Wann wird ein nachhaltiges Finanzsystem Realität in Deutschland?

Perspektiven für eine Nachhaltigkeitsstrategie für Banken

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Deutschland hat eine – im internationalen Vergleich – vorzeigbare Nachhaltigkeitsstrategie. Im Finanzbereich ist davon allerdings noch wenig zu spüren. Dabei sollte Nachhaltigkeit auch für Banken und Sparkassen ein wichtiges geschäftspolitisches Thema sein.

Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Finanzsystem

Nachhaltigkeit sollte auch für Banken und Sparkassen ein wichtiges geschäftspolitisches Thema sein.

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Die Finanzindustrie steht vor großen Herausforderungen. Das klingt banaler als es ist. Zehn Jahre nach der Lehman-Pleite und der darauf folgenden Finanzkrise klingt der Satz beinahe beruhigend, so oft wird er in den Medien, in der Wissenschaft, von Unternehmen und in der Politik wiederholt. Er hat das „Es ist fünf vor zwölf“ ersetzt, meint aber das Gleiche, und das dauerhaft.

Doch die ständige Wiederholung reduziert die eigentliche Problemwahrnehmung. Was zur rhetorischen Dauerschleife wird, droht die eigentliche Dimension der Herausforderungen zu verbergen.

Gute ökonomische Ausgangslage

Ökonomisch geht uns gut. Deutschland ist in der komfortablen Situation, dass das Ausland unsere Maschinen, Chemieprodukte und Autos kauft. Es herrscht etwas, das man als faktische Vollbeschäftigung bewerten kann.

Deutschland hat zudem aktive und leidenschaftliche Communities, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen: In der Wirtschaft, in der Gesellschaft, in der Politik und in der Wissenschaft.

Allerdings werden wichtige Veränderungen, wie der immer realer werdende Klimawandel, die anlaufende Immobilienblase oder die Digitalisierungswelle noch immer (entgegen der Erkenntnis) zumeist weggelächelt. Selbst die auftretenden politischen Ungereimtheiten, auch die Jammertöne an den Rändern, werden von Wirtschaft und Gesellschaft nahezu achselzuckend hingenommen, weil man ja selbst genug zu tun hat.

Die Stimmung ist besser als die Lage

Deshalb hat die Bundeskanzlerin den Nachhaltigkeitsrat gebeten, einen kritischen Blick von außen zu organisieren. Diesen Peer Review hat der Rat vor kurzem abgeschlossen. Er bestätigt uns: Deutschland ist politisch und institutionell gut aufgestellt und die Öffentlichkeit reagiert vergleichbar aktiv und aufgeschlossen auf das Thema Nachhaltigkeit.

Der Bericht hält uns aber auch klar vor Augen, dass wir bisher in wichtigen Bereichen versagen und dass wir uns zu wenig zutrauen. Die Bundesregierung tut zu wenig, um ihre off-track Ziele strategisch angehen. Deutschland könnte durchaus mehr Ambitionen zeigen.

Aktuelle Herausforderungen beim Thema Nachhaltigkeit

Einige Schlaglichter auf die aktuellen Herausforderungen beim Thema Nachhaltigkeit mögen dies belegen:

  • Die Energiewende ist eine Wundertüte mit vielen Überraschungen. Aber der Kohleausstieg gehört nicht dazu. Er ist eine Herausforderung, die nur übermächtig erscheint, aber tatsächlich viel weniger dramatisch ist als das, was wir im Hinblick auf die bestehende Bausubstanz, das Gesundheitswesen oder die Land- und Ernährungswirtschaft tun müssen und werden.
  • Immer öfter fallen Transformationen, die nach langem Ringen endlich auch „gewollt“ werden, in ein Angebots-Loch. So übersteigt die private und öffentliche Nachfrage nach Elektro-Fahrzeugen das Angebot der Industrie.
  • Künstliche Intelligenz (KI) und Digitalisierung werden als Hebel für Transformation diskutiert, während sie selbst die Transformation sind.

Digitaler und effizienter zu werden, ist kein Selbstzweck. Die Ordnung der Wirtschaft muss an Werte und Sinn des Wirtschaftens rückgebunden werden, mit anderen Worten an den Megatrend Nachhaltigkeit.

