Moderne Menschen bezahlen heute ihre Einkäufe mit Kreditkarten, kontaktlosen Bankservicekarten, virtuellen Wallets und mit Smartphones der neuesten Generation. Doch wo bleibt das Bargeld. Also nichts wie los zum „Geld kaufen“.
Es war an einem verregneten Dienstagabend. Niemand würde einen Hund aus dem Haus jagen und doch: ich musste noch mal raus. In unserem Haushalt fehlte eine wichtige Kochzutat, nämlich ein eines echtes Stück Parmesankäse, das in vielen exquisiten Pasta-Gerichten eine unverzichtbare Ingredienz ist. Und die Anweisungen meiner Frau diesbezüglich waren unmissverständlich. Ich hatte gefälligst sofort einkaufen zu gehen! Jetzt!
Also wartete ich aus Protest einige Sekunden (in unserer Familie habe noch immer ich die Hosen an!), dann erhob ich mich, nicht ohne den besorgten Blick meiner Labradorhündin Tessa zu erhaschen. Keine Sorge, Tessa, du musst dein Herrchen nicht begleiten. Denn, wie gesagt: bei dem Wetter würde man keinen Hund vor die Türe jagen.
Ernsthaft. Ich zog den Mantel an, schnürte mir die Schuhe zu und griff nach der Einkaufstasche aus Jute, die unser ökologisch orientierter Haushalt als einzig angemessenen Beförderungsbehelf für die von uns bevorzugten Bio-Waren akzeptierte.
„Schatz, ich geh dann mal Geld kaufen!“, rief ich in Richtung der liebevollsten Ehefrau von allen. Ich stutzte noch mitten im Satz. Da bekommt man den einfachen Auftrag, ein Stück Käse zu kaufen und was bleibt im Hirn des einkaufswilligen Bankers hängen? Er will sich im Supermarkt Bargeld besorgen. Nur weil gerade zufällig wieder Ebbe im Portemonnaie herrschte. Was war aus dem Parmesan geworden? Können sich Banker nicht mehr auf das Wesentlich konzentrieren?
Nein, können sie nicht.
Die freudsche Fehlleistung war ein subtiler Hilfeschrei. All die Diskussionen rund um die Zukunft der Banken, die – logischerweise – alles andere als rosig sein soll, drücken uns Bankern aufs Gemüt. All die jungen, agilen, kreativen und innovativen Startups, die den alt eingesessenen Kreditinstituten Konkurrenz machen wollen, hinterlassen deutliche Spuren auf den sensiblen Seelen der Werktätigen im Geldgeschäft.
Genau damit fängt es an: aus einer wunderbaren, einzigartigen, unvergleichlichen Institution wird eine simple Ware: Geld! Wie konnte es nur soweit kommen? Wo sind die Zeiten, als die Bankkassiere noch Halbgötter aus Fleisch und Blut waren und nicht schaltkreisgetriebene, mechanische Einheiten? Als diese Wächter des Bargeldumlaufes (und hier sind nicht die Notenbanken gemeint!) jeden Antragsteller auf Bargeldauszahlung an der Kasse noch mit kritischen Blicken prüften und doch in den meisten Fällen dann freundlicherweise im Sinne des Kunden entschieden. Alles vorbei. Dabei war das Bargeld doch eine der Kern-Kompetenzen der guten alten Kreditwirtschaft.
Kann es noch schlimmer kommen? Es kann! Geld scheint nichts anderes mehr zu sein als ein Handelsgut. Ich besorge es mir wie ein Stück Parmesan im Supermarkt. Vielleicht direkt an der Kasse, vielleicht an einem Automaten im hinteren Teil des Geschäftes. Ich muss nicht mehr zu meiner Bank gehen. Ich gehe einkaufen. Ich gehe Geld einkaufen.
Aber nicht mehr lange. Dann wird unsere Gesellschaft gänzlich ohne Bargeld auskommen müssen. Die EU-Kommission macht sich dafür stark, ebenso die eine und andere Notenbank und viele Europäer nördlich des Polarkreises. Tessa hat sich in ihrer Position pro oder contra Bargeld noch nicht festgelegt, und meine Frau wartet auf den Parmesan. Und ich? Ich habe das Dilemma mich zu fragen, was von einer Bank bleibt, in der Bargeld keine Rolle mehr spielt? Natürlich ist mir bewusst, dass heutzutage Kreditinstitute das Thema Cash nur noch als Kostenfaktor sehen.
Moderne Menschen bezahlen heute ihre Einkäufe mit Kreditkarten, kontaktlosen Bankservicekarten, virtuellen Wallets und mit Smartphones der neuesten Generation, die bessere Geldbeutel sind, als Echtleder-Brieftaschen es je sein werden. All diese Bezahlmethoden sind viel effizienter, als einen 10-Euro-Schein über den Tresen zu reichen. Wozu also noch Bargeld?
Wir traditionellen Banker haben seit Lehman eines gelernt: es ist sexy, billig zu sein. Auch wenn es diese Devise niemals schaffen wird, ein Werbeslogan für ein Erotik-Etablissement zu werden, in der Kreditwirtschaft ist dieser Trend verankert wie die Zecke im Fell eines geliebten Haustieres. Es wird munter Personal abgebaut, Bankfilialen werden geschlossen, ganze Geschäftsbereiche abgeschafft und die Kostentreiber ausgemerzt, als gäbe es kein Morgen. Das Out-Sourcing der Bargeldversorgung ist dabei nur ein kleiner Flecken auf der sich stark verändernden Landkarte der Kreditindustrie.
Was ist also so schlimm daran, sich den wöchentlichen Cash-Bedarf beim Supermarkt-Dealer um die Ecke zu besorgen? Gut, man könnte einwenden, dass Bankkunden dann noch seltener physisch mit ihrer Bank in Kontakt treten und die Kundenbindung langsam flöten geht. Oder, dass die Digitalisierung massiv dazu beiträgt, dass zwischen dem klassischen Angebot von Banken und den Produkten von Nichtbanken fast kein Unterschied mehr besteht. Und an all die Online-Banken, die sich den mühsamen und kostenintensiven Filialvertrieb ersparen: warum sollten Supermärkte nicht auch online Kredite vergeben und Veranlagungen verkaufen?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: ich bin ein moderner Mensch, der die Digitalisierung voll lebt. Ich habe selbst seit Kurzem einen Facebook-Account und bereits drei Freunde. Erst vor einem Monat habe ich ein Update gepostet und vorgestern den Kommentar von Freund Nummer 2 geliked. Ich bin hip! Ich bin ein Visionär! Und ich bin der Cash-Verantwortliche in meiner Bank!
Damit ist es offiziell: ich muss mich langsam daran gewöhnen, dass sich alles verändert. Der Blick in meine analoge Brieftasche zeigt: bis auf ein paar Münzen bin ich nicht mehr liquide. Ein untragbarer Zustand für einen Banker. Mein Unterbewusstsein wusste es, Tessa wusste es und nun erkenne auch ich: ich muss Geld kaufen.
Bankers have More Fun
Mehr von unserem Gastautor Michel Lemont gibt es in seinem Buch „Bankers have More Fun“ zu lesen. Garantiert nichts für humorlose Wesen.