Ist Purpose nur ein Hype und neuer Marketing-Gag? Oder doch ein ernst zu nehmender Gradmesser für das eigene Handeln? Vor allem in Krisenzeiten trennt sich bei den Banken die Spreu vom Weizen: Nur, wer es schafft den Worten Taten folgen zu lassen, wird im Markt bestehen.
Larry Fink, CEO von Blackrock, brachte es jüngst in seinem Brief an die Unternehmensleiter auf den Punkt:
„Die nicht von der Hand zu weisenden Klimarisiken zwingen Anleger, ihre zentralen Annahmen zur modernen Finanzwirtschaft zu überdenken. … ich bin überzeugt, dass wir vor einer fundamentalen Umgestaltung der Finanzwelt stehen…. Früher als von den meisten erwartet, wird es zu einer erheblichen Umverteilung von Kapital kommen.”
Neben der Klimakrise gilt auch für die Corona-Krise: Je mehr Krisen zum Risiko für die Anleger werden, desto direkter ist das Geschäftsmodell der Banken und Finanzdienstleister betroffen. Welche Risiken lauern in den Bilanzen der Unternehmen? Wie lassen sich solche Risiken möglicherweise absichern? Aber vielleicht viel entscheidender: Welches Verhalten wird von den Kunden und der Gesellschaft künftig noch akzeptiert? Und welche Entscheidungen sind nötig, um als Bank attraktiv zu bleiben, Anziehungskraft zu entwickeln und somit die Basis für künftiges Geschäft zu sichern?
Gesellschaftliche Risiken im Fokus
Wie schnell man als Unternehmen zum Feindbild nicht nur von Klimaaktivisten, Jugendlichen sowie Politikern wird und letztlich auch auf den Radar der Investoren gerät, zeigt der Fall Siemens, als der Konzern sich entschied entgegen den Forderungen der Klimabewegung “Fridays for Future” die Bahntechnik für ein Kohleminenprojekt des Adani-Konzerns in Australien zu liefern. Die Klimaaktivisten fordern den Umweltschutz nicht auf einen Corporate Sustainability Report zu beschränken, sondern den Worten auch Taten folgen zu lassen: Sprich, sich aus einzelnen Geschäften und Investments bewusst und öffentlich nachvollziehbar zurück zu ziehen.
Ähnliche gesellschaftliche Bewegungen gibt es zum Beispiel bei Themen wie der Waffenproduktion, wo sich die Organisation PAX for Peace für den Ausstieg aus Geschäften mit Nuklearwaffen und Streubomben einsetzt. Die Organisation veröffentlicht Negativ-Listen von Banken und Finanzdienstleistern, die Unternehmen, welche in die Produktion dieser Waffenarten involviert sind, Finanzmittel zur Verfügung stellen. Finanzinstitute haben ihr Engagement in diesen Bereichen nicht nur deutlich verringert, sondern auch Druck auf die Hersteller ausgeübt sich aus der Streubombenproduktion zurückzuziehen – wiederum als Reaktion auf die Kritik aus der Zivilgesellschaft und von kritischen Kunden. Der Hebel über das Finanzwesen Veränderungen auszulösen kann also funktionieren. Statt künftig auf Druck zu reagieren liegt eine Chance darin gesellschaftlichen Wandel durch die Finanzwelt proaktiv auszulösen.
Rasche Entscheidungen gefragt
Wie dann also den Schritt vom Reden zum Handeln wirklich vollziehen – noch dazu mit der gebotenen Eile? Das Weltwirtschaftsforum in Davos hat es jüngst wieder gezeigt: Der Wille der Finanzwelt ist erkennbar, die nötigen Entscheidungen folgen jedoch nicht automatisch nach. Profit und Purpose haben sich hier noch nicht synchronisiert und prallen teilweise aufeinander.
Vielleicht ist den Entscheidern auch nicht klar, wie sie mit der komplexen Lage und den sich ständig verändernden Anforderungen einer zunehmenden Zahl von Stakeholdern umgehen sollen. Das ist ein Zeichen dafür, dass es einen klarer Gradmesser für Handeln im komplexen Umfeld braucht. Die vorhandenen Visionen oder Mission-Statements reichen nicht aus. Auch eine Zweck-Formulierung, die von außen im Sinne einer Marken-Differenzierung entwickelt wurde, hilft in der Regel nicht weiter.
