Wie übersetzen wir Nachhaltigkeit – also Umwelt, Soziales und Governance – in einen „Wert“, der uns im täglichen Firmenkundengeschäft begleitet? Was lernen wir als Bank aus der erstmaligen Einführung und wie finden die Kunden unseren ESG-RisikoScore?
Neben den gesellschaftlichen Herausforderungen aus dem Thema ESG haben wir als Banken auch Herausforderungen, die uns in unserer täglichen Arbeit treffen, seitdem neue Regelungen zum Thema ESG eingeführt wurden.
Dieses Thema beschäftigt uns nicht nur im Maschinenraum der Banken, sondern ist ein Thema, welches uns auch bei den Kunden in unterschiedlicher Form und Ausprägung begleiten wird. Die Kernfrage, die wir hier beantworten werden – wie gehen wir das Thema im Kreditgeschäft an. Die folgenden Gedanken sollen helfen, in diese Richtung zu gehen und Impulse hierzu zu geben.
Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit für Banken
Die Beweggründe für Banken, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, sind umfangreich. Einerseits resultieren sie aus gesellschaftlichen Entwicklungen, andererseits aus politischen und regulatorischen Initiativen, die nicht zuletzt auf die aktuellen Auswirkungen des Klimawandels reagieren. Das Thema Nachhaltigkeit betrifft aber nicht nur den Klimawandel, sondern umfasst eine ökologische, wirtschaftliche und eine soziale Dimension, die in Einklang gebracht werden müssen. Der Begriff ESG steht in diesem Zusammenhang für Environmental (Umwelt und Klima), Social (soziale Aspekte) und Governance (Unternehmensführung) und umfasst damit die zentralen Komponenten zur Beurteilung von Nachhaltigkeitsaspekten.
Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sind sechs von neun planetaren Belastungsgrenzen bereits – teilweise massiv – überschritten. Die damit einhergehende schwindende Widerstandfähigkeit unseres Planeten und zwingend notwendige Transformation hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaft bedingt eine bedeutende Rolle der Finanzinstitute. Der gesamtwirtschaftliche Wandel geht mit hohen Investitionen einher, deren Finanzierung sichergestellt werden muss. Banken erfüllen diese Funktion in ihrer originären Eigenschaft als Intermediär sowohl durch ihre Verantwortung für Entscheidungen zur Lenkung von Finanzströmen als auch durch ihre wirtschaftlichen Verflechtungen mit Unternehmen aus sämtlichen Branchen. Finanzinstitute müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, indem sie u.a. Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Kreditvergabeprozesse einbeziehen. Scoringmodelle zur Bewertung von ESG-Risiken können im Rahmen dieser aufsichtsrechtlich verankerten und gesellschaftlich geforderten Pflichterfüllung unterstützen.
Nachhaltigkeit – zwei Sichtweisen auf ESG
Um den Nutzen, die Anwendungsbereiche und die Grenzen von Scoringmodellen für ESG-Risiken zielführend einordnen zu können, sind in einem vorgelagerten Schritt die differenzierten Sichtweisen auf die Dimensionen E, S und G in den Mittelpunkt zu stellen. Es haben sich zwei zentrale Blickwinkel auf das Thema hervorgehoben – die Impact- (oder auch Wirkungs-) sowie die Risikosichtweise.
Die Unterschiede zwischen der Impact- und der Risikosicht im ESG-Kontext beziehen sich auf die Art und Weise, wie Finanzinstitute ESG-Faktoren in ihre Entscheidungsprozesse integrieren und bewerten. Während die Bank im Rahmen der Impact-Sichtweise ihre zu erzielende (positive) Wirkung in den Fokus setzt, wird durch die Risikosichtweise überprüft, welche ESG-Risiken die Geschäftsmodelle der (Firmen-)Kunden infolge einer Kreditvergabe mit in die Bank bringen.
Eine Kombination beider Ansätze inkludiert dabei eine zielführende Bandbreite im Rahmen einer in sich schlüssigen Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Bankpraxis. Der vorliegende Beitrag fokussiert im weiteren Verlauf die Bewertung von ESG-Risiken, die Outside-in Perspektive.
Die Messung von ESG-Risiken als zentraler Bestandteil der Risikosteuerung
Die Notwendigkeit der Messung von ESG-Risiken lässt sich zum einen unmittelbar aus dem EU-Aktionsplan Sustainable Finance ableiten. In diesem ist die Reduzierung finanzieller Risiken, ausgelöst durch Klimawandel, Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung, als eines von drei übergreifenden Kernzielen verankert.
