„Neugier kann Banken in der Krise helfen“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M.

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Neugier ist –gerade in Krisenzeiten – eine wichtige Voraussetzung für Kreativität und Innovation. Mit Prof. Dr. André Niedostadek habe ich mich darüber unterhalten, wie diese in Banken und Sparkassen zum Einsatz kommen und institutionell besser verankert werden kann.

Neugier ist eine wichtige Voraussetzung für Kreativität und Innovation

Kinder sind von Natur aus neugierig. Mit zunehmendem Alter kommt viele diese Eigenschaft abhanden.

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Schon länger sind die Zeiten für Finanzinstitute nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die bekannten Phänomene (Negativzinsen, Regulierung, Wettbewerb, Digitalisierung etc.) begrenzen die Erträge und lassen die Kosten steigen. Neue Wege, sprich Geschäftsmodelle, werden gesucht, aber bislang (noch) nicht oder (noch) nicht in ausreichendem Maße gefunden.

Nun kam auch noch die Corona-Krise hinzu. Einerseits dient sie als Katalysator, der Veränderungen vorantreiben dürfte, andererseits blockiert sie Management-Kapazität und könnte die Risikokosten empfindlich ansteigen lassen und so auch die finanziellen Ressourcen für den notwendigen Wandel begrenzen.

Fragen an Prof. Dr. André Niedostadek

Über die Möglichkeiten für Kreditinstitute, sich in einem solchen Umfeld besser zurechtzufinden, habe ich mich mit Prof. Dr. André Niedostadek unterhalten. Er ist Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht sowie Beauftragter für Internationales und Öffentlichkeitsarbeit am Halberstädter Fachbereich der Hochschule Harz. Der promovierte Jurist war zuvor als Unternehmensberater, als Rechtsanwalt sowie in verschiedenen Funktionen im Bankensektor tätig.

Prof. Dr. André Niedostadek - Hochschule Harz

André Niedostadek ist Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht am Halberstädter Fachbereich der Hochschule Harz.

Viele Banken stecken im Treibsand fest

Der Bank Blog: Stecken Banken und Sparkassen bei der Suche nach neuen Geschäftsmodellen in einer Sackgasse?

André Niedostadek: Eine Sackgasse ist ja etwas, wo es geradeaus nicht mehr weitergeht und nichts übrigbleibt als umzukehren. Aber immerhin. Man kann umdrehen. Mir kommt da eher ein anderes Bild in den Sinn: Treibsand oder Schlickfelder im Watt. Die sind sogar tückisch, weil man da wirklich feststecken kann. Und dann wird es aus eigener Kraft schwierig.

Neugier ist ein Rezept für unsichere Zeiten

Der Bank Blog: Sie propagieren Neugier als Rezept, um in unsicheren Zeiten etwas zu bewegen. Banker gelten zwar gemeinhin als wissbegierig (Stichwort Selbstauskunft), aber nicht unbedingt als neugierig. Welche Art von Neugier meinen Sie?

André Niedostadek: Wir leben ja in unglaublichen Zeiten. Vieles verändert sich. Ein Problem dabei: Wenn Herausforderungen zu meistern sind, dann stoßen wir mit unserem bisherigen Wissen an Grenzen. Selbst das Schlagwort von der Halbwertszeit des Wissens gilt ja schon nicht mehr. Die Corona-Pandemie belegt das aktuell sehr eindrucksvoll. Sie hat uns überrollt und wir wissen überhaupt nicht, wie man damit umzugehen hat. Das gleiche gilt für die digitale Transformation.

Wenn aber das Wissen fehlt, was bleibt dann? Ich meine die Neugier. Die kann man in zweierlei Hinsicht verstehen:

  • Da ist zum einen die Neugier, wenn man zu wissbegierig seine Nase in Dinge steckt, die einen nichts angehen. Das ist die Neugier als Laster. Die ist hier aber nicht gemeint.
  • Dafür die andere Seite der Medaille, die Neugier als Tugend. Diese Art von Neugier kombiniert unterschiedliche Aspekte, wie beispielsweise die Fähigkeit, sich überhaupt auf Neues einzulassen und zu lernen.

