Sind Strafzinsen der richtige Weg?

Des einen Leid, des anderen Freud

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Beim Thema Strafzinsen scheiden sich die Geister. Immer mehr Banken und Sparkassen sehen darin eine zusätzliche Ertragsquelle. Andere sehen darin eine Gefahr für ihre Reputation beim Kunden. Die Wahrheit liegt allerdings nicht in der Mitte.

Immer mehr Banken und Sparkassen nehmen Strafzinsen auf Kundeneinlagen.

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Kunden von Banken und Sparkassen scheinen sich an die nicht mehr vorhandenen Zinsen für ihre Ersparnisse gewöhnt zu haben oder ignorieren diese schlicht. Wie sonst sollte man erklären, dass immer mehr Geld auf Giro-, Spar- oder Tagesgeld- oder Festgeldkonten geparkt wird, obwohl durch die Kombination von Inflationsrate und ausbleibender Zinsen die realen Verluste in die Milliarden gehen. Und obwohl den privaten Sparern Milliardenbeträge verloren gehen, die für die Altersvorsorge dringend benötigt würden, gab es bislang keine öffentlichen Proteste der Kunden. Und auch keine Aufrufe dazu, weder von Gewerkschaften, Verbraucherschützern noch von Parteien, nicht mal von den sonst so populistisch orientierten.

Auch Banken und Sparkassen kostet das Zinstief Milliarden, entfallen doch – vereinfach gesagt – die Erträge aus dem Depot-A-Geschäft praktisch komplett. Hinzu kommt der – erst kürzlich auf minus 0,5 Prozent erhöhte – Strafzins, den die Institute auf Einlagen bei der EZB bezahlen müssen. Und diese Negativzinsen wirken jetzt als Auslöser für Aktivitäten der Banken in Richtung Kunde.

Negativzinsen als Auslöser

Laut einer im Monatsbericht November der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Umfrage  verbreiten sich Minuszinsen (Banken nennen sie lieber „Verwahrentgelte“) auf Bankguthaben rasant. Bei Firmenkunden scheinen sie bereits Standard zu sein. Auf 79 Prozent des gesamten Sichteinlagevolumens von Unternehmen würden sie laut Bundesbank erhoben. Doch auch im Privatkundenbereich verbreiten sie sich rasant. Ein Viertel der gesamten Einlagen privater Haushalte bei deutschen Banken seien bereits davon betroffen. Negative Zinsen würden vor allem von Großbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken berechnet, schreibt die Bundesbank, mithin also allen relevanten Bankgruppen.

Noch werden diese Strafzinsen meist erst ab einer bestimmten Einlagenhöhe berechnet, doch das könnte sich ändern. Das Beispiel der Volksbank Raiffeisenbank Fürstenfeldbruck hat kürzlich für Schlagzeilen gesorgt. Das gemessen an ihrer Bilanzsumme auf Rang 132 der rund 900 deutschen Genossenschaftsbanken stehende Regionalinstitut verlangt Strafzinsen von Neukunden und für neue Tages- und Festgeld-Guthaben ab dem ersten Cent. Öffentlich wurde von einem Tabubruch gesprochen, der das Thema „salonfähig“ mache. Und dies, obwohl Bestandskunden bislang nach Aussage der Bank, nicht davon betroffen seien, zumindest „solange das Markt- und Zinsumfeld dies zulässt.“

Strafzinsen verbreiten sich rasant

„Salonfähig“ ist das Thema jedoch schon länger. Nach einer anderen Erhebung verlangen bereits mehr als 150 Geldinstitute Verwahrentgelte, davon über 50 Banken und Sparkassen auch von Privatkunden und das, obwohl diese – nicht nur aus Sicht von Verbraucherschützern, sondern auch aus der von Branchenverbänden – rechtlich fragwürdig sind.