Zum anderen – und dies betrifft die Finanzinstitute direkt – wurde mit der 7. MaRisk-Novelle ein erster verbindlicher regulatorischer Rahmen für die Bewertung von ESG-Risiken geschaffen. Finanzinstitute werden verpflichtet, ihre ESG-Risiken angemessen und explizit zu bewerten und zu steuern. Dies inkludiert auch die Anforderungen an die Prozesse im Kreditgeschäft und speziell die Kreditgewährung.
Exemplarische Inhalte im Bereich des Kreditgeschäfts sind die explizite und angemessene Berücksichtigung von ESG-Risiken bei der Kreditrisikobeurteilung und die Einbindung ESG-begründeter Risiken mit Wirkung auf die Kapiteldienstfähigkeitsberechnung in den Kreditvergabeprozess sowie deren laufende Überwachung. ESG-Risiken werden in diesem Zusammenhang jedoch nicht als eigene Risikoart gesehen, sondern im Wesentlichen als ein Einflussfaktor auf die bestehenden Risikokategorien der Banken.
Zudem können – gemäß MaRisk-Novelle – die Auswirkungen von ESG-Risiken sowohl Teil des Risikoklassifizierungsverfahrens sein als auch separat davon bewertet werden. Während der erstgenannte Weg eine bonitätsinduzierte Implikation projiziert, dient die Verwendung von ESG-Scores als separatem, d.h. neben dem PD-Rating stehenden Ergebnis als Umsetzungsmittel der zweitgenannten Alternative. Die Auswahl der einzusetzenden Variante obliegt dem jeweiligen Institut.
Die Messung von ESG-Risiken mithilfe eines Scoringmodells
Es stellt sich für Banken somit die Frage, wie die mit einem (potenziellen) Kreditnehmer verbundenen ESG-Risiken adäquat gemessen und bewertet werden können. Während einschlägig bekannte Ratingagenturen für Großunternehmen und/oder Wertpapieremittenten ESG-Ratings anbieten, ist im Spezifischen das Kreditgeschäft mit KMUs oder nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen diesbezüglich herausfordernd.
Um diese Lücke zu schließen, können Banken entweder eigene Bewertungsmodelle entwickeln oder auf Anbieter zurückgreifen, die ein solches Scoringmodell entwickelt und in den bankpraktischen Einsatz gebracht haben. Die Kernaussage in dem Zusammenhang bleibt jedoch: Es besteht in jedem Fall die Verpflichtung, tätig zu werden. Doch wie können solche Modelle methodisch initial aufgesetzt und in den Banken eingeführt werden?
Zuerst lässt sich festhalten, dass bisher keine allgemeingültige Vorgabe in Form von gesetzlichen Rahmenwerken für ESG-Scoringmodelle existiert – was die Herausforderung, diese adäquat aufzusetzen, nicht schmälert. Im Gegenteil, ein umfassend und gehaltvoll definiertes Modell benötigt ein erhebliches Spektrum an Experten-basiertem Know-how. So auch bspw. in Bezug auf die Gewichtung der Dimensionen E, S und G.
Eine gedankliche Stufe tiefer innerhalb der Modelldefinition gilt es, die Frage zu beantworten, wie die Dimensionen E, S und G messbar gemacht werden können. Aus einer abstrakt wirkenden Ebene kommend, müssen Indikatoren – im Folgenden ESG-Faktoren– identifiziert werden, die eine zumindest (automatisierte) qualitative Bewertung von ESG-Risiken ermöglichen. Zielsetzung ist somit, ESG-Faktoren zu benennen, die eine Vergleichbarkeit und infolgedessen Bewertung auf Basis interner oder externer Daten zulassen. Ein auf Informationen aus externen Datenquellen beruhendes ESG-Scoringmodell kommt im Hinblick auf Einzelkundendaten jedoch schnell an seine Grenzen. Vielmehr kann hierüber ein erster Einstieg, z.B. auf Branchendaten, erfolgen.