Purpose als Gradmesser
Was also ist die Lösung? Es geht darum einen Sinn und Zweck zu finden, an dem sich das Handeln der Bank in der Realität ausrichtet. Ein solcher Purpose entsteht von Innen, ist in der gesamten Organisation bekannt und dient als evolutionäres Zentrum, um das herum sich alles stetig weiterentwickelt. Frederick Laloux, Autor des Buchs „Reinventing Organizations“, beschreibt dies als „Evolutionary Purpose“: Einen Sinn und Zweck, in den man hineinhören kann, der die Interessen von Mitarbeitern und Kunden ebenso wie von Analysten und Aktivisten vereint – und, anhand dessen es leicht fällt zu entscheiden, was man tut und was man sein lässt.
Ein solcher Purpose wirkt auf zwei Arten:
- Er stellt sicher, dass die Organisation für ihre Stakeholder relevant bleibt. Er ist die Grundlage für die intrinsische Motivation der Führungskräfte und Mitarbeiter und liefert eine Antwort auf die Frage: „Wie viel Zeit, Energie, Vorstellungskraft, Identität … möchte ich tatsächlich in diese Organisation investieren?“
- Er bietet eine Orientierung für die gesamte Organisation, da Entscheidungen plötzlich leichtfallen, die Zusammenarbeit sich über die Teams und Abteilungen ausbreitet und auch die Grenzen, wenn es Zeit ist „Nein“ zu sagen, klar werden.
Nur Wunschdenken oder graue Theorie?
Sicher nicht, da in der letzten Zeit zahlreiche Unternehmen wie zum Beispiel das Industrieelektronikunternehmen S.I.E. (Österreich), der Taschenhersteller FREITAG (Schweiz), die Gutmann Aluminium Draht GmbH (Deutschland) oder auch die Postfinance (Schweiz) auf neue Leadership-Modelle mit Purpose-Orientierung umgestiegen sind. In der Initiative PAUL-Organizational Development haben wir Purpose-Projekte im Finanzdienstleistungsbereich begleitet, die jeweils auf der Beantwortung von zwei Kernfragen aufbauen:
- Wirkung (Impact): Wofür brauchen die Stakeholder eine Bank?
- Beitrag (Contribution): Was verändert sich durch Leistung der Bank in der Welt der Stakeholder?
Voraussetzungen, um in diesen Prozess einzusteigen, sind ein Management, das bereit ist eine neue Führungsrolle anzunehmen, sowie eine grundsätzliche Offenheit sich mit den Bedürfnissen der Stakeholder auseinanderzusetzen. Der Nutzen kann groß und auch messbar sein: Laut Recherchen von Strategy& erzielen mehr als 90 Prozent der Purpose-getriebenen Unternehmen ein Wachstum und Gewinne, das den Branchendurchschnitt übersteigt. Auch weitere Kontrollen lassen sich möglicherweise vermeiden. „Wenn wir nicht genügend grüne Investitionen tätigen und finanzieren, droht der Branche eine weitere Runde an Regulierungen“, sagte zum Beispiel kürzlich Axel Weber, Verwaltungsratschef der Schweizer Großbank UBS.
Die Chance: Den Wandel aktiv vorantreiben
Greta Thunberg kritisierte bei einem ihrer Auftritte in Davos: „Ihr sagt, Kinder sollten sich keine Sorgen machen. Ihr sagt, ‚überlasst das einfach uns, wir werden das regeln‘. Und dann? ‚Nichts‘.“ An einem evolutionären Purpose ausgerichtet, können Banken die Sprachlosigkeit der Wirtschaft aufheben. Wer die Wirkung im Blick hält und einen klaren Beitrag zur Lösung der aktuellen Herausforderungen nachweist, kann in die öffentliche Diskussion einsteigen und seine Rolle in der Gesellschaft neu verankern. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, um sich als Bank an dem eigenen evolutionären Purpose auszurichten?