So hat der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken bereits im September ein Rundschreiben zu „vertrags-, steuer- und handelsrechtlichen sowie steuerungstechnischen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit Negativzinsen“ an seine Mitgliedsinstitute versendet, da sich „trotz des nunmehr EZB-seitig vorgesehenen bankindividuellen Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Zinsbelastung auf die Einlagefazilität – immer stärker die Frage der „Weiterbelastung“ der EZB-Negativzinsen an Einlagekunden stellt“. Geliefert wird ein vierstufiger Vorgehensplan für die Erhebung von Verwahrentgelten. Dazu heißt es im Begleitschreiben: „Falls eine Bank sich individuell dazu entschließt, Negativzinsen an ihre Kunden weiterzugeben, sollte aufgrund der hohen Sensibilität dieses Themas bei den Kunden und in der Öffentlichkeit die Umsetzung und Kommunikation sorgfältig geplant werden.“ Mit anderen Worten: seid auf der Hut, das könnte nach hinten losgehen!

Und auch im Sparkassenbereich gibt es immer mehr Institute, die Strafzinsen verlangen (und wohl noch mehr, die diese befürworten), obwohl DSGV-Präsident Schleweis diese vehement ablehnt.

Argumente pro Strafzins

Die Argumente der Befürworter von Strafzinsen für Privatkunden sind vielfältig:

  • Die Ertragssituation sei schlecht, man könne nicht alles sang- und klanglos hinnehmen sondern müsse auch Kosten an die Kunden weiterreichen.
  • Der Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern, Jürgen Gros, hat die Einführung von Negativzinsen für Privatkunden kürzlich mit dem Argument verteidigt, es gehe darum, Gelder von Neukunden abzuwehren, um die Bestandskunden zu schützen.
  • Die Kunden müssten lernen, dass es bei Zinsanlagen nichts mehr zu holen gäbe, zudem könne so das Provisionsgeschäft gestärkt werden.
  • Strafzinsen könnten – bei breiter Anwendung – eine nachhaltige Entlastung im Zinsgeschäft bewirken.

Argumente gegen Strafzinsen

Von den Strafzins-Gegnern wird argumentiert:

  • Strafzinsen unterminieren das Vertrauen der Kunden in bewährte Sparformen.
  • Die negativen öffentlichen Reaktionen könnten die Reputation der Institute gefährden.
  • Verwahrentgelte verursachen aufgrund der rechtlich schwierigen Situation hohen Aufwand. Besser sollten andere Preise, z.B. für das Girokonto erhöht werden.

Rechtlich betrachtet können Strafzinsen ohnehin nur von Neukunden oder nach individueller Absprache von Bestandskunden erhoben werden.

Wie teuer sind Strafzinsen eigentlich?

Laut Auskunft des Bundesverbandes deutscher Banken verursachten die Minuszinsen auf EZB-Einlagen für die deutsche Kreditwirtschaft seit der Einführung im Juni 2014 7,5 Mrd. Euro. Für 2018 betrugen die jährlichen Kosten rund 2,4 Mrd. Euro, die sich wie folgt aufgliedern:

  • Großbanken: ca. 550 Mio. Euro,
  • Zweigstellen ausländischer Banken: ca. 470 Mio. Euro,
  • Regionalbanken: ca. 430 Mio. Euro,
  • Sparkassen: ca. 255 Mio. Euro,
  • Landesbanken: ca. 240 Mio. Euro,
  • Genossenschaftsbanken: ca. 116 Mio. Euro,
  • Spezialinstitute: ca. 43 Mio. Euro,
  • Hypothekenbanken: ca. 20 Mio. Euro,
  • Bausparkassen: ca. 5 Mio. Euro.

Laut Bundesbank waren von den insgesamt 1.783 Banken und Sparkassen lediglich 1.340 Kreditinstitute betroffen.

Der DSGV bestätigte, dass sich die Kosten für die Sparkassen-Finanzgruppe im Jahr 2019 auf einen „mittleren dreistelligen Betrag“ belaufen.

Zur Erinnerung: Berechnet werden die Minuszinsen auf die Überschussliquidität. Diese setzt sich aus den Überschussreserven (Gehaltene Kontoguthaben abzüglich Mindestreserve-Soll)  und der Inanspruchnahme der Einlagefazilität zusammen. Das Mindestreserve-Soll eines Instituts wird mit dem durchschnittlichen marginalen Zuteilungszins der Hauptrefinanzierungsgeschäfte einer Mindestreserve-Periode verzinst. Der betrug im Jahr 2018 allerdings durchgehend 0,00 Prozent. Laut DWS lagen diese im April 2019 bei rund 630 Mrd. Euro. Das wären bei 0,5 Prozent rechnerisch mehr als 3 Mrd. Euro.