Insbesondere bei großvolumigen Engagements bspw. oberhalb der institutsspezifischen Risikorelevanzgrenze ist zusätzlich eine Bewertung mit einzelkundenspezifischen Informationen notwendig. Die Bank muss ihr Portfolio analysieren und darauf aufbauend festlegen, wie sie dieses segmentiert. Nicht alle Firmenkunden werden in einem ersten Schritt der Einführung des ESG-RisikoScores Relevanz entfalten. Im Rahmen der Segmentierung ist neben der institutsspezifischen Risikorelevanzgrenze auch die Größe des Unternehmens relevant. So wird mittleren und großen Unternehmen eine dringlichere Relevanz beigemessen als Kleinst- und Kleinunternehmen. Die damit einhergehende Informationsgenerierung kann dabei zum Status quo ausschließlich über den Kunden selbst erfolgen – entweder im persönlichen Gespräch oder über systemseitige Unterstützungsleistungen. Mittel zum Zweck sind hier geeignete, auf ebendiese Informationsbeschaffung ausgelegte (Kunden-)Prozesse in der Bank. Denn ausschließlich über den Kunden als Inputgeber können zum Status quo die vorhandenen Datenlücken geschlossen und das eingesetzte Bewertungsmodell verbessert werden. Der ESG-RisikoScore dient den Banken somit künftig als Scoringsystem zur Identifizierung der Nachhaltigkeitsrisiken in ihrem Firmenkundenportfolio.
Integration von ESG-Risiken in den Kreditvergabeprozess
ESG-Risiken beeinflussen unterschiedliche Ebenen des Kreditvergabeprozesses. Dazu gehören die Initiierung, Bewertung, Überwachung und auch die Berichterstattung. Banken müssen sich damit auseinandersetzen, wie ihre Kunden ESG-Kriterien in ihren Geschäftsmodellen und -praktiken umsetzen, um dann die Risiken besser zu verstehen und nachhaltige Kreditentscheidungen zu treffen.
Im Fokus stehen bei der erstmaligen Einführung Prozesse zur Informationsbeschaffung bei den Kunden und die Schaffung eines Verständnisses beim Kunden, dass diese Art der Information in der Zukunft ein höheres Gewicht bei der Kreditvergabe einnehmen wird. Hieraus ergeben sich aber auch neue Vertriebsansätze, um die Kunden als regionale Volksbank in ihrem Transformationsprozess aktiv zu begleiten. Dem Genossenschaftszweck folgend, können hier auch banknahe Dienstleistungen neben der eigentlichen Kreditvergabe Mehrwerte schaffen.
Für eine erfolgreiche Integration der ESG-Risiken in die Kreditvergabeprozesse ist es essenziell, dass sowohl die Marktbereiche als auch die Marktfolgebereiche die Notwendigkeit der Informationssammlung verstehen. Das Verständnis des Kunden in der Bank gibt den Rahmen für den Kreditvergabeprozess, denn je besser die Banken ihre Kunden und deren Ausgangssituationen kennen, desto besser können diese die damit einhergehenden Risiken einschätzen.
Sieben Eckpfeiler für den Erfolg von ESG-Scorings
Die Integration von ESG-Risiken und ESG-Scorings in die Kreditvergabe einer Bank erfolgt anhand der folgenden sieben Eckpfeiler:
- Richtlinienentwicklung
- Schulung und fortlaufende Sensibilisierung
- Risikobewertung
- Datenintegration
- Kreditgenehmigungsprozesse
- Überwachung und Berichterstattung
- Verzahnung der Bereiche
1. Richtlinienentwicklung
Erstellung klarer Richtlinien und Strategien zur Integration von ESG-Kriterien in den Kreditvergabeprozess. Hier sollten auch Leitlinien zur Kreditvergabe im Firmenkundengeschäft definiert werden.
2. Schulung und fortlaufende Sensibilisierung
Schulungen der Mitarbeiter, um ein tiefes Verständnis für ESG-Risiken zu entwickeln und deren Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Kunden zu bewerten und Risiken hieraus zu erkennen.
3. Risikobewertung
Einbeziehung von ESG-Kriterien anhand eines Scoringmodells, um Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren zu berücksichtigen.
4. Datenintegration
Nutzung von ESG-Datenquellen und Kundeninformationen für eine umfassende Analyse der Unternehmen und Branchen, um die Risiken genauer bewerten zu können.
5. Kreditgenehmigungsprozesse
Einbindung von ESG-Kriterien in den Kreditgenehmigungsprozesse, um sicherzustellen, dass nachhaltige Praktiken gefördert werden.
Darüber hinaus wird bei Finanzierung von Projekten und Vorhaben im Besonderen darauf zu achten sein, welchen Beitrag diese zur Erreichung der internationalen Klimaziele leisten. Kreditvergaben an Branchen mit einer hohen CO2-Intensität können vorgenommen werden, wenn diese eine Strategie in Richtung Klimaneutralität verfolgen.
