Nur wenige Finanzinstitute bieten eine strategisch durchdachte Online-Beratung an. Darüber, wie Banken und Sparkassen das Thema sinnvoll und gewinnbringend angehen können, habe ich mich mit Sandra Edelmann, Consultant von FORT.SCHRITT unterhalten.
Finanzinstitute bieten ihren Kunden zwar verstärkt Online-Angebote an, jedoch scheitert deren effiziente Umsetzung oft an einer unstrukturierten Planung. Daher sollten die Institute zunächst einen Schritt zurückgehen: Eine klassische IST-Analyse und die Erarbeitung des individuellen Potenzials der Online-Beratung für die Filialen sind unausweichlich. Ebenfalls wichtig: die zielgruppengerechte Ansprache. Denn auch wenn viele Kunden Interesse an der Online-Beratung haben, ist der persönliche Austausch nach wie vor gefragt.
Damit die Verknüpfung von Online-Vertrieb und der persönlichen Beratung gelingt, müssen die Institute verschiedene Voraussetzungen schaffen. Um die Online-Beratung sinnvoll in das Filialgeschäft zu integrieren muss das Digitalisierungsprojekt strukturiert und inkludiert angegangen werden.
Interview mit Sandra Edelmann
Darüber, wie dies den Instituten Schritt für Schritt gelingen kann, habe ich mich mit Sandra Edelmann unterhalten. Sie ist Consultant bei der FORT.SCHRITT GmbH. Zuvor war die Bankbetriebswirtin als Beraterin bei der Sparkasse Heidelberg tätig und hat dort u.a. bei der Einführung der Online-Beratung als Projektmitglied mitgewirkt und Kunden online beraten.
Banken müssen das Beste aus zwei Welten miteinander verbinden
Der Bank Blog: Reine Online-Banken übernehmen immer mehr den Markt. Was müssen klassische Filialinstitute tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Sandra Edelmann: Filialinstitute müssen das Online-Beratungsgeschäft als voll- und gleichwertigen Vertriebskanal anerkennen und entsprechend nutzen, statt ihn als „einfache Kundenkontaktaufnahme“ abzutun. Denn es gibt das klare Kundenbedürfnis nach Online-Angeboten. Heutzutage erwarten Kunden von ihren Banken mehr denn je Flexibilität und Individualität in puncto Beratung.
Die Institute sollten also dringend davon absehen, den Kunden lediglich einen Kanal, ob den klassischen oder den digitalen, „aufzuzwingen“, sondern ihnen Alternativen anbieten, die auf ihre Wünsche ausgerichtet sind. Ziel der Banken und Sparkassen muss es sein, das Beste aus zwei Welten miteinander zu verbinden: auf der einen Seite eine persönliche, vertrauensvolle, auf der anderen Seite eine ortsunabhängige, digitale Beratung. Dazu müssen sie auch Synergien zwischen den beiden Kanälen schaffen. Das gelingt ihnen nur mit einer strategischen Vorbereitung und durchdachten Umsetzung.
Filialbanken müssen Geschäftsphilosophie und Kundenbedürfnisse in Einklang bringen
Der Bank Blog: Fast alle Filialbanken haben in den letzten Jahren ihr Geschäftsstellennetz massiv verkleinert. Verschwimmen die Unterschiede zwischen Filial- und Direktbanken?
Sandra Edelmann: Filialbanken befürchten häufig, dass die Unterschiede zwischen ihnen und den Direktbanken verschwimmen könnten – dies ist auch theoretisch möglich und könnte beispielsweise dann passieren, wenn sich eine Filialbank dazu entschiede, alle Filialen zu schließen und nur noch den Online-Kanal anzubieten.
Eine Filialbank definiert sich jedoch nicht nur über ihr Geschäftsstellennetz. Der Unterschied zwischen Filial- und Direktbank liegt vielmehr in der gesamten Philosophie und Strategie: Filialbanken agieren im Gegensatz zu Direktbanken eher nach dem „Know-your-Customer-Prinzip“, setzen also auf eine persönliche Beratung und Betreuung sowie einen hohen Service-Gedanken.
Das Problem hierbei ist, dass sie davon ausgehen, der Kunde habe noch die gleichen Ansprüche wie vor 15 Jahren. Der Kunde wünscht sich aber heute mehr Optionen als den Weg in die Filiale. Filialbanken müssen Geschäftsphilosophie und Kundenbedürfnisse also in Einklang miteinander bringen – nur dann entwickeln sie sich weiter.