Eigentlich eine Ureigenschaft des Menschen. Im Laufe des Lebens verlieren wir aber mehr und mehr an dieser neugierigen Aufgeschlossenheit. Und stellen uns damit selbst ein Bein.

Neugier und Kreativität hängen eng zusammen

Der Bank Blog: Sie sagen, Wissbegierde gilt gemeinhin als Tugend und die negative Neugier oft als Laster. Wie kann man sich davon befreien?

André Niedostadek: Die negative Neugier ist ein Laster. Aber die positive Seite der Neugier, die herauszulocken, das ist tatsächlich nicht so einfach. Es gibt ja keinen Schalter, den man einfach mal eben so umlegen kann.

Was kann man tun? Ich glaube, man kann auf zwei Ebenen ansetzen. Eine ist noch einigermaßen einfach. Man kann der eigenen Neugier selbst ein wenig auf die Sprünge helfen. Das klappt schon im Kleinen, etwa im Alltag, ja selbst beim Essen. Einfach öfter mal was Neues ausprobieren. Und dann: Es gibt ja das geflügelte Wort, wer fragt, der führt. Zu fragen und vor allem auch Dinge zu hinterfragen, um etwas zu lernen, ist ein regelrechter Neugier-Booster. Vor allem offene Fragen zu stellen, also keine, die man mit Ja oder Nein beantworten kann. Irgendwann wird einem das dann zur zweiten Haut.

Die andere Ebene ist schwieriger. Unternehmensintern müssen die entsprechenden Rahmenbedingen gegeben sein. Wie will man Neugier und Kreativität, auch die gehört dazu, fördern? Und wie steht es um eine Art Unternehmens- und Fehlerkultur, damit sich Neugier im positiven Sinne entfalten kann? Die kann man natürlich nicht herbeizaubern. Das muss wachsen.

Banken müssen von Gordon Gecko lernen

Der Bank Blog: Dennoch steckt auch im Wort „Neugier“ das Wort „Gier“. Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass Gordon Gecko mit seiner Gier nicht alleine war. Ab wann wird „Neu-Gier“ negativ?

André Niedostadek: Michael Douglas als Gordon Gecko war fantastisch, nicht wahr? Vor allem, wenn er die Geschichte von Pu dem Bären erzählt, der seine Nase zu oft in ein Honigglas hielt, und darin stecken blieb. Passt auch ein bisschen zur Neugier.

Aber zu Ihrer Frage: Die Grenzen können da tatsächlich fließend sein. Aus der Juristerei kennen wir, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zu beurteilen. Die lässt sich auch hier gut anbringen: Dient meine Neugier einem legitimen Zweck und ist das, was ich tue, geeignet, ist es erforderlich und ist es darüber hinaus angemessen? Also nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Und nicht zu viel die Nase in den Honigtopf stecken.

Ohne Neugier keine Innovationen

Der Bank Blog: In der Bankbranche hat sich der Begriff „Innovation“ zu einem Buzzword entwickelt. Inwiefern kann Neugier dabei helfen, innovativ zu sein?

André Niedostadek: Ich stelle mal eine Gegenfrage: Woher sollen Innovationen kommen? Einfach so von alleine werden sie sich in den seltensten Fällen einstellen. Das geht nur, wenn man ein paar Fähigkeiten mitbringt. Etwa die, neugierig über den Tellerrand zu schauen.

