Eine neue Risikokultur ist notwendig

Chancen und Herausforderungen für die privaten Banken in 2023

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Für die Transformation der Wirtschaft in den nächsten Jahren brauchen wir eine maßgeschneiderte Finanzarchitektur in Europa. Doch das alleine reicht nicht: Ohne eine veränderte Risikokultur auch in den Bankenregulierung werden wir die Herausforderungen nicht stemmen können.

Ausblick auf Perspektiven für die privaten Banken im Jahr 2023

Perspektiven für die privaten Banken im Jahr 2023

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Einen Blick voraus in das Jahr 2023 zu werfen, ist einerseits ein ziemlich gewagtes Unterfangen. Zu volatil ist das Weltgeschehen, zu ungewiss der wirtschaftliche Ausblick, zu unberechenbar die Mixtur aus Krieg, Inflation und Handelskonflikten. Die Politik arbeitet gerade am Anschlag, um unser Land durch einen beispiellosen Krisenreigen zu bringen. Wegen der hohen Energiepreise und anhaltender Lieferkettenprobleme stehen viele Unternehmen aber noch immer unter massivem Druck. Weitere geopolitische Eruptionen können das wirtschaftliche Umfeld jederzeit von neuem erschüttern.

Andererseits gibt es wirtschaftliche Trends und Entwicklungen, die über das aktuelle Krisengeschehen hinaus Bestand haben und das Geschäft der Banken auch 2023 bestimmen werden. Zudem ist es nicht so, dass die schwierige ökonomische Situation die Institute auf dem falschen Fuß erwischen würde. Im Gegenteil: Die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise auf das Kreditportfolio der Institute sind beherrschbar. Die Banken in Deutschland sind robust, solide und widerstandsfähig. Sie haben in den zurückliegenden Jahren ihre Hausaufgaben erledigt. Risiken wurden abgebaut, Kosten reduziert und die Eigenkapitalausstattung erheblich aufgestockt: Seit 2008 konnte die durchschnittliche Kernkapitalquote von 9,3 auf 15,8 Prozent gesteigert werden. Hinzu kommt: Stand heute dürfen wir mit einer nur leichten Rezession in den Wintermonaten rechnen.

Finanzierung der Transformation

Wenn wir auf das Jahr 2023 blicken, ist aus Bankensicht deshalb vor allem eines wichtig: ein Wettbewerbsumfeld, das den Instituten ermöglicht, die Kreditnachfrage der deutschen Wirtschaft dauerhaft befriedigen zu können. Dies ist an und für sich keine überraschende Forderung, doch in diesen Zeiten ist sie dringlicher denn je. Denn in den kommenden Monaten und Jahren wird es nicht nur um Krisenbewältigung gehen, sondern vor allem darum, die Transformation unserer Wirtschaft zu finanzieren. Für den bevorstehenden Umbau in Richtung Klimaneutralität und globaler Wettbewerbsfähigkeit werden wir riesige Beträge mobilisieren müssen: Experten gehen davon aus, dass allein in Europa jährlich rund 400 Milliarden Euro zusätzlich notwendig sind, um die Klimaziele erreichen zu können. Hinzu kommen viele Milliarden für die digitale Transformation.

Um all das leisten zu können, muss die Finanzierung möglichst breit aufgestellt werden. Staatliche Investitionen und Förderpolitik sind wichtig, werden aber bei Weitem nicht ausreichen. Wir brauchen die Mobilisierungskraft des Kapitalmarktes, insbesondere des europäischen Kapitalmarktes. Vor allem aber brauchen wir einen ertragsstarken Bankensektor, der die nötigen Kredite zur Verfügung stellen kann. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Zu einem Großteil finanziert sich die europäische und die deutsche Wirtschaft über Bankkredite. Die Kreditvergabefähigkeit der Institute ist daher von zentraler Bedeutung für die Finanzierung von Klimaschutz und nachhaltigen Geschäftsmodellen.

Welche Weichen müssen nun gestellt werden? Zunächst geht es gar nicht so sehr um Details der Bankenregulierung, sondern um den grundsätzlichen Zugang zu diesem Thema und zur staatlichen Regelungspolitik allgemein.

