzten 100 Jahren und die damit verbundene Klimakrise bedroht nicht nur das Überleben der Menschheit, sondern auch Flora und Fauna. Die große Hoffnung ist, dass gerade die Menschen in den Industrienationen, die die Klimakrise verursacht haben, durch Änderung ihres Verhaltens die Chance nutzen, den Klimawandel nicht noch zu verstärken. Die Politik greift nicht zuletzt aufgrund des gesellschaftlichen Wandels immer mehr über Verordnungen, Richtlinien und Gesetze in die Geschäftsmodelle der Unternehmen ein.
Banken und Sparkassen spielen über die Vergabe von Krediten bzw. Investitionen im Rahmen der Eigenanlagen eine bedeutende Rolle. Viele Geschäftsleiter beschäftigen sich bereits seit Jahren mit Nachhaltigkeitsaspekten, um ihrer Verantwortung für ihr Geschäftsgebiet gerecht zu werden. Zwischen den Extremen „nur das Notwendigste“ in Sachen Nachhaltigkeit tun und mit voller Leidenschaft Nachhaltigkeit leben, gibt es viele Möglichkeiten der Positionierung. Positiv zu werten ist, dass der Regulator immer mehr Standards setzt, z.B. Definition von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten im Rahmen der EU-Taxonomie, die die Institute dabei unterstützen, ihre individuellen Visionen und Werte aktiv zu gestalten.
Die Orientierung an dem Kano-Modell kann hier wichtige Impulse liefern. Bedenken Sie, dass aus vielen Begeisterungsmerkmalen (Kann) Basis-Merkmale in naher Zukunft Muss-Merkmale werden. Letztlich können alle Soll- und Kann-Fragen zu (betriebswirtschaftlichen oder existenziellen) Muss-Fragen werden, um ein im doppelten Sinne nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Entwickeln Sie Ihr Geschäftsmodell weiter. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Corinn Schmidt ist Koautorin des Beitrags und Beraterin bei der Roland Eller Consulting GmbH. Die Dipl.- Betriebswirtin (FH) berät Sparkassen und Institute zur Umsetzung der MaRisk sowie zu Fragestellungen der Gesamtbanksteuerung. Zuvor war Sie u.a. im Sparkassensektor als Controllerin im Fachgebiet Konditionsgestaltung, GuV-Steuerung und Vertriebscontrolling tätig.
Daniela Waitz ist Koautorin des Beitrags und Senior-Beraterin bei der Roland Eller Consulting GmbH für den Bereich Training & Beratung im Risikomanagement und Aufsichtsrecht bei mittelständischen Banken. Sie war zuvor Risikomanagerin einer Sparkasse.