Bestehende regulatorische Ansätze zur Ermittlung der Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken haben eine Vielzahl von Defiziten: zu unspezifisch für das Kreditinstitut, zu komplex, in der Vorgehensweise zu wenig nachvollziehbar. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Kreditrisikosteuerung.
Aktuelle Methoden, Kreditrisiken zu quantifizieren, führen nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen. Regulatorisch geprägte Ansätze berücksichtigen in der Regel die spezifischen Umstände einer Bank nicht. Ökonomisch motivierte Modelle lassen sich entweder nur sehr bedingt auf Retailportfolios anwenden oder sind so komplex, dass die Ergebnisse nicht nachvollzogen oder plausibilisiert werden können. Während sich an den regulatorischen Vorgaben wenig rütteln lässt, stellt sich die Frage, warum bestehende Probleme in der ökonomischen Betrachtung meist klaglos akzeptiert werden. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz könnte die digitale Transformation ein neues Zeitalter in der Kreditrisikosteuerung einleiten.
Das Vorbild der Steuerung operationeller Risiken
Während in der Kreditrisikosteuerung mit mehr oder weniger komplexen Formeln und der auf Konto- und Kundenebene vorliegenden Informationen versucht wird, die erforderliche Eigenkapitalunterlegung zu berechnen, gehen Institute bei der Steuerung operationeller Risiken einen anderen Weg: Einerseits sammeln sie in der Vergangenheit aufgetretene Schadensfälle in einer Verlustdatenbank, andererseits führen sie für möglicherweise eintretende Verluste eine Risikoinventur durch. Identifizierte Risiken werden in der Folge bewertet und die Möglichkeiten einer Steuerung dieser Risiken untersucht. Insbesondere der Prozess der Risikoinventur ist im Vergleich zu einer rein analytischen Vorgehensweise zwar deutlich aufwändiger, der Vorteil liegt aber darin, dass für die Ermittlung und für die Quantifizierung der Risiken Expertenwissen über die Risikosituation genutzt wurde. Damit ist die Akzeptanz für die Ergebnisse erheblich höher als bei einer Nutzung eines von außen vorgegebenen Formelwerkes.
Aufbau und Nutzung einer Verlustdatenbank in der Kreditrisikosteuerung
Eine Verlustdatenbank für Kreditportfolios aufzubauen, sollte für eine Bank kein Problem darstellen. Die Höhe der Verluste liegt dem Controlling als Zuführungen zu den Einzelwertberichtigungen bzw. als so genannte Impairment-Buchung kontobezogen vor. Noch besser stehen Banken, die eine detaillierte Adressrisikoergebnis-Rechnung durchführen. Mit ihr ist neben der bloßen Kalkulation von Ist-Risikokosten auch eine Differenzierung nach Bonitäts-, Sicherheiten- und Laufzeiteffekten möglich. Gute Ergebnisse liefert hierfür zum Beispiel die Anwendung VR-Control der Volks- und Raiffeisenbanken. Auf Basis der Wertveränderungen des Prämienbestandes lässt sich damit auch ohne künstliche Intelligenz leicht analysieren, in welchen Perioden die tatsächlichen Verluste größer waren als die erwarteten, durch kalkulierte Risikoprämien abgedeckten Ausfälle.
Grenzen bestehender Kreditportfoliomodelle
Interessant ist nun die Fragestellung, welche Daten diese Abweichungen insbesondere nach oben erklären. Und hier schlägt die Stunde der künstlichen Intelligenz. In klassischen Kreditportfoliomodellen werden in der Regel für eine Volkswirtschaft beobachtete Korrelationen herangezogen, um einen Credit Value at Risk zu berechnen. So wird beim Einsatz von CreditRisk+ die Korrelation der Ausfälle in verschiedenen Branchen als Input verwendet. Diese lassen sich mit Hilfe von Ausfallzeitreihen des Statistischen Bundesamtes bundesweit ermitteln und einfach berechnen. Liegen so genannte Klumpenrisiken vor, weil die Exposure-Anteile einer oder mehrerer Branchen innerhalb eines Kreditportfolios dominant sind, treibt dies den Wert des Credit Value at Risks nach oben.
