Die heutigen Neuwahlen in Großbritannien sollten eigentlich die Position von Premierministerin Theresa May innerhalb ihrer häufig zerstrittenen konservativen Partei stärken. Nun aber bergen sie erhebliche Unsicherheiten für das Land und für Anleger. Drei unterschiedliche Szenarien für den Wahlausgang machen dies deutlich.
In der Politik kann ein Monat eine sehr lange Zeit sein. Die Labour-Partei hat mit ihrer Wahlkampagne offenbar einen Nerv bei jüngeren Wählern getroffen und zuletzt stark aufgeholt. Der sichere Vorsprung von May ist zuletzt deutlich geschwunden. Einige Umfragen deuten sogar den Verlust ihrer bisherigen Mehrheit an.
Drei Szenarien und die Auswirkungen für Anleger
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International, erläutert anhand drei unterschiedlicher Szenarien für den Wahlausgang, was dies für Anleger bedeuten könnte.
Szenario 1 – Mehrheit für die Konservativen
Eine komfortable Mehrheit für die Tories wäre sicher das von den Märkten bevorzugte Szenario. In diesem Fall wäre unter sonst gleichen Bedingungen wohl mit keinen Kursausschlägen an den Märkten zu rechnen. Selbst eine knappe Mehrheit für die Konservativen würde Kontinuität bedeuten und daher vermutlich für gewisse Erleichterung sorgen.
Aus Anlegersicht würde eine von den Tories geführte Regierung vermutlich das Pfund stärken oder zumindest stabilisieren. Damit könnte jedoch der Höhenflug von an der Londoner Börse notierten Firmen mit Erträgen außerhalb Großbritanniens enden.
Zudem werden Anleger nach der Wahl ihre Aufmerksamkeit auf die Verhandlungen mit der Europäischen Union richten. Und die dürften eine harte Nuss werden. Als Folge sind deshalb erhebliche Schwankungen an den Devisen- sowie den Aktienmärkten sehr wahrscheinlich.
Szenario 2 – Pattsituation im Parlament
Unklare Mehrheitsverhältnisse im britischen Unterhaus bringen Unsicherheit. Und Märkte verabscheuen Unsicherheit. Als Reaktion würde es zu einem Auf und Ab an den Devisen- und Kapitalmärkten kommen. Denn Anleger müssten die Zugeständnisse zwischen Parteien – gleich welcher Couleur – beim Versuch einer Regierungsbildung ins Kalkül ziehen.
Sollte die Schottische Nationalpartei oder die Liberaldemokratische Partei in einer Koalition ein gewichtiges Wort mitreden, würde ein neuerliches Brexit-Referendum unvermittelt zu einer realen Möglichkeit werden. Anleger müssten dann ihre Annahmen zu Britannien und der EU überdenken.
In dieser Konstellation werden die Marktakteure voraussichtlich mit wichtigen Anlageentscheidungen warten, bis klar ist, welche Regierung sich aus der Pattsituation im Parlament bildet.
Szenario 3 – Mehrheit für die Labour-Partei
Bei einem solchen Überraschungs-Coup würden sich die Märkte zunächst auf das von den Anlegern vermutlich als schlimmstes eingestuftes Szenario einer Labour-Regierung konzentrieren. Viele Labour-Wahlversprechen zielen darauf ab, die Unternehmen stärker zur Kasse zu bitten und einen größeren Teil der Wirtschaftsleistung über Steuern zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben zu verwenden. Auch mit der Möglichkeit von Verstaatlichungen in bestimmten Industriezweigen müssten sich die Marktteilnehmer auseinandersetzen.
Erhebliche Schwankungen an den Devisen- und Aktienmärkten wären vermutlich die Folge, denn britische und internationale Anleger würden ihre Portfolios in Erwartung weniger profitabler britischer Unternehmen unter einer Labour-Regierung anpassen.