Bei der Umsetzung von Online-Beratung sind drei Aspekte zu beachten
Der Bank Blog: Beim Thema Online-Beratung ist in den Banken noch immer viel Luft nach oben. Woran liegt das?
Sandra Edelmann: Hier sind vorrangig drei Aspekte entscheidend:
- Zum einen der Kostenfaktor: Die Banken müssen natürlich erst investieren, bevor sie und ihre Kunden profitieren. Dafür braucht es finanzielle und auch zeitliche Ressourcen.
- Zum zweiten befürchten die Filialbanken Unmut bei den „alteingesessenen“ Offline-Kunden und den Kommunen.
- Auch die mögliche Ablehnung unter den Mitarbeitern als dritter Faktor ist nicht zu unterschätzen:
Eine Bank ist nur so „modern“ und kundenorientiert, wie es die Beschäftigten sind. Mitarbeiter in Filialbanken haben bei der Einführung digitaler Prozesse jedoch oft die Sorge, dass ihr Arbeitsplatz durch das neue Angebot überflüssig werde.
Online-Beratung heißt aber natürlich nicht, dass Menschen obsolet werden. Banken stecken hier in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen sie ihre Beschäftigten auf Grund des Fachkräftemangels nicht überfordern und somit verlieren, gehen sie aber nicht mit der Zeit, laufen ihnen die Kunden davon.
Banken müssen den Kunden die Wahl überlassen
Der Bank Blog: Die Banken haben unterschiedliche Zielgruppen. Die einen bevorzugen die klassische Vor-Ort-Beratung in der Filiale, die anderen die Beratung per Mausklick. Wie gelingt es den Instituten, beide Formen miteinander zu verbinden?
Sandra Edelmann: Ganz „einfach“: beide Formen anbieten und dem Kunden die Wahl überlassen. Die Banken müssen den Kunden selbst entscheiden lassen, ob er ein persönliches Gespräch, eine digitale Beratung oder vielleicht auch eine Kombination der beiden Formen wünscht.
Das gelingt, indem die Institute die Kunden da abholen, wo sie stehen und auf dem Kanal, auf dem sie präferiert unterwegs sind: sei es also beispielsweise die Beratung per Video, der Produktabschluss über die Website als „Internet-Filiale“ oder eine „klassische“ Beratung stationär vor Ort.
Dazu müssen die Banken ihre Zielgruppe analysieren, gewichten und dementsprechend ihr Angebot für Online-Beratung anpassen. Ein Berater in der Filiale sollte zudem auch dazu befähigt sein, einen Kunden zu beraten, der zuhause vor dem Laptop sitzt – Stichwort Flexibilität.
So wird Online-Beratung zu einem positiven Kundenerlebnis
Der Bank Blog: Wie sieht Ihrer Meinung nach ein optimaler Prozess in der Online-Beratung aus? Gibt es den überhaupt?
Sandra Edelmann: Aus Kundensicht gibt es ganz klar einen optimalen Prozess: Die Terminvereinbarung muss intuitiv, einfach und schnell gehen, der Termin an sich reibungslos, medienbruchfrei und transparent stattfinden und dem Kunden sollte es möglich sein, direkt während des Termins einen Abschluss zu tätigen. Dass der Kunde pro Prozessschritt zwischen verschiedenen Kontakt- und Gesprächsmöglichkeiten flexibel und barrierefrei wählen kann, ist ebenfalls ein Muss. Dann wird Online-Beratung zu einem positiven Kundenerlebnis.
Ein Beispiel für einen optimalen Prozess: Ein Bestands- oder Neukunde möchte sich über Kreditmöglichkeiten informieren. Hierzu recherchiert er auf der Website seiner Hausbank. Über die Website hat der Kunde die Möglichkeit, selbstständig einen Rückrufwunsch zu hinterlegen oder direkt einen Termin bei seinem Wunsch-Berater zu buchen. Bei der Buchung entscheidet der Kunde selbst, über welchen Kanal die Beratung stattfinden soll – also über Telefon, Video oder persönlich vor Ort. Benötigt der Kunde bei der Buchung Unterstützung, kann er auch die direkte Kontaktaufnahme mit dem Kunden-Service per Telefon oder Video wählen. Der Kundenservice unterstützt dann beim weiteren Prozess.