Neue Risikokultur

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Wir brauchen eine neue Risikokultur in Deutschland und Europa. In vielen Bereichen hat sich unser Gemeinwesen als schwerfällig, bürokratisch und zu risikoavers erwiesen. Ein Beispiel aus der Welt des Finanzsektors: Sustainable Finance hat in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung zugelegt. Aber während wir Sustainable Finance in Europa und Deutschland in zunehmendem Maße vor allem als eine Regulierungsfrage betrachten, sehen die Amerikaner es als ein Geschäftsfeld an. Als ein Geschäftsfeld mit Risiken – ja. Aber vor allem als ein Geschäftsfeld mit Chancen. Und das ist die richtige Perspektive.

Gerade die Banken wissen, dass ein verantwortungsbewusstes Risikomanagement der Schlüssel für ein erfolgreiches Bankgeschäft ist. Aber Risiken zu managen bedeutet eben nicht, Risiken aus dem Weg zu gehen. Hier sind Aufsicht und Regulierung gefordert, die richtige Balance zu finden. Ob bei der Anwendung neuer Technologien oder bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, beim Bürokratieabbau oder beim Gründen neuer Unternehmen, in der Sicherheitspolitik oder in der Forschungsförderung – eine neue Risikokultur ist notwendig, um in einer Welt wachsender Risiken bestehen zu können. Und das betrifft auch die Bankenregulierung: Sie muss neben Stabilität und Sicherheit auch einen wettbewerbsfähigen Finanzsektor im Blick haben. Zur Wettbewerbsfähigkeit gehört in diesem Zusammenhang vor allem, die Ertragskraft der Institute zu stärken und sie attraktiv für Investoren zu machen. Nur so können deutsche und europäische Banken im internationalen Wettbewerb bestehen. Regulierung und Aufsicht sind insofern wichtige Standortfaktoren – ein Umstand, dem häufig zu wenig Bedeutung beigemessen wird.

Kreditvergabefähigkeit nicht beschneiden

Gegenwärtig sehen wir die Gefahr, dass dieser Aspekt zu wenig berücksichtigt und daher – noch schlimmer – die Kreditvergabefähigkeit der Banken über die Maßen beschnitten wird. Die im vergangenen Jahr beschlossene Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers beispielsweise, die in Kürze wirksam wird, wird genau diesen Effekt haben. Aus unserer Sicht ist sie das völlig falsche Signal. Auf europäischer Ebene sind es die Themen Bankenabgabe und Ad-hoc-Änderung der TLTRO-III-Konditionen, die für zusätzliche Belastungen aufseiten der Institute sorgen. Aktuell droht auch das europäische Bankenpaket, das die Neuregelung von Basel III beinhaltet, mit zusätzlichen regulatorischen Anforderungen belastet zu werden.

Ganz allgemein gilt es, das ohnehin schon komplexe Regelwerk nicht immer weiter zu überfrachten. Regulierung ist notwendig und vieles von dem, was seit der Finanzkrise auf den Weg gebracht wurde, ist richtig und notwendig. Immer weitere Hürden aufzubauen ist aber der falsche Weg. Vielmehr gilt es, das bestehende Regelwerk zu überprüfen, zu verbessern und die hohe Komplexität zu reduzieren. Eine moderne europäische Finanzierungsarchitektur mit einem stabilen und ertragsstarken Bankensektor ist der Schlüssel für das Gelingen der Transformation in Deutschland und Europa. Hieran sollten wir arbeiten, und hieran sollte sich die Finanzmarktregulierung auch messen lassen.


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Über den Autor

Dr. Hilmar Zettler

Dr. Hilmar Zettler ist Direktor beim Bundesverband deutscher Banken und leitet den Geschäftsbereich Bankenaufsicht und Einlagensicherung. Zuvor war er u.a. als Cluster Manager für die Themen Einlagensicherung und Finanzmarktstabilität verantwortlich. Davor war der Betriebswirt u.a. Geschäftsführer der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken und in der Beratung tätig.

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