Treiber für Nachhaltigkeit im unternehmerischen Umfeld

Generell gibt es unterschiedliche Treiber für Nachhaltigkeit im unternehmerischen Umfeld:

  • Manche sind intrinsisch motiviert. Sie produzieren für einen Markt oder eine Marktnische, die von vornherein via Nachhaltigkeit definiert sind. Die Balance von ökologischer zu sozialer Dimension ist oft ein wichtiges Thema.
  • Manche wollen regulativen Vorgaben zuvor kommen und sie wetten darauf, dass sie im Vorfeld noch selbst über Technik-Optionen entscheiden können und ihre Investitionszyklen besser treffen als wenn sie nur reagieren würden.
  • Manchen bietet Nachhaltigkeit eine Differenzierung gegenüber Wettbewerbern am Markt und sie sehen die Chance, Reputation zu schaffen und so Konsumenten gewinnen oder halten können.
  • Manche wollen Risiken minimieren und nutzen die Nachhaltigkeit als Radar für Themen und Probleme, aber auch Chancen.
  • Und dann gibt es die an Nachhaltigkeit Interessierten in der Warte-Schleife. Sie warten den Zwang und die gesetzliche Vorgabe ab, in der Hoffnung, währenddessen von den Vorreitern zu lernen und am Ende dann schneller als die Konkurrenz zu sein.

Allen gemeinsam ist: Nachhaltigkeit ist eine Strategie gegen die Mehrheit. Da Mehrheiten sich in der Schwarm-Logik permanent bestätigen müssen und sich dabei modifizieren, ist dieses Bild jedoch nicht abschreckend. Neues Denken kommt immer vom Rand.

Ambivalenz der Nachhaltigkeit in der Finanzbranche

Wie aber sieht das in der Finanzindustrie aus?

Auf der einen Seite ist der augenblickliche Marktanteil von drei Prozent für nachhaltige Geldanlagen ein großer Erfolg. Nachhaltige Geldanlagen sind kein Thema mehr nur für Nerds.

Auf der anderen Seite sind drei Prozent noch viel zu nah an der Geringfügigkeitsschwelle. Tatsächlich sind sie lächerlich gering, wenn man als Messlatte nimmt, dass wir schon 35 Prozent erneuerbare Energien im Stromnetz haben, dass der Ökolandbau flächenmäßig die Marginalitätsgrenze längst überschritten hat, dass die Platzierung von Renten-Rückstellungen an Nachhaltigkeit gebunden wird, dass Investoren immer mehr nach dem Impact auf soziale und ökologischen Ziele fragen und dass es rund 600.000 Non-Profit-Unternehmen in Deutschland gibt.

Ziele für nachhaltige Entwicklung und ESG-Kriterien

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) müssen zum Benchmark für Investitionen werden und die ESG-Kriterien (= Environment Social Governance) zur Flatrate in allen Geschäftsfeldern.

Die EU Regulation wird, so ist zu hoffen, Klarheit über Inhalt und Form dessen geben, was Nachhaltige Finanzierung genannt wird. Vermutlich ist das eine Chance und (!) Notwendigkeit für die bereits jetzt nachhaltig arbeitenden (Teile von) Institute(n), sich weiter zu profilieren.

Nachhaltigkeit betrifft auch die Finanzwirtschaft

Derzeit herrschen viele Unklarheiten und Ungewissheiten im System der Finanzmarktakteure. Die sollten aber nicht über Hilfskonstruktionen (mit viel Bürokratie und Veto-Positionen) wegreguliert werden. Vielmehr sollten sie direkt angegangen werden, indem die wichtigsten systemischen Risiken fachöffentlich benannt und quantifiziert werden. Eine Art Weißbuch also.

Nachhaltigkeit betrifft die ganze Wirtschaft, quer zu allen Branchen. Neue und mutige Kooperationen sollten das Ziel sein. Unternehmen und Partnerschaften im Sinne von SDG 17 können Commitments im Rahmen des Hub for Sustainable Finance Germany abgeben.

Kooperationen müssen Stakeholder-basiert sein, nah am Markt und den Prozesscharakter von Nachhaltigkeit abbilden. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex zeigt diesen Weg, indem er Berichtspflicht auf freiwilliger Basis integriert und in konkrete Berichtspunkte übersetzt.

Kooperation und Wettbewerb gehören zusammen

Häufig wird noch nicht verstanden, dass Kooperation und Wettbewerb zusammengehören. Wir können hier von der Natur lernen. In vielen Unternehmen findet man jedoch vielerorts noch altes „Silo-Denken“.