Zudem haben die Banken einen Freibetrag in Höhe der sechsfachen Mindestreserve. Diese seit Oktober geltende Reglung kommt vor allen den Sparkassen und Genossenschaftsbanken zugute. Eine exakte Berechnung der Kosten, die auf ein einzelnes Institut zukommen ist von Außen allerdings nicht möglich. Mir sind aber Regionalinstitute bekannt, die keine Strafzinsen zahlen müssen.

Klar ist, dass die Argumentation, „Wir müssen 0,5 Prozent bezahlen und reichen nur unsere Kosten an den Kunden weiter“ in sich nur für neue Einlagen gilt und nur dann schlüssig ist, wenn sich die Überschussliquidität in gleichem Umfang erhöht.

Lösen Strafzinsen die Probleme?

Strafzinsen können neue Kunden vielleicht abwehren, wie der Genossenschaftsverband Bayern zu hoffen scheint, aber wollen Banken und Sparkassen wirklich neue Kunden abwehren? Zumal solche, die größere Geldsummen mitbringen?

Ziel sollte es doch sein – und dies nicht erst seit es Strafzinsen gibt –  Kunden so zu beraten, dass sich deren Pläne realisieren lassen. Beim Beispiel Vorsorge kann kein Kunde mit Einlagen alleine dieses Ziel realisieren. Kunden, die Wertpapiere kaufen, fallen – zumindest bisher – unter die Rubrik „begehrte Kunden“.

Auf der Liste der Banken mit Minuszinsen steht übrigens keine Direktbank. Stattdessen sind Zinsen auf Tagesgeld immer noch ein bewährtes Mittel der Neukundenakquisition. In der Vergangenheit hatten sich alle führenden deutschen Direktbanken auch stets von Verwahrentgelten distanziert und u.a. darauf hingewiesen, dass es darum ginge die Kosten im Griff zu haben.

Es mutet in der Tat seltsam an, wenn Kreditinstitute auf der einen Seite für neue Girokonten Prämien von 100 oder gar 200 Euro ausloben, auf der anderen Seite aber über Strafzinsen für neue Einlagen ab 100.000 Euro nachdenken.

Klar ist, Strafzinsen tun weh. Klar ist aber auch, dass sie nur die Symptome der Niedrigzinsphase verstärken, in der das eigentliche Problem liegt. Und da diese Niedrigzinsphase bis auf weiteres anhalten wird, müssen Banken über ihr Geschäftsmodell eine Antwort finden, wie sie die Ausfälle aus der Fristentransformation dauerhaft und nachhaltig ersetzen wollen.Strafzinsen auf Kundeneinlagen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Kommt jetzt die Zinssubvention?

Bringt die Politik nun die Rettung für Banken und Kunden? Das Bundesfinanzministerium hat vor einigen Monaten angekündigt, prüfen zu wollen, ob es rechtlich möglich ist, Kleinsparer vor Negativzinsen zu schützen. Eine parlamentarische Anfrage der FDP dazu ist derzeit noch offen. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder plädierte vor wenigen Tagen für einen „großen Master-Plan, wie man die Sparer schützt und von Negativzinsen befreit“. Wenn ein Verbot nicht möglich wäre, sollte der Staat den Verbrauchern das Geld – zum Beispiel über eine steuerliche Geltendmachung – zurückgeben.

Sollte sich Söders Vorschlag durchsetzen, würden die Banken – ob dieses großzügigen Subventionsangebots – wohl jubilieren und Strafzinsen würden sich noch schneller verbreiten. Der Staat zahlt es ja…

Über den Autor

Dr. Hansjörg Leichsenring

Dr. Hansjörg Leichsenring ist Herausgeber des Bank Blogs und der Finanzbranche seit über 30 Jahren beruflich verbunden. Nach Banklehre und Studium arbeitete er in verschiedenen Positionen, u.a. als Direktor bei der Deutschen Bank, als Vorstand einer Sparkasse und als Geschäftsführer eines Online Brokers. Als Experte für Strategien in den Bereichen Digitalisierung, Innovation und Vertrieb ist er gefragter Referent und Moderator bei internen und externen Veranstaltungen im In- und Ausland.

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