Erfolgt das Beratungsgespräch virtuell, findet es per Video inklusive Screen-Sharing und idealerweise interaktiven PDFs oder Erklärvideos medienbruchfrei statt. Der Abschluss inklusive Autorisierung erfolgt per Sprachaufzeichnung und/oder digitaler Unterschrift – anschließend erhält der Kunde alle erforderlichen Dokumente direkt ins E-Postfach seiner Bank.
Leider sind viele Finanzinstitute noch weit davon entfernt, ein derartiges, vermeintlich einfaches Szenario anzubieten.
Banken müssen sechs Handlungsfelder angehen
Der Bank Blog: Was müssen die Finanzinstitute tun beziehungsweise verändern, um ihren Kunden eine solch qualifizierte Online-Beratung anbieten zu können? Welche Handlungsfelder müssen sie hierbei besonders ins Auge fassen?
Sandra Edelmann: Die Finanzinstitute sollten „das Pferd von hinten aufzäumen“ und ihren individuellen Status Quo ermitteln; nur so behalten sie den Überblick über ihre Digitalisierungslösungen und können Einführung und Ausweitung der Online-Angebote strukturiert angehen. Das gelingt, indem sie im Rahmen der Status-Quo-Erhebung sechs unterschiedliche Handlungsfelder betrachten:
- als erstes die „Organisation“, die beispielsweise die Analyse des Vertriebsbereichs sowie Mitarbeiterrollen umfasst.
- Im Handlungsfeld „Rechtliches“ müssen die Institute untersuchen, ob der Online-Beratungsprozess die rechtlichen Vorgaben erfüllt, beispielsweise im Hinblick auf Datenschutz.
- Unter den Punkt „Technik“ fällt unter anderem die Begutachtung der Homepage sowie der Hard- und Software für einen störungs- und barrierefreien Beratungsablauf.
- Das Handlungsfeld „Prozesse“ beinhaltet eine Betrachtung vorhandener Arbeitsabläufe und Beratungs-Tools im Hinblick auf eine inkludierte Online-Beratung,
- während das Feld „Mitarbeiter“ eine Analyse der Mitarbeiterbefähigung umfasst, Filial- und Online-Beratung im Berateralltag miteinander zu verbinden.
- Im sechsten Feld „Kunden“ ist eine Überprüfung der möglichen Zielgruppen nötig.
Die Betrachtung unterstützt dabei, Optimierungspotenzial zu erkennen und daran anschließend geeignete Maßnahmen für einzelne oder mehrere Handlungsfelder abzuleiten. Im Ergebnis gestalten die Institute ihre Online-Beratung systematischer, rechtssicher und kundenfreundlicher.
Aus Omnikanalvertrieb wird hybrider Vertrieb
Der Bank Blog: Multikanalvertrieb, Omnikanalvertrieb, Hybrider Vertrieb: Wie sieht die optimale Kanalstrategie für eine Bank aus?
Sandra Edelmann: Die Finanzinstitute sollten die alten Filialstrukturen auf jeden Fall aufbrechen. Der Kunde entscheidet, welchen Kanal er wünscht; daher sollten die Institute prinzipiell alle Kanäle anbieten, Stichwort Omnikanalvertrieb. Dabei stellen sie den Kunden in den Mittelpunkt, indem sie ihm die Wahl zwischen verschiedenen Kanälen lassen und ihm das immer gleiche positive Erlebnis bei kontinuierlicher Qualität bieten – beispielsweise in Form kompetenter Mitarbeiter oder Software. Den Omnikanalvertrieb sollten die Institute als hybriden Vertrieb bestehend aus persönlichen und digitalen Kontaktpunkten aufstellen.
Der Bank Blog: Wohin wird sich der Markt in den nächsten 5 Jahren entwickeln?
Sandra Edelmann: Die Institute sollten sich dem Wandel stetig anpassen und ihren aktuellen Stand und ihr Angebot regelmäßig hinterfragen und optimieren. Die Online-Beratung ist dabei zu einem unverzichtbaren Vertriebsweg, Kontaktpunkt und Aushängeschild geworden. Banken müssen darauf reagieren, diesen ausbauen und sich damit über alle Kanäle hinweg auf die Kundenbedürfnisse hin ausrichten. Klar ist: Banken und Sparkassen, die den Online-Kanal einfach ignorieren, werden nachhaltig Kunden verlieren.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.