So wie Künstliche Intelligenz keine Angelegenheit alleine der IT-Industrie ist und digitale Infrastrukturen keine alleinige Aufgabe von Telekommunikationsanbietern und Autonomes Fahren nicht nur die Autoindustrie betrifft, sind nachhaltige Finanzen kein Thema das nur die Finanzbranche betrifft. Auch darum gibt es den Hub for Sustainable Finance (H4SF).

Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex ist das beste Beispiel, wie man Abgrenzungen und Engführungen überwindet und neue Allianzen schafft. Entstanden ist er nicht im stillen Kämmerlein, sondern als Stakeholder Projekt unter Beteiligung von rund 30 Unternehmensvertretern aus der Realökonomie und der Finanzwirtschaft sowie von Experten aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Heute ist er „angekommen“, muss aber, so unsere Meinung, noch größere Kreise ziehen.

Nachhaltigkeits-Ansatzpunkte für die Finanzbranche

Für Deutschland bietet schon allein der Investitionsbedarf der öffentlichen Hand in die Daseinsvorsorge eine überragende Quelle von Wertschöpfung. Warum denkt Hessen im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie nicht über eine Nachhaltigkeitsanleihe nach? Andere Länder machen das vor. Für den Finanzplatz Frankfurt wäre dies eigentlich eine Pflichtübung.

Bundesweit sind die vielen Praxisbeispiele für nachhaltige Entwicklung so etwas wie der unerschlossene Raum für die nachhaltige Finanzierung. Aber leider fehlt oft eine systemische Transparenz. Es gibt kein Gelbes Buch der grünen Projekte. Der Markt für nachhaltig erzeugte Produkte (ein kleiner Teil davon ist die Green Tech) wächst schneller als das BIP. Auch hier besteht systemische Intransparenz, weil Abgrenzungen und Umfänge nicht klar sind. Hier für Klarheit zu sorgen, sollte im Interesse der Branche liegen.

Die Afrikanische Union will mit einer Freihandelszone den Binnenmarkt Afrikas entwickeln, also die Achillessehne der afrikanischen Volkswirtschaften angehen, die nur auf Rohstoffe ohne vertiefte Wertschöpfung abstellen und dadurch korruptionsanfällig mit allen Folgen sind. Die afrikanische Binnennachfrage wäre ein starkes Instrument für die Demokratie und den Rechtsstaat, vor allem aber für die Lebensperspektiven der Menschen. Das würde auch dazu beitragen, die aktuell vieldiskutierten Fluchtursachen veritabel zu bekämpfen.

Neben einer aktiven Unterstützung dieses Vorhabens durch die deutsche und europäische Politik wäre ein Anknüpfen der deutschen/europäischen Finanzindustrie durch eine geeignete Nachhaltigkeitsstrategie hilfreich, wünschenswert und wirkungsvoll.

Bisher hat man davon jedoch nichts gehört.

Nachhaltigkeit ist vielfältig

Auch deshalb hat der Nachhaltigkeitsrat die Initiative zum H4SF ergriffen. Es geht um Maßnahmen in Deutschland zur Stärkung nachhaltiger Geldanlagen. Es geht um die eigenen Maßnahmen der Bundespolitik, was Renten-Rückstellungen und andere Sonderhaushalte angeht. Es geht um die Ausweitung der finanziellen und technischen Entwicklungshilfe. Und es geht um Befähigungshilfe, also beispielsweise durch Maßnahmen, die hierzulande ergriffen werden, und anderswo positiv wirken.

Deshalb verfolgt der Nachhaltigkeitsrat ein ungewohntes Politikmodell das darauf abstellt, dass sich Akteure organisieren und zur Kooperation bereitfinden.

Der Erfolg der deutschen Banken und Investoren im Feld der Nachhaltigkeit hängt auch davon ab, wie groß gedacht wird. Es geht um mehr als nur um Anteile im deutschen Markt.

Über den Autor

Prof. Dr. Günther Bachmann

Prof. Dr. Günther Bachmann leitet die Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Nach seinem Studium der Landschaftsplanung war er im Umweltbundesamt für das Bundes-Bodenschutzgesetz verantwortlich. Er ist Vorsitzender der Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises sowie des Next Economy Awards und Honorarprofessor der Leuphana Universität Lüneburg.

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