Problematisch wird es zum Beispiel bei regional agierenden Banken. Für ein im Raum Wolfsburg tätiges Institut, wird sich eine Streuung des Kreditengagements über verschiedene Branchen (Einzelhandel, Bauwirtschaft, Fahrzeugteile) relativ wenig auf die Höhe des Credit Value at Risks auswirken, da in diesem Fall Kreditausfälle viel stärker mit der Branche Automobilbau zusammenhängen als dies bundesweit der Fall ist. Und sofern sich das Kreditportfolio einer Bank überwiegend aus Privatkunden zusammensetzt, liegen in der Regel gar keine validen Informationen zu der Korrelation von Ausfallwahrscheinlichkeiten vor.
Integration von künstlicher Intelligenz und Risikoinventur
Mittels künstlicher Intelligenz lässt sich die Risikosteuerung feinjustieren und erweitern. Es ist heutzutage mittels intelligenter und lernender Systeme möglich, große Datenmengen hinsichtlich bestehender Abhängigkeiten und Wechselwirkungen deutlich genauer zu untersuchen. Es ist daher nicht mehr unbedingt erforderlich, sich in einem Kreditportfoliomodell auf vorgegebene Risikotreiber zu beschränken. Vielmehr können gerade regional agierende oder in einem speziellen Umfeld tätige Banken genau die Parameter identifizieren, die zu überdurchschnittlich vielen oder starken Verlusten führen. Hier hilft es, wenn Risikotreiber im Rahmen einer Risikoinventur benannt wurden. Das können zum Beispiel relevante Regionen, Kunden, Branchen oder Sicherheitenarten sein.
Banken können dadurch die Untersuchung von Abhängigkeiten von Verlusten auf diese Risikoparameter konzentrieren. Wie in der Steuerung operationeller Risiken besteht so die Möglichkeit, für die Geschäftstätigkeit einer Bank spezifische Frühwarnindikatoren zu ermitteln und dynamisch Risiken zu quantifizieren, je nachdem, wie sich Rahmenbedingungen verändern. Anders als bei Portfoliomodellen, die Branchenkorrelationen verwenden, können individuelle Frühwarnindikatoren ermittelt und verwendet werden. Ein konstruiertes Beispiel: Wenn die Scheidungsrate ansteigt, steigt die Ausfallwahrscheinlichkeit von Apothekern. Und wenn dann ein Anstieg der Scheidungsrate beobachtet wird, kann eine Bank Engagements in Apotheken reduzieren.
Umparken im Kopf verbessert die Risikosteuerung
Ein weiterer Mehrwert von KI für das Risikomanagement ist die Dynamik. Klassische Kreditportfoliomodelle berechnen bei einem statischen Portfolio so lange einen identischen Credit Value at Risk, bis die Kalkulationsparameter angepasst werden. Selbstlernende Systeme sind mittels Big Data in der Lage, für definierte Zeithorizonte Risiken zu bewerten und dabei zeitnah auf sich ändernde Rahmenbedingungen zu reagieren. Eine Voraussetzung ist allerdings, eine Datenbasis zur Verfügung zu stellen, die in der Lage ist, für die Steuerung von Kreditrisiken sinnvolle Korrelationen abzuleiten. In Kombination mit dem Aufbau einer Verlustdatenbank und einer Risikoinventur bildet künstliche Intelligenz eine sinnvolle Ergänzung und Plausibilitätsprüfung manueller Prozesse. In einem positiven Marktumfeld kann das erforderliche Risikokapital entlastet werden. In einem negativen Umfeld kann eine Bank schnell durch risikominimierende Maßnahmen auf die Situation reagieren, zum Beispiel durch eine Umstrukturierung des Kreditportfolios.
Die noch wichtigere Voraussetzung ist, dass sich Banken von ihrem bewährten Denken lösen. Deswegen nimmt weniger die technische Seite der KI, sondern das Erklären der Methodik und der Möglichkeiten den größten Raum in diesem Blogbeitrag ein. Erst die Anpassung der Geschäftsprozesse, die im Rahmen der Integration der künstlichen Intelligenz erforderlich sind, ermöglichen eine Reduktion der Kosten der Risikosteuerung sowie eine Reduktion der schlagend werdenden Risiken. Der digitale Wandel belohnt das Umparken im Kopf!