Die Schuld der Schuldenmacher

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Das marktwirtschaftliche Ordnungssystem scheint allmählich aus den Fugen zu geraten. Die Zinspolitik der EZB, die letztlich nur noch dem Zeitgewinn für die südeuropäischen Schuldenländer dient, enteignet die Sparer und untergräbt das Vertrauen der Menschen in Staat und Wirtschaft.

EZB-Tower in Frankfurt am Main

Der EZB-Tower in Frankfurt am Main.

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Nach uns die Sintflut

Strafzinsen dürften auch in Deutschland schon bald flächendeckend zur Realität werden. Die Volkswirtschaftslehre definiert Sparen bekanntlich als Konsumverzicht, der durch Zinsen zu honorieren ist. Aktuell wird jedoch den tragenden Säulen der Marktwirtschaft peu a peu der Boden entzogen. Die bisher allgemein respektierten wirtschafts- und finanzpolitischen Überzeugungen, Grundsätze und Spielregeln werden auf dem Altar der EZB-Politik geopfert, um den Zusammenbruch der südeuropäischen Schuldenländer und der Gemeinschaftswährung weiter hinauszuzögern.

Wer Geld verleiht, wird bestraft. Wer Schulden macht, wird belohnt. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik verdienen die Anleger beim Kauf von Bundesanleihen kein Geld mehr. Selbst bei Papieren mit über 30-jähriger Laufzeit liegt die Rendite mittlerweile unter Null. Durch die Inflation, die nach Meinung mancher Ökonomen real eher bei 5 Prozent als den offiziell ermittelten 1,5 Prozent liegen dürfte, nimmt die Enteignungsquote weiter zu. Legt man eine durchschnittliche Inflationsrate von 2 Prozent zugrunde, so wird sich der reale Wert nach 30 Jahren mehr als halbiert haben.

Die Folgen dieser Nach-mir-die-Sintflut-Politik sind unabsehbar. Zunächst profitiert der Staat von Negativzinsen und Geldentwertung. Seit 2012 hat der Bund dank der pervertierten Zinssituation mit Anleiheverkäufen einen Gewinn von über 27 Mrd. Euro realisiert.  Da kein realistischer Exit aus dieser Konstellation erkennbar und machbar ist, dürfte der Zustand der ausgehebelten Marktwirtschaft noch Jahre anhalten, bevor das System der normativen Kraft des Faktischen erliegen wird. Der Ökonom Daniel Stelter meint, dass „der Euro vielleicht noch 10 Jahre überleben“ werde.

Attacke auf die Schuldenbremse

Vor gerade 10 Jahren ist die Schuldenbremse verbindlich im Grundgesetz verankert worden. In Art. 109, Absatz 3 heißt es in bei der Gesetzgebung seltener Klarheit: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Der Ausnahmekatalog erklärt nur bei Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP für zulässig.  Seit 2014 ist es dem Bund zumindest nach offizieller Lesart gelungen, ohne neue Schulden auszukommen.

Aktuell jedoch formieren sich die politischen Bataillone, die zum Sturm auf die „schwarze Null“ aufrufen. Dabei entstehen merkwürdige Koalitionen. Dass linke Parteien und Gruppierungen ihr Heil in der Verteilung zusätzlicher Sozialleistungen sehen, kann nicht überraschen. Dass allerdings auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)  die Schuldenbremse neuerdings infrage stellt, sorgt für Erstaunen. Ausschlaggebend für den  Meinungswandel ist offenbar die sich in vielen Branchen abzeichnende Rezession, die mit Konjunkturprogrammen bekämpft werden soll. Nicht von der Hand zu weisen ist auch der Hinweis auf die investiv lange vernachlässigte Infrastruktur. Jetzt rächt sich auch die eindeutig  finanzpolitische Priorisierung des Sozialsektors durch die Politik.

Enteignung der Sparer

Zu den großen Verlieren der von der EZB auf den Kopf gestellten Zinspolitik gehören zwingend logisch die Sparer, die  –  laut den Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik   – seit 2010 753 Mrd. Euro an Zinseinnahmen verloren haben. Die systematische Enteignung wird durch die absehbare Verstärkung der Flutung der Märkte weiter zunehmen. Gegenwärtig sind keine Gegenstrategien verfügbar, um diesen zunehmenden Abschmelzungsprozess von Vermögen und Altersvorsorge verhindern.