Im Prozess der Kreditgenehmigung wird für den ESG-RisikoScore ein abgestuftes Verfahren zum Einsatz gebracht, sodass Unternehmen, die einen hohen oder sehr hohen ESG-RisikoScore aufweisen, höheren Anforderungen an die Begründung und Sinnhaftigkeit der Finanzierung vor dem Hintergrund der ESG-Kriterien unterliegen als bspw. Kunden mit einem sehr geringen ESG-Risiko.
6. Überwachung und Berichterstattung
Kontinuierliche Überwachung und Aktualisierung der Daten der Kreditnehmer hinsichtlich ihrer ESG-Performance und regelmäßige Berichterstattung über die Einhaltung von Vergaberichtlinien oder auch Limiten.
7. Verzahnung der Bereiche
Der wichtigste Erfolgsfaktor zur sinnvollen Nutzung des ESG-RisikoScores ist die Verzahnung von Markt, Marktfolge und Risikomanagement. Mitarbeiter in allen Bereichen müssen mit ihren Impulsen gehört werden und in den Umsetzungen beteiligt sein. Ist dies der Fall, können die Banken hieraus auch Chancen mit ihren Kunden gemeinsam generieren und die Transformation begleiten.
Fazit und Ausblick
Banken können sich als Transformationsbegleiter und -treiber positionieren und hierbei aus ökonomischer Sicht Geschäftschancen und Wettbewerbsvorteile generieren sowie – mithilfe von Scoringmodellen – Risiken minimieren. Nachhaltigkeit spielt somit zunehmend eine wichtige Rolle im Kreditgeschäft von Banken.
Durch die Berücksichtigung von Umwelt- Sozial- und Governance-Kriterien können Banken Risiken besser einschätzen und reduzieren, indem nachhaltige Geschäftspraktiken in den Fokus rücken. Infolge eines durchdachten, in sich schlüssigen Vorgehens auf Basis eines umfassenden Konzepts kann die Bank die im Kreditportfolio befindlichen Risiken spürbar vermindern und ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern.
Nachhaltiges Kreditgeschäft stärkt zudem das Image der Bank und fördert auch die Kundenbindung, da viele Verbraucher und Unternehmen zunehmend Wert auf nachhaltige Finanzdienstleistungen und umfassende Transformationsbegleitung legen. Banken müssen zudem häufiger nachhaltige Richtlinien einhalten, um regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Eine proaktive Integration von Nachhaltigkeit im Kreditgeschäft hilft, regulatorischen Vorgaben zu entsprechen.
Dass zur Umsetzung dieser Anforderungen entsprechende Ressourcen benötigt werden, wird allein mit Blick auf die innerhalb dieses Artikels dargestellten Aufgaben deutlich. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass bankweit dem Thema die notwendige Ernsthaftigkeit entgegenzubringen ist. Werden im Rahmen der Erstintegration in die (Kreditvergabe-)Prozesse profunde Antworten zur Beantwortung der richtigen Fragen auf Grundlage gehaltvoller Analysen gefunden, wird die Einbindung von ESG-Risiken ein erfolgreicher Faktor für die Bank. In letzter Konsequenz zeigt sich dies durch eine tiefergehende Risikoanalyse, die Minimierung der entsprechenden Risiken im Kreditportfolio auf der einen Seite und der Identifikation von Chancen zur Transformationsbegleitung in allen Facetten auf der anderen Seite.
Im Hinblick auf zukünftige Weiterentwicklungen werden die Berücksichtigung der ermittelten ESG-Risiken in der Kreditkondition sowie die Kreditablehnung infolge schlechter Bewertungen als extensivste Ausgestaltung in den Fokus der Betrachtung rücken. Auch die im Kreditvertrag fixierte Verankerung zur Erfüllung von Transformations- bzw. Nachhaltigkeitszielen wird aller Voraussicht nach auch auf breiterer Kundenebene ein Werkzeug zur Minimierung der dem Kreditengagement innewohnenden ESG-Risiken.
Sabine Curt ist Koautorin des Beitrags. Sie ist Bankdirektorin in der Volksbank Mittelhessen eG und hat als Themenschwerpunkt Regulatorik. Nach einem dualen Studium in einer Landesbank arbeitete die Wirtschaftsprüferin in verschiedenen WP-Gesellschaften im Bereich der Prüfung und Beratung von Banken und Versicherungen.