In seiner berühmten Rede vor Absolventen der Universität Stanford hat Steve Jobs einmal gesagt, dass vieles von dem, was sich später als unbezahlbar herausgestellt hat, bei ihm auf zwei Grundpfeilern fußte: Seiner Neugier und seiner Intuition. Nachdem er selbst das Studium geschmissen hatte, hatte er aus Neugier einen Kalligrafie-Kurs besucht. Ein Glücksfall für den Macintosh-Computer, den ersten Computer mit schönen Schriftzeichen, wie er selbst sagte. Ich würde ergänzen: Ohne Neugier keine Innovationen.

Neugier muss institutionell verankert sein

Der Bank Blog: Apropos Neugier und Intuition. Wir leben in einer Welt, in der Daten und Analysen als wichtiges Element zur Sicherung der Zukunft betrachtet werden. Ist Neugier mit Datenanalysen kompatibel oder müssen wir nicht eher der Intuition mehr Raum einräumen?

André Niedostadek: Eine schöne Frage. Aber ich würde sie – ganz im Sinne der Neugier – offen umformulieren: Wie kann es gelingen, in Zeiten von Big Data die Neugier auch mit Datenanalysen kompatibel zu gestalten. Jetzt könnte man über Lösungen nachdenken …

Der Bank Blog: Wie kann ich Neugier im Alltag und in der Praxis der Führung und Steuerung einer Bank verankern?

André Niedostadek: Einige Punkte hatte ich oben schon kurz angerissen, etwa wenn es darum geht, die eigene Neugier zu kultivieren. Drei Punkte würde ich noch ergänzen:

Erstens, im Rahmen der Personalentwicklung nicht allein auf Wissensvermittlung zu setzen, sondern zentrale Schlüsselqualifikationen, wie beispielsweise positive Neugier, zu fördern. Die Bedeutung von Schlüsselqualifikationen wird zwar immer wieder betont, aber gerät im Unternehmensalltag doch oft ins Hintertreffen.

Zweitens, bei der Personalauswahl, insbesondere von Führungskräften, den Aspekt der Neugier auch mit zu berücksichtigen.

Diese beiden Punkte betreffen die Praxis der Führung und, was aus meiner Sicht heute noch viel entscheidender ist – die Praxis der Selbstführung!

Und drittens ein Tipp zur Steuerung, der möglicherweise ein bisschen gegen den aktuellen Trend der Agilität läuft: Unternehmensintern einen festen institutionellen Rahmen schaffen, um kreativ, neugierig und mit Blick auf die Zukunft zu arbeiten. Ein zeitlich befristetes Projekt hilft da kaum …

Bleiben Sie neugierig

Der Bank Blog: Muss sich dazu die von Ihnen schon angesprochene Unternehmenskultur in Banken nicht grundlegend verändern?

André Niedostadek: Manche Finanzinstitute täten wahrscheinlich ganz gut daran, das Thema in den Blick zu nehmen. Aber es gibt auch ganz wunderbare Beispiele für eine gelebte Unternehmenskultur, die nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Größeren Instituten würde ich auch die Empfehlung geben, gar nicht auf „die“ Unternehmenskultur zu schauen. Die gibt es sowieso nicht. In einzelnen Bereichen und Abteilungen werden womöglich unterschiedliche Kulturen gepflegt. Was sogar sehr gut sein kann.

Der Bank Blog: Was wäre Ihr Rat an den Vorstand einer Bank oder Sparkasse?

André Niedostadek: Selbst neugierig bleiben und diesen Spirit weitertragen.

Der Bank Blog: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Über den Autor

Dr. Hansjörg Leichsenring

Dr. Hansjörg Leichsenring ist Herausgeber des Bank Blogs und der Finanzbranche seit über 30 Jahren beruflich verbunden. Nach Banklehre und Studium arbeitete er in verschiedenen Positionen, u.a. als Direktor bei der Deutschen Bank, als Vorstand einer Sparkasse und als Geschäftsführer eines Online Brokers. Als Experte für Strategien in den Bereichen Digitalisierung, Innovation und Vertrieb ist er gefragter Referent und Moderator bei internen und externen Veranstaltungen im In- und Ausland.

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