Dazu Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank: „Entgegen der offiziellen Begründungen geht es der EZB vorrangig darum, den Finanzministern der hochverschuldeten Südstaaten der Euro-Zone zu helfen.“ Diese Länder hätten die EZB faktisch in Geiselhaft genommen. Aus dieser Schuldenfalle könne sich die EZB kaum noch befreien. Jörg Krämer weiter: „Die Sparer werden in immer riskantere Anlagen getrieben auf der verzweifelten Suche nach dem Zins, den die EZB ihnen genommen hat. Nur darum liegt der DAX trotz der vielen Gewinnwarnungen seit Jahresanfang deutlich im Plus. Das ist Vermögenspreisinflation – eine für Sparer wirklich schwierige Situation. Die Leiden der Sparer sind noch lange nicht vorbei.“ Der Volkswirt kommt zu dem Schluss, dass die Risiken einer neuen Finanzkrise weiter zunehmen.

Risiken der Strafzinsen

Mit der absehbaren Einführung von Strafzinsen für Privatanleger wird eine rote Linie der Zumutbarkeit überschritten. Damit dürfte ein weiterer erheblicher Vertrauensverlust der im Ansehen ohnehin ramponierten Banken und Sparkassen verbunden sein. Einer neuen Befragung zufolge wollen in diesem Falle 52 Prozent zu einem anderen Institut wechseln, 21 Prozent würden ihr Vermögen bei ihrer jetzigen Bank umschichten und 27 Prozent sind ziemlich ratlos im Hinblick auf eventuelle Konsequenzen.  32 Prozent der Privatkunden ist gar nicht bekannt, dass die Banken Strafzinsen von derzeit 0,4 Prozent auf ihre EZB-Einlagen zahlen müssen.

Selbstverständlich haben sich die Bundesbank und die Banken längst mit möglichen Reaktionen der Kunden auf die Einführung von Strafzinsen befasst. Als Worst Case dürfte dabei die Gefahr identifiziert worden sein, dass viele verärgerte Kunden ihre Konten abräumen, also in großem Stil Bargeld abheben. Selbst wenn sich „nur“ 5 Prozent der Kontoinhaber so verhalten würde, könnte dies einen äußerst gefährlichen Bank Run auslösen und kurzfristig das gesamte System lahm legen.

Dazu einige Fakten: Das Geldvermögen der deutschen Privathaushalte belief sich im ersten Quartal 2019 auf 6,17 Billionen Euro. Dazu gehörten Bargeld, Wertpapiere, Bankeinlagen sowie Ansprüche gegenüber Versicherungen. Würden „nur“ 5 Prozent dieser Volumina realisiert und abgehoben, so müssten die Institute kurzfristig zusätzlich 308,5 Mrd. Euro an Bargeld bereitstellen. Zum Vergleich: Ende 2018 befand sich in der Bundesrepublik Bargeld in Höhe von 1,26 Billionen Euro im Umlauf. Schon diese Relation würde das Bankensystem vor unlösbare Aufgaben stellen. Käme es zu einer derartigen Zuspitzung, würde die Zahl der „Abräumer“ explosiv zunehmen.

Das hier skizzierte Szenario müsste eigentlich  allen Verantwortlichen nahelegen, äußerst vorsichtig und sensibel mit dem Thema Strafzinsen umzugehen. Sollte sich die Entwicklung kritisch zuspitzen, könnte schon ein Funke ausreichen, um eine völlig unkalkulierbare Rebellion der Sparer zu entfachen.

„Zurück in die 70er Jahre“

Prof. Lars Feld , Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, sieht das Wirtschaftssystem in Gefahr. Der Wirtschaftsweise zeigt sich insbesondere besorgt über die zunehmenden Eingriffe der Politik in die Wirtschaft: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo bestimmte Kräfte immer stärker werden, die die Republik komplett umkrempeln wollen.“ Und wenn die Dämme zu bröckeln anfingen, sei zu befürchten, dass sie irgendwann brechen. Feld weiter: „Es ist erschütternd, dass die Politik jetzt wieder mit genau den alten Rezepten kommt, die schon in der Vergangenheit nicht funktioniert haben.“ Schon in den 80er Jahren habe es eine starke Mietregulierung gegeben, die aber die Wohnungsnot verschärft habe, weil Investitionen ausblieben. Zudem seien Konzerne wie Salzgitter oder die Telekom als Staatsbetriebe früher viel uneffektiver gewesen. Erst die marktwirtschaftlichen Reformen unter Helmut Kohl  und Gerhard Schröder hätten dazu geführt, dass Deutschland den längsten Aufschwung seit den Wirtschaftswunderjahren erlebt habe, Staatsverschuldung und Massenarbeitslosigkeit gesunken seien. Der Ökonom warnt: „Trotzdem droht uns nun eine Restauration. Einige wollen partout zurück in die 70er Jahre – und andere sehnen offenbar die DDR zurück.“

Über den Autor

Dietrich W. Thielenhaus

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus, der vor seinem Studium Bankerfahrung gesammelt hat, kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Geldanlage.

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