Die Deutschen haben Nachholbedarf in Sachen Finanzbildung. Die Bundesregierung will sich verstärkt des Themas annehmen und plant dafür eine eigene Initiative. Was aber ist genau geplant und wie ist dies aus Sicht der Schulpraxis zu beurteilen?
Die Bundesministerien für Finanzen sowie Bildung und Forschung haben hierzu „Eckpunkte für finanzielle Bildung“ vorgestellt und planen eine bundesweite Konferenz hierzu. Die beiden Ministerien wollen eine „Finanzbildungsstrategie für Deutschland“ erarbeiten und zwar zusammen mit der OECD und unter Einbeziehung aller relevanten „Stakeholder“. Dabei sollen die bisherigen Defizite benannt und konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt werden.
Diese Initiative ist natürlich sehr zu begrüßen, da es seit langem bekannt ist, dass es um das Finanzwissen von Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland nicht gut bestellt ist.
Brauchen wir eine neue Finanzbildungsstrategie?
Es kann vermutet werden, dass die neue Initiative am ebenfalls angekündigten „Deutsche Aufbau- und Resilienzplan“ des Bildungsministeriums angedockt wird, der mit seiner Schaltstellte „lernen.digital“ und 180 namentlich bekannte wissenschaftliche Forschungseinrichtungen in Europa bereits auf den Weg gebracht wurde.
Konkrete Handlungsempfehlungen als Zielsetzung der Strategie sind richtig und aus Sicht der Schulpraxis überfällig. Es fragt sich allerdings, ob man diesen Zielfindungsprozess wirklich so hoch aufhängen muss. Die Probleme sind seit langem bekannt: Wirtschaftliche Inhalte oder gar Fächer gibt es weder in den meisten Schularten noch Bundesländern. Demzufolge ist auch die Lehreraus- und -fortbildung völlig unzureichend. Es gibt nur wenige Anbieter von guten und digitalen ökonomischen Unterrichtseinheiten für die Lehrkräfte vor Ort (Teach Economy, Lehrer Online, Kubiss, Börse Stuttgart, Deutsche Bundesbank, Jugend und Finanzen, Jugend und Bildung, Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Sparkassen, Raiffeisenbanken, Deutsche Bank, Schufa). Und es gibt noch weniger gute seriöse Selbstlernmaterialien im Netz für Jugendliche und junge Erwachsene (Finanzfluss, Finanztip, Finanzchecker, Anlage-Coach, Economista, Explainity, Simpleclub).
Brauchen wir eine weitere Bildungsplattform?
Die Ministerien wollen eine zentrale Finanzbildungsplattform schaffen. Die Idee ist sicherlich zukunftsorientiert und passt zur angestrebten Digitalisierung des Lernens. Tatsächlich gibt es solche Plattformen für Lehrkräfte aber bereits (die Plattform Mundo der Bundesländer oder den Materialkompass der Verbraucherschutzverbände).
Es macht daher keinen großen Sinn, darüber noch eine weitere Meta-Plattform zu stülpen. Und für Jugendliche braucht es so etwas vermutlich überhaupt nicht, da sie eine staatliche Plattform wahrscheinlich überhaupt nicht nutzen werden. Jugendliche informieren sich anlassbezogen über Internetseiten, Social Media Accounts und hauptsächlich durch Videoclips von unterschiedlichsten Anbietern, neuerdings zunehmend von sogenannten „Finfluencern“ und auf Tiktok.
Brauchen wir für Finanzbildungskonzepte eine neue Datengrundlage?
Die Bundesministerien für Finanzen sowie Bildung und Forschung wollen die Forschungs- und Datengrundlage in Deutschland verbessern und alle bildungspolitischen Maßnahmen auf wissenschaftlicher Basis entwickeln.
Bildungspolitik wissenschaftsbasiert zu konzipieren schützt sicherlich vor bloßen Zugeständnissen an öffentlich erhobene Forderungen. Andererseits haben sich die Hochschulen im Bereich ökonomischer Bildung in den letzten 20 Jahren nicht gerade durch relevante Impulse für Lehrer, Unterricht und digitale Netzinhalte hervorgetan. Nahezu alle bestehenden digitalen Finanzbildungsangebote stammen von engagierten Lehrkräften, von privaten Initiativen und Stiftungen, von Verlagen und privaten wie öffentlich-rechtlichen Finanzinstituten.
Eine rasche Entwicklung und Ausarbeitung von praktikablen Unterrichtskonzepten und –einheiten durch Hochschulen und Universitäten erscheint daher nicht sehr realistisch. Vielversprechender erschiene dagegen eine Entwicklung und Koordinierung über Bildungspioniere der Finanzbildung wie „Lehrer Online“ oder „Teach Economy“ und eine Tranformation des „Immoward“-Bildungspreis der Versicherungswirtschaft zu einer nationalen „Finance-Challenge“, in der die besten Unterrichtskonzepte und Projekte zur Finanzbildung prämiert werden.
Gänzlich unverständlich aber erscheint der Wunsch nach einer „verbesserten Forschungs- und Datengrundlage“. Alle Untersuchungen und Befragungen der letzten Jahre und Jahrzehnte bringen exakt das gleiche Ergebnis: Die meisten jungen und älteren Menschen in Deutschland haben eklatante Wissensmängel im Bereich Wirtschaft und Finanzen, einem Bereich, der für ihr Leben so entscheidend ist. Weitere Forschungen hierzu sind völlig überflüssig.
Das betrifft auch die Inhalte und Methoden. Wesentlich wäre vielmehr der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich die jungen Menschen in der heutigen Zeit nahezu ausschließlich im Netz oder in sozialen Medien informieren und dass sie dies anlassbezogen tun, also dann, wenn sie etwas kaufen, eine Immobilie erwerben, Geld anlegen oder eine Versicherung abschließen wollen.
Im Netz müssen daher gute, informative, methodisch abwechslungsreiche, pfiffig aufbereitete Informations- und Bildungsmaterialien zur Verfügung zu stehen, die im Unterricht, bei Bedarf aber auch jederzeit außerhalb der Schule von den Jugendlichen privat genutzt werden können. Und es wäre sinnvoll, dass sich Schüler, Lehrkräfte, Schulen und Ausbildungsbetriebe aktiv an diesem Prozess beteiligen und selbst Materialien produzieren, die dann wiederum andere Jugendliche und Lehrkräfte nutzen können. Dabei muss die aktive Auseinandersetzung mit realen Problemstellungen (Verschuldung von Jugendlichen, Hauskauf, Autoleasing, Geldanlage), deren empirische Untersuchung und die Entwicklung von Lösungsstrategien im Vordergrund stehen, um die Jugendlichen handlungsfähig zu machen und sie zu einer kompetenten Teilhabe an Gesellschaft und Wirtschaft zu befähigen.
Vom Kopf auf die Füße
Zusammenfassend wäre der Bundesregierung somit anzuraten, ihre begrüßenswerte Finanzbildungsstrategie anstelle eines völligen Neubeginns auf Meta-Ebene stärker auf die schon vorhandenen Vorarbeiten, Inhalte und Strukturen zu stützen und diese noch stärker als geplant auf die konkrete Umsetzung in Unterricht, Lehreraus- und -fortbildung sowie die Informationsvermittlung in Anwendungssituationen nach der Schulzeit auszurichten.